68 wolffSerie: Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger, DAS JAHR DER REVOLTE Frankfurt 1968 bei Schöffling & Co, Teil 5/6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eine Sonderrolle spielte auch Daniel Cohn-Bendit, aus zwei Gründen. Seine jüdische Familie war von den Nazis verfolgt worden, ging nach Frankreich, weshalb er so französisch wie deutsch wurde.

Über das Leben seiner Eltern, die sich gleich 1933 vor den Nazischergen nach Paris retten, dann nach der deutschen Besetzung nach Südfrankreich fliehen konnten und dort versteckt wurden, als die Deutschen auch den Süden besetzten, wo Daniel am 4. April 1945 geboren wurde, wußte ich wenig – oder hatte es vergessen. Die Eltern trennten sich später, der Junge blieb bei der Mutter in Paris, besuchte aber oft den Vater, der nach Frankfurt am Main zurückging – als Rechtsanwalt, aber schon 1959 starb. Die Mutter starb drei Jahre später, mit 18 Jahren war Cohn-Bendit Vollwaise. Die Ausführungen über Cohn-Bendit sind die ausführlichsten, auch wärmsten und in der Tat wurde er - neben Joschka Fischer im eher formalen Sinn - der einzige politische wirklich Erfolgreiche der 68er Bewegung, dem die Herausgeber die Seiten 163-195 widmen, einschließlich eines Interviews mit ihm.

KD Wolff ist der nächste Porträtierte, der zusammen mit seinem Bruder Frank den Sozialistischen Deutschen Studentenbund, SDS, führte, als aus dem Studentenbund die führende Bewegung im Studentenprotest wurde. Er ist schon sehr lange ein wichtiger Verleger ist, der bibliographisch erstaunliche Ausgaben der Klassiker veröffentlicht und dafür zu Recht Preise erhält. Auch wenn man den eher wortkargen, aber messerscharf formulierenden KD Wolff kennt, weiß man doch wenig über das Herkommen, weil die Gegenwart immer Kindheit und Jugend überlagerten. Darum ist man beim Lesen bestürzt, daß auch er seine Eltern so früh verloren hat, der Vater wird, als KD siebzehn ist, von einem Betrunkenen überfahren, die Mutter stirbt drei Jahre darauf. Noch ein Vollwaise, d.h. zwei, die Wolff-Brüder. Und auch Hans-Jürgen Krahl hatte keinen Vater mehr.

KD Wolff kam erst 1966 nach Frankfurt zu einem Vietnamkongreß, dann wieder 1967 zur Wahl der neuen Führung des SDS, wo die beiden Brüder dann Vorsitzende wurden. Der Mord an Benno Ohnesorg brachte immer breitere Zustimmung und Mitglieder zum SDS, aber auch eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, für die der SPD-Abgeordnete Hans Matthöfer stand. Wolff konnte auch die Gewerkschaftsjugend miteinbeziehen. Der Protest gegen die Notstandsgesetze führte zum Sternmarsch nach Bonn, an dem auch ich teilgenommen hatte, als eine von rund 300 000!! Gut, daß man das heute nachlesen kann. Und auch KD Wolffs Worte: „Die radikal demokratische Opposition sieht sich heute dem zynischen Versuch gegenüber, brutale Gewalt der herrschenden Klasse fortan in der Verfassung zu verankern.“ Markig gesprochen. Und im übrigen führte der Kampf gegen die dann doch beschlossenen Notstandsgesetze dazu, daß diese nicht angewandt wurden. Sie waren ‚verbrannt‘. Immerhin das.

Seine knallharte Analyse, daß sich nichts auf Dauer positiv verändert habe und zusätzliche derzeit eine Rückwärtsbewegung stattfinde, trifft unsere bisherigen Einschätzung und Ausführungen, was das Politische angeht. Nur in den Verkehrsformen hätten Liberalisierungen tatsächlich zu einer Aufweichung der starren Lebensmuster geführt. Nach der Auflösung des SDS im März 1970 hat sich Wolff keiner politischen Bewegung oder Partei mehr angeschlossen. Sein Verlag steht für Aufklärung und die Macht der Literatur. Daß das politische Erbe der Studentenbewegung den Grünen zugefallen sei, sieht er mit Mißfallen: „...dieses politische Erbe hält er für unverdient: ‚Der eine erbt was, der andere ist enterbt.‘, sagt der 74-äJhrige und lächelt dünn. Nein, Wolff hat es stets abgelehnt, sich der Partei der Grünen zur Verfügung zu stellen. Er hält sie für eine bürgerliche Entartung der alten revolutionären Ideale...und legt Wert auf die Feststellung: ‚Ich habe auch nie die Grünen gewählt.‘“ Da bin ich mit ihm einig.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:  KD Wolff © denkerei-berlin.de

Info:
Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger, DAS JAHR DER REVOLTE Frankfurt 1968,  Schöffling & Co 2017