BERLINALE 2019: Der Wettbewerb, Teil 8
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Ein kleiner Film über ein großes Thema und perfekt gemacht. So man hat, müßte man den Hut ziehen vor Teona Strugar Mitevska, Mitte Vierzig, aus Mazdeonien, von der man ganz sicher im Filmgeschäft noch viel hören wird. Sie sagte, es war eine Gemeinschaftsarbeit, denn in erster Linie kommt das Sonderlob dem Drehbuch zu, das sie mit Elma Tataragic schrieb.
Ein „kleiner“ Film, weil er von einer unbekannten arbeitslosen Akademikerin handelt, die aus der Haut fährt, weil sie mutig eine ganze Männerhorde gegen sich aufbringt, zu der sich die Orthodoxe Kirche und die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft dazugesellen - hier also das „große“ Thema des Patriarchats und der Unterdrückung von Frauen - ,was als Ergebnis erst ihre Widerstandskraft hervorruft, die nicht nachläßt und in deren Folge diese Vertreter des patriarchalischen Systems ganz alt aussehen lassen, so daß diese öffentlich verlacht werden und Petrunya auf der ganzen Linie siegt. So heißt sie nämlich die 32jährige arbeitslose Historikerin, die etwas verursacht, was als Lawine die anderen überrollt und sie zur Göttin macht.
Die Geschichte: sie lebt noch immer bei den Eltern, sie ist eine Vatertochter, für den Vater sein Mädchen, zu dem er immer hält. Die Mutter ist sehr besorgt um sie in einer Weise, die sie bevormundet und kleiner macht, als sie ist. Immer will die Mutter ihr Leben organisieren, wie heute, wo sie zu einem Vorstellungsgespräch soll. So diffizil schildert der Film diese Mutter zwischen Anpassung: „Was werden die Leute sagen“ und echter Sorge um die Tochter. Beim Vorstellungsgespräch geht ihr der Chef erst einmal an die Wäsche, sagt ihr dann, sie sei nicht einmal dafür gut genug und schickt sie fort. Unterwegs trifft sie auf eine Prozession. Laut einem örtlichen Brauch wird an diesem Dreikönigstag ein geweihtes Kreuz in den Fluß geworfen, nach dem junge Männer tauchen. Der es erringt, darf es behalten und hat ein Jahr lang Glück, d.h. Gottes Segen.
Später wird sie sagen, sie habe wie ein Tier gehandelt, denn als die jungen nackten Männer ins kalte Wasser springen, hat sie sich schon mit Blümchenkleid und Mantel hineingeworfen und taucht mit dem Kreuz in der Hand aus den Fluten. Das darf nicht sein. Sie ist doch eine Frau. Die jungen Männer attackieren sie, nehmen ihr das Kreuz weg und einer von ihnen gibt sich als Sieger aus. Das geht dem Patriarchen zu weit. Er und die herbeigerufene Polizei nehmen dem Dieb das Kreuz ab und geben es Petrunya. Allerdings nur vorübergehend. Denn daraus wird eine Riesengeschichte, die die Polizei und Staatsanwaltschaft beschäftigt, die den Patriarchen händeringend beschwören doch eine Anzeige gegen die ‚Kreuzräuberin‘ zu machen. Doch – herrlich, wie hier die schwankende Kirchenhierarchie dargestellt ist – das geht dem doch zu weit.
Wichtig für das Geschehen ist auch die Fernsehfrau, die mit Kameramann anwesend ist und ihr als erste auch zeigt, daß einer ein Video von ihrem Sprung und dem Fund des Kreuzes gemacht hatte, das jetzt durchs Netz wandert und beweist, daß sie es errang. Die Fernsehaufnahmen und die Interviews, die die wendige Reporterin mit den Leuten macht, sind wie eine Spiegelung des Geschehens, den Handlungsverlauf jedoch bestimmt Petrunya allein, in dem sie sich als großmütige Siegerin erweist.
Eigentlich ist das eine Satire, aber so wie die Geschichte gebracht wird, ist sie eine conditio humana, die, mit Humor gewürzt, es mit jeder Tragikkomödie aufnimmt, der nichts Menschliches fremd ist. Das Ungewöhnliche am Film ist, daß die Rollen eigentlich auf Klischees aufbauen, dir junge Unbedarfte, dick dazu, der Chef als Verführer, die Polizei in mehrfacher Ausfertigung: da ist der fiese Vorgesetzte, der gleich foltern möchte, da ist der korrekte Polizist und da ist der zugewandte Nachwuchs, den wankelmütigen Patriarch, hatten wir schon vorgestellt.
Dem Film gelingt es, aus diesen Rollen nicht nur lebendige Menschen zu zeigen, sondern uns sogar miterleben zu lassen, wie alle diese Figuren aus dieser Geschichte lernen, sehr unterschiedlich, aber am Schluß ist für alle etwas passiert und sie sehen das Leben anders als zuvor. Das wäre für 100 Minuten Film schon mal eine ganze Menge. Aber ist längst nicht alles. Daß wir ständig lachen müssen, hat mit den vielen Fallstricken zu tun, die sich die Protagonisten gegenseitig zuschieben – oder auch mit den Gruben, die zwar für andere gegraben wurden, in die sie aber selbst hineinfallen. Und auch das ist noch nicht alles. Wenn mitten in eine spannende Fernsehmoderation das Telefon der Reporterin klingelt, sie rangeht und man mitbekommt, daß der Ex-Ehemann das Kind nicht in die Tagesstätte bringen wollte, belastet hier das Private die berufliche Situation in der Weise, wie das eigentlich alle Mütter kennen. Andererseits ist auch der Anruf, den der rechtschaffene Polizist erhält, sehr aufschlußreich, wenn er sagt. „Nein, Mama, das geht jetzt nicht, ich habe doch hier Dienst.“
Es ist das Menschliche an diesem Film, was so überzeugt, dessen Botschaft, daß die Menschen gleich sind und die gleichen Rechte haben, so daß sich auch die patriarchalischen Strukturen auf dem Balkan – und sonst auch – ändern müssen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist und vielleicht mal in hundert Jahren gilt. Die Regisseurin befand, daß das deutsche Wort ZEITGEIST genau das benenne, was zu tun nötig sei. Ein solcher Film ändert nicht die Welt, aber er macht gute Laune und gibt Kraft, wo die täglichen Widerstände diese Kräfte ermüden lassen. Hut ab.