BERLINALE 2019: Der Wettbewerb, Teil 7
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Wenn Frauen-in-Massen-Mörder Fritz Honka (mit furchterregender, aber gekonnter Maske Jonas Dassler) wieder einmal eine Frau tötet, will man aus dem Kinosessel eingreifen, spätestens bei Frieda (Martina Eitner-Acheampong) wünscht man sich heftig, daß sie überlebt, denn sie ist die einzige, die sich mit vitalem Lebenswillen lange wehrt. Sie ist auch die einzige, die sich über diesen Hänfling mit der kaputten Gesicht lustig macht, als der sexuell zur Tat schreiten will. Hört man dann noch, daß sie als Zwangsprostituierte von 1938 bis Kriegsende im KZ war, schaudert es einen zusätzlich. Aber auch sie muß sterben.
Ein schrecklicher Film, nein, eine schreckliche Geschichte, die Fatah Akin mit aller Demut der literarischen Vorlage, dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk gegenüber, derart in Szene setzt, daß das von mir für unverfilmbar gehaltene Buch, das ja auf den wahren Morden des Fiete genannten Hilfsarbeiters Honka beruht, das Lumpenproletariat in St. Pauli in den Siebziger Jahren sehr realistisch nachzeichnet. Daß daraus sogar ein Heimatfilm geworden ist, eine echte Hamburgiense, sei nur erwähnt. Letzten Endes hat Fatih Akin mit filmischen Mitteln all das wiedergegeben, was die genaue Recherche von Autor Strunk am Verhalten und den Lebensumständen dieses Honka festgeschrieben hatte. Daß Akin das so furchterregend konnte, hat auch mit den perfekt besetzten Rollen zu tun, einerseits die vier Frauen, die Honka regelrecht absticht, vor allem dann zerteilt, andererseits seine Saufkumpanen in der Kiezkaschemme ZUM GOLDENEN HANDSCHUH, die noch heute in St. Pauli existiert.
Es sind die Ärmsten der Armen, die seine Opfer werden. In sofern ist Honka eben kein Nachfolger des von ihm angezogenen Jack the Ripper, von dem er den Tötungsauftrag erhalten hätte. Zwar sind dessen Opfer Prostituierte gewesen, aber er hat sie aus ‚moralischen‘ Gründen und ohne sexuelle Beziehung ermordet. Aber nicht die Tötungsabsicht ist für Honka das Ausschlaggebende, sondern die sexuelle Konnotation. Einen Häßlichen und Armen wie ihn, will freiwillig keine Frau anfassen, geschweige denn mit ihm intim werden. Aber die abgehalfterten, die älteren, die sozial alleinstehenden, verwahrlosten und trinkenden Frauen, die gehen für einen Schnaps, für ein Bett, für ein nettes Wort mit ihm in seine Absteige. Die erste, die wir so kennenlernen, Gerda Voss (stark: Margarethe Tiesel) überlebt. Sie läßt sich als Sklavin titulieren, auch so behandeln und putzt seine versiffte Wohnung unter dem Dach pikobello. Fast hat man den Eindruck, daß Fiete in bürgerliches Fahrwasser gerät, doch sie haut rechtzeitig ab. Dem Gestank in der Wohnung ist sie nachgegangen. In einem Verschlag lagert Honka nämlich Reste der Leichen, die er größtenteils zerschnitten und in Pakete verschnürt im Koffer aus dem Haus trägt und dann in unbewohntem Gebiet ‚entsorgt‘.
Was Fatih Akin – übrigens auf der Berlinale 2004 für GEGEN DIE WAND mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet - bewundernswert in den Griff bekommt, ist diese Mischung aus Brutalität, Korpsgeist unter Säufern und Hurenböcken, für die die Kneipe Heimat bedeutet, was durch die sentimentalen Schlager der Zeit aus der Musikbox abgefedert wird. Dazu muß man einfach erklärend darauf hinweisen, daß die Siebziger Jahre nach dem Aufbruch der Studentenbewegung ein stark retardierendes Moment aufwiesen. Noch immer waren die Kriegsfolgen spürbar, die einen hatten sich im Wirtschaftswunderland mit Fernseher, Kühlschrank, Auto und Italienreise eingerichtet, die anderen wurden zum Abschaum erklärt. Aber sie hörten dieselben Lieder und weinten dazu. Welche das sind: beispielsweise Hans Albers, Das Herz von St. Pauli, Adamo, Es geht eine Träne auf Reisen, Daliah Lavi, Ein Schiff wird kommen, Heintje, Du sollst nicht weinen, Rocco Granata, Buona Notte Bambino, der in Wien geborene Hamburger Freddy Quinn, Junge, komm bald wieder, aber auch Roy Black, Wenn Du bei mir bist, Christian Anders, Ers fährt ein Zug nach Nirgendwo, Karel Gott, Einmal um die ganze Welt, Sache Distel, Adio amigo, Juliane Werding, Am Tag, als Conny Kramer starb, Bata Illic, Schwarze Madonna...und das sind noch längst nicht alle. Wie der Film die Verlogenheit der alten Bundesrepublik über ihre Weisen zum Ausdruck bringt, ist so subtil wie gelungen.
Doch, wir finden diesen Film sehr gelungen. Daß der Hauptdarsteller eigentlich eines eigenen Artikels wert ist, wird hoffentlich die Jury entsprechend bewerten. Wie er in Haltung, in Sprache, im Gesichtsausdruck seine Existenz allein äußerlich darstellt, ist großes Kino. Die Figur wird von außen nach innen entwickelt. Das ist spannend.
Wir finden etwas Weiteres auffällig, was uns gut gefiel. Darstellungen von Mord auf der Leinwand ist für Kinofilme keine Seltenheit. Ein Massenmörder schon. Der Film nutzt filmische Mittel, um aus dem Frauenmörder Honka den Frauenmassenmörder zu machen. Der erste Mord wird für uns verdeckt geschehen. Die Kamera, also wir, verfolgt von der Guten Stube mit den Pornobildern erst den Beischlaf, bzw. den Gattungsversuch des Honka, dann holt dieser das Messer und wir hören, aber wir sehen nicht. Das wird sich peu a peu ändern, mit jeder neuen Tat ist der Zuschauer näher am Geschehen, bis er sich dem letzten Mord nicht mehr entziehen kann. Diese Dynamik entspricht dem zunehmenden Mordrausch des Honka, der ja völlig offen diese Frauen abschleppt. Einerseits traut keiner diesem Versager und Trottel einen Mord zu, andererseits fragt auch niemand nach den verschwundenen Frauen. Denn deshalb wurden sie ja zu Opfern, weil sie ein bißchen Heimat beim Mörder finden wollten.
Wem da nicht das Blut gefriert, dem ist nicht zu helfen. Oder er hat gar keins.
Foto:
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Info:
Darsteller, Rolle
Jonas Dassler, Fritz Honka
Margarethe Tiesel, Gerda Voss
Katja Studt, Helga Denningsen
Marc Hosemann, Siggi
Tristan Göbel, Willi
Uwe Rohde, Herbert Nürnberg
Hark Bohm, Doornkaat-Max
Victoria Trauttmansdorff, Gisela
Adam Bousdoukos, Lefteris, griechischer Nachbar.
Simon Görts, Anus
Dirk Böhling, Soldaten-Norbert
Peter Badstübner, Tampon-Günther
Lars Nagel, Nasen-Ernie
Greta Sophie Schmidt, Petra Schulz
Jessica Kosmalla, Ruth
Martina Eitner-Acheampong, Frida
Barbara Krabbe, Anna