Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist wunderbar, daß zwei Sachverhalte wieder so lebendig werden. Ein positiver, ein negativer. Wenn wir heute den Terror, ob IS oder anderer Gruppen erleben, denkt man, früher war das nicht so virulent. Das stimmt auf Massenmord bezogen.
Aber wie in den Sechzigern nach John F. Kennedy 1963, Martin Luther King 1968 auch Edward Kennedy am 6. Juni desselben Jahres ermordet wurde, wo dann in Berlin schon 1967 Benno Ohnesorg erschossen und 1969 Rudi Dutschke zum Krüppel angeschossen wurde, zeigt, wie blutig es auch damals zuging und daß es immer „die Guten“ waren, die daran glauben mußten, während die Tyrannen weiterherrschten und weitermordeten.
Warm wird einem ums Herz bei allen Passagen zu Prag. An Pavel Schnabel und Milan Horácek personifiziert, wird wieder gegenwärtig, daß einem damals Prag näher lag als Paris, will sagen, daß wir als Studenten organisiert vom ASTA dauernd mit dem Bus nach Prag fuhren, schon lange vor 1968. Wie lebendig war die dortige Szene in der Mischung aus Kunst und Politik, während die gerade stattgefundenen Wahlen in der Tschechischen Republik heute nicht nur einen Milliardär zum Staatsoberhaupt machen, sondern man zudem den Eindruck gewinnt, es gäbe nur noch rechte Parteien.
An den erwähnten Diplomatenprozeß kann ich mich nicht mehr erinnern, wohl aber daß mittendrinnen 1968 Fritz Bauer starb, dessen Tätigkeit und Funktion als Hessischer Generalstaatsanwalt leider einige, die sich als Wohlmeinende dünken, den Respekt versagen und ihn in Spielfilmen zur Karikatur machen. Bauer forderte uns als Schüler dazu auf, nach Bonn zu der großen Demo gegen die Notstandsgesetze zu fahren, weil er – hier anders als Adorno und Horkheimer – nur in der Jugend einen Neuanfang der Deutschen für möglich hielt. Er hatte eine große Erwartungshaltung an die junge Generation. Eine souveräne Figur, der in der Jugendstrafanstalt in Darmstadt die Gefangenen mit: „Liebe Kameraden...“ begrüßt hatte, schließlich hatten ihn die Nazis auch erst ins KZ, dann ins Gefängnis gesteckt.
Aber Bauer spielte für die 68er keine weitere Rolle - wohl diese aber für ihn: „ Gesprächsthema seien auch die Studentenunruhen gewesen und dass er sich hinsichtlich der weiteren politischen Entwicklung sorge (1) -, erst recht nicht, nachdem er am 1. Juli 1968 gestorben war. Keine Ahnung, wer von beiden – Göpfert oder Messinger – die Passagen über den Tod von Bauer geschrieben hat, die ungenau, ja nicht zutreffend sind. Wenn es heißt „Es ergaben sich keinerlei Hinweise auf ein Fremdverschulden“, so wird hier die Mordkommission zitiert. Der Bericht der Kriminalpolizei enthielt aber auch die Feststellung: »Oberstaatsanwalt Krüger ordnete vorsorglich eine Leichenöffnung an, die durch den örtlich zuständigen Staatsanwalt beantragt werden müsste.“(2) Und genau die fand nicht statt. Es geht dabei um die Obduktion nach der Strafprozeßordnung, die zwar gefordert war, aber nicht stattfand, weshalb sich bis heute der Vorwurf hält, daß man nach Fremdverschulden überhaupt nicht adäquat gesucht habe. Spektakulär bleibt dieser Tod, aber schön, daß dieser wichtige Mann wenigstens erwähnt wird, der den gerichtlichen Kampf gegen die Naziverbrecher zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte.
Froh ist man auch von Heinz Brandt zu lesen, diesem antiautoritären Kämpfer in durchaus autoritären Bewegungen. Er gehört zu denen, deren Lebensweg einem Respekt abnötigte, was die damals Jungen den Alten oder Älteren nur ungern attestierten, hatten sie doch dieses deutsche Unheil möglich gemacht.
