Nicht immer die allerneuesten, aber richtig gute Bücher verschiedener Genres und Themen, Teil 19/30
Felicitas Schubert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Breiten Raum nimmt in der Biographie über JOHANNA DIE WAHNSINNIGE ihre weitere Familiengeschichte ein, wie der Besuch der kaiserlichen Familie Weihnachten 1536 in Tordesillas, wo Johanna wie eine Gefangene residierte und wie eine Königin gefangen war.
Isabella von Portugal, die sanfte und von Karl V. tiefgeliebte Gattin war mit dem Kaiser und ihren drei Kindern eine Woche lang zu Besuch bei Schwiegermutter, Mutter und Großmutter. Sie lebte lange, diese Johanna, und als sie am 12. April 1555 starb, wurde ihr Wahnsinn als so gemildert diagnostiziert, daß sie die Letzte Ölung erhalten konnte. Das wußten wir zuvor auch nicht, daß jemand 'ohne Verstand' in der Katholischen Kirche nicht die Letzte Ölung bekommen konnte oder kann?
Auf jeden Fall war sie aber nicht als so gesundet angesehen, daß man ihr die Heilige Kommunion zutraute. Also war auch diese an ein Gesundheitsattest geknüpft, für das extra die Universität von Salamanca ihren bedeutendsten Theologen nach Tordesillas schickte. Man liest das Buch von Àlvarez mit Bewegung, weil der angebliche Nutznießer von allem, Karl V. zwar ein Weltreich geerbt hatte, aber keines, das man hätte regieren können, weshalb er zeit seines Lebens überfordert und unter ungeheurem Druck stand. Dem hielt er mental stand, im Gegensatz zu seiner Mutter, aber emotional nur durch Reduktion seiner Gefühle und eine tiefe Gläubigkeit dem größeren Herrn als ihm gegenüber.
Zur Gefühlsreduktion und Herrscherspielen war er ein Jahr nach dem Tode seiner Mutter nicht mehr bereit, dankte ab, sein Sohn Philipp II. erhält das Spanische Reich und die Niederlande, sein Bruder Ferdinand die Kaiserwürde und das Heilige Römische Reich. Karl V. geht ins Kloster Yuste in die Extremadura und stirbt dort am 21. September 1558. Nur drei Jahre nach seiner Mutter. Eine traurige Familiengeschichte bei so viel Erdenmacht.
MEISTER ECKHART
Kurt Flasch ist uns als Autor vielfacher Kulturartikel gegenwärtig, für die er u.a. im Jahr 2000 den SIGMUND FREUD PREIS FÜR WISSENSCHAFTLICHE PROSA der deutschen Akademie für Sprach und Dichtung in Darmstadt erhielt. Wie viele Bücher der emeritierte Professor für Philosophie schon im Verlag C.H. Beck veröffentlicht hat, entnehmen wir voll Bewunderung dem Klappentext. Sie haben durchaus einen Zusammenhang mit diesem Buch, ebenfalls im C.H. Beck Verlag im Jahr 2006 erschienen, dessen Untertitel DIE GEBURT DER 'DEUTSCHEN MYSTIK' AUS DEM GEIST DER ARBISCHEN PHILOSOPHIE lautet, dem wir uns ebenfalls fast ein wenig andächtig nähern.
Uns ist MEISTER ECKHART – geboren um 1260 und vor dem 30. April 1328 in Avignon gestorben - nämlich äußerst gut bekannt. Es verging kein Tag, ohne daß ein Zitat unseres Vaters den Tag erklärte oder ihm ein Ziel gab und es verging kein sonntäglicher mehrstündiger Spaziergang auf den Rossert (Taunus), ohne daß irgendeine Begebenheit, ein Einfuß auf jemanden oder sonst etwas Wichtiges zu Meister Eckhart eine Rolle spielte. Von arabischem Einfluß allerdings kein Wort, obwohl es die Vorvätergeneration unseres Vaters war, die um die Jahrhundertwende zumindest die asiatische Philosophie – Indien und China – in Deutschland in Form der herrlichsten Bücher pflegte.
So haben wir von unserem Vater die tiefsten Philosophenweisheiten erfahren, insbesondere die des Mystikers Eckhart geradezu verinnerlicht, die trotzdem dann dazu führten, daß wir uns in akademischen Kreisen erst einmal nicht trauten, den Mund aufzumachen, wenn die Sprache auf Meister Eckhart und Konsorten kam. Wir haben nämlich als Erwachsene dann doch festgestellt, daß mündliche Aussagen über philosophische Tatbestände und Personen mehr über die Interpretation des Gedacht/Gesagten durch den Sprecher aussagen, als über den beweisbaren Inhalt der zitierten Personen.
Und nun also arabische Wurzeln? Das liegt uns erst einmal ganz nah. Spätestens seit wir die Ereignisse um Ramon Llull kennenlernten, 1232 in Palma de Mallorca geboren, Anfang 1316 auf der Rückfahrt nach Mallorca von Tunis aus, ob nun als Märtyrer erschlagen oder nicht, und seinen unglaublichen Einfluß auf das christliche Abendland, glauben wir Kurt Flasch die Feststellung der Wesensverwandtschaft zwischen Eckhart und arabischen Wurzeln sofort. Schon deshalb, weil die gesamte mittelalterliche Scholastik einen Diskurs mit den arabischen und jüdischen Intellektuellen führte.
Kurt Flasch setzt nun – und wir sind froh drum - nicht eine Beweislawine in Gang, die uns mit der formalen Kraft von Zitaten im Werk von Eckhart konfrontierte, die direkt abgekupfert wären von arabisch-jüdischen Geistesgrößen, sondern entwickelt sehr einsichtig die mittelalterliche Welt als eine der wechselseitigen philosophischen Diskussion. Dabei sind wichtige Namen Albertus Magnus und Dietrich von Freiberg, die den arabischen Denker Averroes unserem Meister Eckart nahebrachten, was man beim Lesen von Eckharts Texten nachempfinden kann. Es geht also um Anverwandeln sehr viel mehr als um Übernahmen. Mit diesem Buch ist die Erforschung dieser Jahrhunderte weiter auf dem Weg, den unser heutiges Europa erst wieder zu den komplexen intellektuellen Netzwerken über Länder- und Erdteilgrenzen hinweg finden muß, die unsere Vorfahren ohne Netz und schnelle Vermittlung schon einmal beherrschten.
INFO:
Hermann Laage und Norbert Roedel, OPERATION NOYADE. Der letzte Flug von Antoine de Saint-Exupéry in den Vercors. EIN UNGEWÖHNLICHER BERICHT, Karl Rauch Verlag 2010
Manuel Fernández Àlvarez, JOHANNA DIE WAHNSINNIGE (1479-1555). Königin und Gefangene, C.H. Beck 2005
Kurt Flasch, Meister Eckhart. Die Geburt der 'Deutschen Mystik' aus dem Geist der arabischen Philosophie, C.H. Beck 2006