p radikalenerlasSerie: Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger, DAS JAHR DER REVOLTE Frankfurt 1968 bei Schöffling & Co, Teil 3/6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Buchmesse als Ort der Auseinandersetzung fehlt noch. Und nicht wenige sind aus der Studentenbewegung heraus Verlagsleiter oder zumindest Buchhändler geworden. Das gilt für den Verlag NEUE KRITIK, vom SDS gegründet, der einst Ziehkind der Sozialdemokraten war, deren Mitglieder dann aber im Unvereinbarkeitsbeschluß aus der SPD geworfen wurden, wobei ein Hochschullehrer wie der Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth gleich mitging.

Als wir auf Seite 118 von der Buchmesse lasen, suchten wir zum ersten Mal im Inhaltsverzeichnis Namen, auf die sich die beiden Autoren, die wie gesagt noch nicht dabei waren, bei ihrer Recherche berufen. Da fanden wir hinten auf Seite 291 aufgezählt als Zeitzeugen 24 Personen, davon 4 Frauen, diese wie auch die allermeisten Männer aus dem Spektrum der späteren Grünen. So richtig ausgewiesene Sozialdemokraten, die damals immer wieder die Prügel für die Studenten einstecken mußten, sind unter den Befragten Heiner Halberstadt, Jahrgang 1928 und Martin Wentz, Jahrgang 1945.

Geschaut hatten wir bei den Interviewten, weil uns interessierte, wer über die Buchmesse Auskunft gegeben hatte. Peter Weidhaas, damals bei der Messe angestellt, später von 1975 bis 2000 selbst Buchmessendirektor, ist wirklich eine gute, glaubwürdige Adresse dafür. Er nahm sein Amt in der Zeit, als Befreiungsbewegungen, insbesondere in Lateinamerika eine neue Dimension erreichten, ernst. Aber 1968 haben noch eine starre Leitung und ein unbeweglicher Suhrkampverleger Siegfried Unseld, der gleichwohl die theoretische Literatur in seinem Verlag veröffentlicht hatte, dafür gesorgt, daß Studenten auf der Buchmesse zu Märtyrern wurden, was die Paulskirche und die dortigen Ehrungen des Friedenspreises miteinschloß. Auch daß sich ein großer Teil der Belegschaft vom Suhrkampverlages trennte und im Verlag der Autoren zusammenschloß, gehört dazu. Was die Buchmesse angeht, denkt man beim Lesen über damals an die rabiaten Auftritten der rechten Verlage auf der diesjährigen Buchmesse und die entsprechenden Protesten dagegen und weiß, daß das gesellschaftliche Umfeld damals und heute doch entscheidend andere sind, was die Mehrheiten angeht. Und daß das so ist, hat sicherlich auch mit dem Nachwirken der 68er zu tun.

Das TAT hatten wir ungerechterweise übergangen, dabei war es für die folgenden Jahre der Hupf und Sprung der Aufklärung in Frankfurt und zudem demokratisch verfaßt, also ein Mitbestimmungsmodell, das schwierig blieb. Und auch den Kaufhausbrand von Ensslin und Baader, der am 14. Oktober 68 begann, wollen wir nur streifen. Das ist bekannt genug und geht über Frankfurt weit hinaus, ist auch nicht aus der Frankfurter Studentenbewegung hervorgegangen. Interessant, daß zwei der Verteidiger einen diametral unterschiedlichen Weg nahmen: Horst Mahler, erst RAF, dann Rechtsextremer, Otto Schily, Grüner, dann SPD und Bundesinnen- und damit Verfassungsminister.

Es gab aber auch den Prozeß gegen die SDS-Vorsitzenden KD Wolff und den SDS, der später eingestellt wurde und in dem das Verlagshaus Regress wegen der Blockade der Auslieferung forderte. Der Protest der Studenten verlagerte sich in die Universität zurück und – so ungerecht ist das Leben – richtete sich zuvorderst an die aufgeklärtesten Köpfe wie Adorno, der im Jahr drauf den Herztod starb, und Horkheimer, auch Habermas.

Längst aber hatten sich die politischen Ansichten der erst einmal im Protest gegen die Reaktionäre geeinigten Studenten differenziert: von KPD/DKP Nahen über KPD/ML und Maoisten und den seltsamen KBW, der mit seiner dämlichen Referendarskampagne KEINE FÜNFER UND SECHSER für Schüler als erstes seine eigenen Anhänger ins Aus schoß. Handelten nämlich die Referendare nach dieser Politparole, sorgte dies für die sofortige Entlassung der rechtlich ungesicherten Referendare. Der KBW hätte natürlich für seine Kampagne beamtete Lehrer nehmen müssen, wo dann nach dem Beamtenrecht größere Folgen, auch Gerichtsverfahren das Thema zu einem öffentlichen gemacht hätten. Allerdings ist anzunehmen, daß ausgewachsene Lehrer diese Parole dank ihrer beruflichen Erfahrung für dummes Zeug gehalten und nicht vertreten hätten.

Was gab es noch: Splitterung, Abspaltungen aller Orten, in den Gewerkschaften die empörenden gewerkschaftlichen Unvereinbarkeitsbeschlüsse von 1973, die dem staatlichen Radikalenerlaß von 1972 folgten. Letzerer war die Maßnahme des Staates, mit der er sich vor Anhängern der oben genannten, überwiegend studentischen K-Gruppierungen als Verfassungsfeinden schützen wollte. Daß die Gewerkschaften mit ihrem Unvereinbarkeitsbeschluß dieselben Menschen dann auch noch ohne gewerkschaftlichen Schutz ließen, wird für immer der entscheidende politische Fehler dieser Zeit und dieser Funktionäre bleiben. Dies wurde vor allem für ÖTV und GEW wichtig, wo gerade die Mitglieder, die die Gewerkschaften als Kämpfer für gesellschaftliche und schulische Veränderungen dringend gebraucht hätten, ausgeschlossen worden waren.

Stimmt, davon liest man nichts in diesem Buch, dabei gehört es zu den wichtigen Folgen, der Studentenbewegung, zu der andererseits, jetzt positiv, auch die Bundestagswahl am 6. August 1969 gehört, wo die SPD unter Willy Brandt 42, 7 Prozent erreicht und mit den 5, 8 Prozent der FDP erstmals die Bundesregierung stellt. Das war im Bewußtsein der Bevölkerung eine neue Zeit, weil Brandts Motto: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ ernst gemeint war und auch so verstanden wurde. Seine Ostpolitik, später der denkwürdige und spontane Kniefall am 7. Dezember 1970 am Ehrenmal für die Ermordeten des Warschauer Ghettos, veränderte mehr in der politischen Landschaft als alle möglichen Papiere und Beschlüsse. In gewissen Sinn war auch die aufbegehrende Studentenbewegung zergebröselt und verfolgte nun mehr oder weniger intensiv in verschiedenen Splittergruppen die Ideale, die sie einst geeint hatten.

FORTSETZUNG FOLGT

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Info:
Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger, DAS JAHR DER REVOLTE Frankfurt 1968,  Schöffling & Co 2017