Bildschirmfoto 2021 09 10 um 23.23.46Aus dem Corona-Newsletter des hr

Sven-Oliver Schibat

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es gab Zeiten, in denen ich jedes Wochenende in den Diskotheken und Clubs Nordhessens und Umgebung unterwegs war. Und auch wenn die sogenannte Tür-Politik (also wer in einen Club hineingelassen wird und wer nicht) dort überwiegend harmlos war, gab es doch mal einen Laden im benachbarten NRW, wo mir jemand sagte: "Mit DEN Schuhen kommst Du hier nicht rein!" Im Corona-Herbst 2021 könnte daraus ein "Mit DEM Impfpass kommst Du hier nicht rein!" werden - und damit meine ich nicht die Frau aus Teheran, die mit dem chinesischen und bei uns nicht zugelassenen Impfstoff Sinovac geimpft war und deswegen nicht in Deutschland einreisen durfte.


2G oder 3G?

Nein, das Stichwort lautet "2G-Regel". Die besagt, dass zum Beispiel in Restaurants oder Theater nur noch Geimpfte und Genesene reingelassen werden. Wer hingegen ungeimpft ist und nicht den gewünschten Nachweis in seinem Impfpass vorweisen kann, muss draußen bleiben. Dass diese optionale Regel auch in Hessen bald Einzug halten könnte, hatte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bereits am Montag angekündigt - und war damit bei AfD und FDP auf wenig Begeisterung gestoßen. Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, zeigte sich kritisch gegenüber 2G. Grundsätzlich sei aus ethischer Perspektive das 3G-Modell, also geimpft, genesen oder getestet, besser, sagte sie der "Welt".

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hingegen sagte gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Um die vierte Welle zu brechen, bevor sie dramatisch wird, sollte man jetzt bundesweit überall dort, wo es möglich ist, eine 2G-Regel einführen." Dort, wo 2G nicht möglich sei, wie zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr, sollten Getestete bei der 3G-Regel einen gültigen PCR-Test vorlegen müssen. Vielleicht ließen sich damit die Impfquoten steigern. "Wenn wir die aktuellen Impfquoten nicht drastisch steigern, dann kann die aktuelle vierte Welle im Herbst einen fulminanten Verlauf nehmen. Die Pandemie ist noch nicht vorbei", sagte Montgomery.

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Corona-Quarantäne für Ungeimpfte bald teurer

Der Druck auf Ungeimpfte wird demnächst aber wohl nicht mehr nur durch 2G erhöht: Bislang ersetzte der Staat den aus einer Quarantäne resultierenden Verdienstausfall. Damit könnte demnächst Schluss sein. Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) bestätigte dem hr am Donnerstag Medienberichte über entsprechende Pläne der Landesregierung. Er wies darauf hin, dass das neue Infektionsschutzgesetz des Bundes keine solche Entschädigung für Verdienstausfälle mehr vorsehe, wenn Betroffene die Quarantäne durch Impfung hätten vermeiden können.


Wir impfen weiterhin zu langsam

Generell bleibt das Impftempo das dominierende Thema in dieser Phase der Pandemie: Laut RKI sind bis 95 Prozent der Corona-Krankenhauspatienten ungeimpft. Die meisten derzeit stationär Behandelten sind zudem zwischen 35 und 59 Jahren alt, also vergleichsweise jung.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte zwar, dass Impfen eine freie Entscheidung bleiben soll, doch sei es auch eine Entscheidung, "die andere betrifft" - im Familien- und Kollegenkreis, "uns als Gesellschaft". Und natürlich ist er nicht der Einzige, der die Menschen dazu aufruft, sich impfen zu lassen: Zum Abschluss ihrer 40. Bundeskonferenz in Münster haben die Chefs der Regierungspräsidien die Bevölkerung zum Impfen aufgerufen.

