Neue deutsche Krimis, Teil 3
Elisabeth Römer und Manfred Schröder
Hamburg (Weltexpresso) – Max Bentow ist nicht ohne Grund ein sehr auflagenstarker Autor geworden. Insbesondere seine Romane um den Berliner Kommissar Nils Trojan sind Bestseller. DAS PORZELLANMÄDCHEN nennt sich Psychothriller und läßt nach starkem Beginn dramatisch nach.
Das muß man so deutlich sagen, denn Max Bentow ist erst einmal ein Schreiber, der in besonderem Maß Spannung aufbauen kann. Man muß einfach weiterlesen, mag sich vom Buch nicht trennen, so geschickt ist das Szenario aufgebaut, das mit wechselnden Stimmen zu uns spricht. Es beginnt im Jahr 2003, wo eine junge, eher scheue und sich abkapselnde, aber sehr schöne sechzehnjährige Schülerin allein im Wald läuft, erst überfallen und dann entführt wird. Das ist immer schrecklich. Aber, was dieses schöne junge Mädchen, das seiner Haut und der blauen Augen wegen wie eine Porzellanpuppe wirkt, erleiden muß, ist besonders furchtbar. Ihr Peiniger ist ihr unbekannt, sie kann ihn auch nicht sehen, ihm nicht in die Augen schauen, denn er trägt eine Gasmaske, so daß sie ihn auch akustisch nicht gut verstehen kann, wenn er seine Instruktionen ‚erläßt‘. Sie nennt ihn das Insekt.
Eine wichtige Rolle spielt eine Puppe, die in dem einsamen Haus mitten im Wald, ca. eine Stunde von Berlin entfernt, in ihrem Verschlag unter dem Dach, wo das Mädchen eingesperrt ist, liegt – und spricht. Sie spricht mit ihr und auch wenn man erst einmal glaubt, das sei ihre innere Stimme, die sie in die Puppe verlagert, wird doch die Puppe im Lauf der Geschichte immer wichtiger und ein wesentlicher Handlungsträger. Sie hat eine eigene Geschichte, die erst gegen Schluß eine Rolle spielt, doch da ist es für uns schon zu spät, denn wir haben ca. nach Zweidritteln der 382 Seiten unsere positive Einschätzung der Kriminalromans nicht mehr halten können. Sind erbost. Sind gelangweilt.
Aber noch sind wir ja am Anfang und die Puppe, deren Merkmal zwei unterschiedlich blaue Augen sind und die sich später als französische Edelporzellanpuppe herausstellt, hat für das Mädchen – ihr Name wird anfangs nicht genannt – eine aufbauende Funktion. Die Puppe spricht nicht nur mit ihr – eigentlich krächzt sie tief -, sondern sie reflektiert die Situation des Mädchens: „Du mußt Dich wehren. Such dir etwas, mit dem du zuschlagen kannst. Überwältige ihn und dann lauf um dein Leben...Wehr dich...Tue es!“
In diesem ersten Teil wird in fünf Kapiteln erst die Entführung des Mädchens, dann ihre Gefangenschaft und ihr Martyrium, und dann ihre Gegenwehr und Befreiung dargestellt, wie gesagt, spannend und einsichtig. Mit dem Zweiten Teil, der im November 2015 beginnt, verstehen wir schnell, daß die durch ihre Krimis prominente Bestsellerautorin Luna Moor dieses Porzellanmädchen ist, die sich damals selbst befreite. Aber nicht frei genug, denn sie hat aus guten Gründen Angst vor ihrem damaligen Entführer, Angst, daß er sie wieder besitzen, beherrschen und vernichten will. Denn er hatte gemordet, daß hatte er ihr sogar erzählt. Ihre Flucht war die Ausnahme.
Der, wie gesagt, sehr pfiffige Autor läßt uns nun an dem Leben und Schreiben der berühmten Schriftstellerin teilhaben. Sie rekonstruiert nämlich ihre eigene Geschichte in ihrem Manuskript, wo sie dem Mädchen den Namen Maria gibt und nun aus Marias Perspektive das Verbrechen und die Folgen darstellt, aber auch ihre Absicht, den Verbrecher zur Strecke zu bringen. Die Spannung baut Bentow auch dadurch auf, daß mit dem Schreiben auch die Bedingungen, unter denen Luna Moor arbeitet, uns bekannt werden. Zwei Informationen sind dafür wichtig. Ihre beste Freundin Anne will in den USA ihren Freund besuchen; ihr halbwüchsiger Sohn Leon soll bei Luna bleiben. Die wehrt dies ab, aber als auch der Junge sie als seine einzige Hoffnung bezeichnet, stimmt sie zu. Das hat Konsequenzen. Denn die Falle, die Luna dem Insekt stellen will, in dem sie sich in dem damaligen Haus im Wald einquartiert, hat nun mit Leon eine dritte Person, die sowohl das Arrangement stört, wie potentiell ihr auch helfen kann.
Das geht lange gut – für den Leser. Doch dann kippt etwas. Auf einen Schlag ist alles zu konstruiert, da spielen ein Altwaren/Antiquitätshändler und ein Puppendoktor eine Rolle, besser: sie spielten, denn jetzt geschehen weitere Morde. Und Luna schreibt und schreibt. Tatsächlich schreibt sie um ihr Leben, denn sie hat dem Insekt, der sie und ihren Rechner digital überwacht und damit auch den Roman, den sie schreibt, eine sozusagen literarische Falle gestellt, über die man jetzt nichts verraten darf. Das ist clever ausgedacht, aber führt dann zu dem Täter, den man schon mal gar nicht decouvrieren darf, der aber derart unwahrscheinlich im Hauruckverfahren als Täter entlarvt wird, daß man ob solcher Lieblosigkeit und fehlender Psychologie dem Autor die Deutungshoheit nicht mehr überlassen will und sauer wird, daß man so mitgefiebert hatte.
Info:
Max Bentow, Das Porzellanmädchen, Goldmann Verlag 2017