Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Oktober 2017, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Uns hatte der Film so gut gefallen, daß wir uns das dem Film zugrundeliegende Jugendbuch ES WAR EINMAL INDIANERLAND von Nils Mohl, erschienen bei Rowohlt, besorgten.
Nein, Jugendbücher lesen wir selten, aber die Kennzeichnung Jugendbuch ist hier auch falsch. Denn es ist ein Lebensroman, der jedem etwas sagt, der etwas für ihn Ungewohntes kennenlernen will und die, die solch ein Leben kennen, lesen es eh.
Kein Wunder, daß der Autor, ein sowieso bekannter Schriftsteller, so viele Preise einheimste für dieses Buch. Auch den Deutschen Jugendliteraturpreis!
Wenn man zum Film sagt: ein psychedelischer Großstadtwestern, so ist das im Roman angelegt. Es passieren die unwahrscheinlichsten Dinge. Im Buch gibt es Kapitel. So heißt das erste: I. KRIEGER und bringt die ‚Geschichte von Mauser – und Jackie, Mittwoch bis Mittwoch. Es geht also im Rückspann, darum geht dort ‚zurückspulen‘ erst mal zum Beginn der Konfusion, als er nachts im Freibad auf Jackie trifft. Aha, wer spricht denn da? Wer erzählt uns das denn, die Geschichte mit Mauser?
Und aus den Tagen davor werden immer mehr, jetzt sind wir schon bei neun Tagen vor heute. Wer erzählt da? Nein, es ist nicht Kondor, wie wir zuerst denken, der alte Kumpel, der mal Freund, mal Sparringspartner, mal Boxgegner, mal Feind ist. Wir mögen das, wenn wir nicht genau wissen, wo wir gerade sind, denn das lineare Erzählen ist zwar üblich, aber das sprunghafte hier ist auch nicht schlecht, weil es unseren Grips beschäftigt. Erst mal geht es unweigerlich zurück, so als ob man die Tage zurückspulen könnte. Ja, man kann.
„In den Kopffilmchen, die in den vorangegangenen Tagen bei mir hinter der Stirn abgespult sind, war die Absenderin der Karte vom Typ her immer eine Art Jackie unserer Siedlung.
Das die Wirklichkeit da keines falls würde mithalten können: geschenkt.
Das habe ich mir schon gedacht. Hätte mir eben auch vorstellen können, dass am Ende bloß ein Spaßvogel aufkreuzt (warum nicht Kondor?), der mir zum Fenster hoch im dritten Stock eine Nase dreht.
Darauf wäre ich vorbereitet gewesen. Auf Ameise E. bin ich es nicht.
In Zeitlupe sehe ich die Gestalt näher kommen.“ (26)
So spricht der Erzähler mit sich selber und das heißt dann natürlich mit dem Leser. Wir sitzen in seinem Kopf, in seinen Gefühlen und die sind hier besonders heikel. Denn die sich nähernde Gestalt ist Edda, die aus der Videothek, die nun tatsächlich per Postkarten dem Objekt ihrer Begierde nachstellt. Oder will sie was anderes? Und wieso ist, wenn Edda auftaucht, der Indianer nicht fern?
Warum das Lesen einfach Spaß macht, hat mit den ungewöhnlichen Situationen und einfach der munteren Sprache zu tun. Auch wenn es um andere Charaktere und andere Situationen geht. Man kann gut verstehen, wenn ES WAR EINMAL INDIANERLAND verglichen wird mit TSCHICK von Wolfgang Herrnsdorf. Nur war es dort andersherum. Erst kannten wir den Autor als respektablen, buchpreisnominierten Autor und dann kam mit TSCHICK ein Roman, der einen Jugendlichen, ach was, zwei Jugendliche zum Thema hat. Höchste Zeit, sich einmal doch näher mit Nils Mohl zu beschäftigen, dachten wir uns, denn ohne den Film wären wir nicht auf den Roman gekommen.
Obwohl, das muß man sagen, er vom Verlag her schon an der richtigen Stelle ist. Allerdings ist Rowohlt Rotfuchs eben auch für die nachwachsenden Erwachsenenleser eingerichtet. Angesichts des aufregenden und bunten Films erscheint uns allerdings das Titelbild etwas nichtssagend, daß Hochhäuser von oben und von unten in merkwürdig gedeckten Farben zeigt. Aber der Inhalt, der hat es in sich.
Übrigens: Im Film hatte uns Powwow gar nicht mal verwundert. Dahin wollen ja alle. Erst Jackie und dann findet sich Mausers Vater dort ein, wo er in der Menge untertauchen kann. Am Schluß sind alle dort. Auch der Indianer. Und der gehört am meisten dort hin. Also Powwow, nie gehört und doch ist es einem im Film sofort vertraut. Einfach weil man solche Szenen von Freilichtfestivals kennt. Aber nach dem Lesen sehe ich nun klarer und der Indianer bleibt nicht mehr Phantasie, sondern gewinnt Kontur. Denn diese Festivals gleichnamigen Namens sind den Treffen nordamerikanischer Indianer entlehnt, die dort nichts anderes machen, als zusammenzukommen, um ihre kulturellen Wurzeln zu feiern, zu singen, beisammen zu sein.
Foto: © Verleih
Info zum Buch:
Nils Mohl, Es war einmal Indianerland, Roman, Rowohlt Verlag Rotfuchs, 1. Auflage 2011, 6. Auflage 2017
Info zum Film:
Regisseur: Ilker Catak
Besetzung:
Leonard Scheicher – Mauser
Johanna Polley – Edda
Emilia Schüle – Jackie
Clemens Schick – Zöllner
Joel Basman – Kondor
Johannes Klaußner – Ponyhof