Der Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen hat das schleppende Impftempo in Hessen bemängelt. Die bisherige Quote von knapp 61 Prozent Durchgeimpfter reiche bei weitem nicht, die Ausbreitung des Coronavirus spürbar auszubremsen, sagte Weber am Dienstag in der hessenschau des hr-fernsehen. Dafür brauche es wenigstens eine Quote von 75 Prozent, mit einer Entspannung in den Kliniken sei erst ab einer Impfquote von 80 Prozent zu rechnen.

Der Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg, Stefan Kluge, sagte der "Hamburger Morgenpost": "Uns zermürbt, dass eigentlich alle Intensivpatienten momentan ungeimpft sind. (...) Das Personal ist ein Stück weit frustriert, weil sich jeder mit einer Impfung gegen schwere Corona-Verläufe schützen könnte." Und der Direktor der Virologie am Universitätsklinikum Essen sagte, dass es schon jetzt in Nordrhein-Westfalen keinen freien Platz mehr für die Behandlung mit einer Herz-Lungen-Maschine gebe.


Offenbach bundesweit auf Platz 1

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist zuletzt in Hessen wieder etwas gesunken, aktuell auf 109,8. Warum das so ist, hat hr-Redakteur Jan Eggers in diesem Interview in der hessenschau erklärt. Die Inzidenz für Ungeimpfte lag gestern bei 282,7 und bei Geimpften bei 14,7. Bundesweit ist die Inzidenz auf 83,8 gestiegen. Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gab das RKI mit 1,89 an (Vortag 1,79). Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit bei 15,5.

Der bundesweite Corona-Hot-Spot ist die Stadt Offenbach mit einer Inzidenz von 236,1. Die meisten Infizierten dort sind unter 20 Jahre alt. Laut einer Mitteilung vom Mittwoch lag die Inzidenz bei den Unter-20-Jährigen bei 329, bei der darauffolgenden Generation bis 40 Jahren bei 177. Die wenigsten Infektionen gab es in der Altersklasse zwischen 60 und 80, dort wurde eine Inzidenz von 33,2 errechnet. Um die Kinder bis zwölf Jahre, für die es noch keinen Impfstoff gibt, besser schützen zu können, sollen schon bald in allen Klassenräumen für Kinder dieser Altersklasse Luftfilter installiert sein. Zudem will man die Impfquote dort am kommenden Wochenende mit zwei Sonderimpfaktionen ankurbeln.

 
Inzidenzen nicht mehr alleiniger Maßstab

Was die Bedeutung der Inzidenzen in der weiteren Pandemie angeht, steht fest: Zukünftig wird man bei der Beurteilung der Pandemielage auf mehrere Faktoren schauen, darunter die Klinikeinweisungen. Dieses neue Bewertungssystem wird dadurch allerdings auch komplizierter. Der Direktor der Hessischen Krankenhausgesellschaft, Steffen Gramminger, sagte, es sei wichtig, dass die Menschen das neue, kompliziertere System nachvollziehen können: "Es muss für die Bevölkerung verständlich bleiben, sonst werden die daraus folgenden Maßnahmen nicht akzeptiert."


Dänemark erklärt Corona als nicht mehr "gesellschaftskritisch"

In Dänemark dürfte sich ab heute außer Virologen und Medizinern kaum noch jemand für irgendwelche Corona-Zahlen interessieren: Dort wurden auch die letzten Corona-Beschränkungen aufgehoben, da das Virus nicht mehr als "gesellschaftskritisch" gilt. 73 Prozent der Bevölkerung dort sind vollständig geimpft (Stand: 8. September), so dass man diesen Schritt wagt. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass bei einer Verschlechterung der Situation auch dort wieder Maßnahmen ergriffen werden.

Und noch eine gute Nachricht für alle Schülerinnen und Schüler, denn die müssen zukünftig auch bei hohen Inzidenzen nicht unbedingt auf Klassenfahrten verzichten. Wie das Kultusministerium dem hr bestätigte, erging ein Erlass, wonach ab der kommenden Woche Schulausflüge auch bei Inzidenzwerten über 100 möglich sind - sofern die Reiseziele im Inland liegen und sich die Schülerinnen und Schüler regelmäßig testen lassen.

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