Das Berlinale-Thema und die ersten Filme im Wettbewerb (Tagebuch 3)
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - „Das Private ist politisch!“ Diese alte 68er-Parole ist das Thema der diesjährigen Berlinale, dessen Leitung wird es gewiss nicht vorgegeben haben, Die Filme spiegeln einfach unsere Realität wieder - und mehr oder weniger sogar humorvoll.
Bereits die ersten Streifen des Wettbewerbs machen (mir) das deutlich: Benni, eine traumatisierte und bei Freude oder Leid völlig ausflippende Neunjährige bringt ihre alleinerziehende Mutter und die professionellen Helferinnen an den Rand des Wahnsinns („Systemsprenger“). Als Zuschauer sehen wir Benni oft genervt von außen, dann wieder zieht die aufgeregte Kamera uns tief in das Empfinden des Kindes hinein.
Eine Mutter, die mit ihren Kindern vor dem gewalttätigem Vater nach New York flüchtet („Kindness of Strangers“), erlebt, was vielen Opfern gesellschaftlich widerfährt: Verharmlosung. Eine spannend erzählte Geschichte von Außenseitern, die uns Zuschauern zutraut, Zusammenhänge auch selbst herzustellen.
Ebenfalls katholischen, einst von einem Pfarrer in Lyon missbrauchten Männern wird Übertreibung vorgeworfen, als sie sich 30 Jahre danach an Justiz und Öffentlichkeit wenden („Grace á Dieu“). Ein Spielfilm nach wahren Begebenheiten, die bis heute noch nicht gerichtlich geklärt sind.
Alle diese Themen sind aus den TV-Nachrichten und anderen Medien bekannt. Ehrlich, große Lust hatte ich wirklich nicht auf diese Streifen, aber ich will nun mal alle Wettbewerbsfilme sehen. Aber es lohnt sich, neugierig zu sein, denn durch die spannende Form (Bilder, Schnitt, Kamera usw.) wurde ich von den letztlich doch sehr interessanten Filmen stark bewegt - aber zu keinem Zeitpunkt moralisch überwältigt.
Foto:
„Systemsprenger“ Regisseurin Nora Fingscheidt und Helena Zengel (Benni) © Hanswerner Kruse