Immer wieder scheint im Buch auf, wie wichtig die Filme als Reflexion auf das politische Geschehen wurden, sei es positiv wie bei Alexander Kluge oder negativ wie das Machwerk von John Wayne, der mit DIE GRÜNEN TEUFEL den Völkermord in Vietnam rechtfertigen wollte. Auch hier zeigt das Buch seine doppelte Funktion: eine geschichtliche Einführung dessen, was damals los war, für junge Leute und eine Lebensreflexion für die, die dabei waren. Und es kann gut sein, daß es am spannendsten für die Generation dazwischen ist, für die Kinder der 68er. Die haben sowieso viel zu erzählen, von der proletarischen Erziehung bis zum verwöhnten Balg, ging es für die Eltern doch eher um Selbstverwirklichung und Entfaltung in der Gesellschaft. Doch das ist eine andere Geschichte.
Wir folgen dem Buch besonders gerne, wenn es um Harry Buckwitz geht, der in einsamem und furchtlosem Kampf Bert Brecht für die Bundesrepublik aufführungsfähig machte. Heißt irgendein Platz nach ihm oder das Schauspiel Frankfurt Harry Buckwitz Theater? Dabei hat er eine Ära begründet, in der Schüler und Studenten das Theater als Ort der Freiheit von sich aus aufsuchten. Man ging damals einfach ins Theater. Buckwitz, 1951 gekommen, hatte gleich im Jahr drauf auch Georg Solti nach Frankfurt geholt, wo man erst Jahre nach dessen Weggang so richtig verstand, welche Dirigierbegabung Frankfurt besessen hatte, Buckwitz hatte die Doppeltheateranlage mit den wie Wolken hängenden Goldbommerln verantwortet und diese zu einem Ort gemacht, wo Schüler und Studenten sich wohl fühlten und kamen. Man ist froh, davon zu lesen, aber wird auch traurig, wie ihm die konservativ werdende Stadt das Leben schwer machte, bis er 1968 ging, als doch eigentlich Aufbruch angesagt war.
Aber hauptsächlich geht es um ‚echte‘ 68er, es fallen Namen wie Fritz Teufel und die Kuchenschlacht ums Café Laumer in der Bockenheimer Landstraße, das als Spitze des Eisbergs in der kommenden Häuserschlacht im Westend vor dem Abriß bewahrt wurde, als die alten schönen Patrizierbauten und Zeugen des Historismus der begüterten Schichten abgerissen wurden/werden sollten zugunsten der Banken- und Versicherungshochhäuser. Diese Schlacht wurde mittendrin gewonnen, das Café Laumer blieb erhalten, allerdings verkehren dort nicht mehr Studenten, sondern Leute, die sich das leisten können, was auch für die ‚geretteten‘ Häuser im Westend gilt. Folge war die Abwahl des SPD-Bürgermeisters Fritz und die Wahl des CDU-Wallmann für lange von 1977 bis 1986.
Aber da sind wir der Zeit und dem Buch voraus. Aber so ist das beim Lesen. Man liest ja nicht nur das Geschriebene, sondern die Gedanken im Kopf wandern weiter und oft kommt man woanders heraus. Die beiden Autoren werden, so nicht intendiert, sich trotzdem darüber freuen, denn daß die Leute, erst recht die Leser denken, darum geht es beiden.
Anmerkung 1+2
Diese Zitate stammen aus „Die Todesumstände von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903–1968)“ von Dieter Schenk,
http://www.dieter-schenk.info/Anhang/FritzBauer/2012/Schenk.pdf
FORTSETZUNG FOLGT
Foto: © zeitgeschichte-online.de
Info:
Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger, DAS JAHR DER REVOLTE Frankfurt 1968, Schöffling & Co 2017
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Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger, DAS JAHR DER REVOLTE Frankfurt 1968, Schöffling & Co 2017