Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Irgendwann vor Jahrzehnten, hatte ich dieses Buch gelesen und gleich als ich die ersten Sätze nun wieder las: „Es war ein kalter Wintermorgen in Syrien. Früh um fünf Uhr wartete auf dem Bahnhof von Aleppo der Zug, der in den Kursbüchern großspurig als „Taurus-Express“ bezeichnet wird.“, wußte ich: „Genau!“, ich war ja schon dort.
Im Ernst, aber nicht nur in Aleppo, auch in Israel und sogar Ägypten, vor langer Zeit hatte ich auch die dürftigen Spuren des damaligen internationalen Zuges immer wieder mal Augen gehabt, im Sand, nur einige Schienen, dazu große Tafeln, die davon kündete, daß hier die Strecke verlaufen sei. Man wollte sie zudem neu beleben. Stattdessen ist heute Krieg mitsamt Bürgerkrieg. Nun entspricht dieser Anfang auch dem Film...., denn das Buch lesen wir mit der Absicht, welche der drei Verfilmungen, die wir gerade gesehen haben, dem Text und der ihr innewohnenden Geschichte , also die Zeichnung der Personen, das Gefühl beim Lesen etc. am nächsten kommt.
Aha, Hercule Poirot wird mit Pomp verabschiedet, er hat dort einen unaufgeklärten Mord so geklärt, daß nun das große Aufatmen beginnt. Wir bekommen den Dank des englischen Militärs mit – klar, die Kolonien-Engländer saßen ja überall in den arabischen Ländern . Was sich schon nach 2-3 Seiten einstellt, ist ein süffiges Lesen, es ist witzig, wie die Nationaleigenschaften der Engländer der Engländerin Agathe Christie einer besonderen feinen Ironie würdig sind. Mit dem Florett ficht sie – und gleichzeitig doch auch so verallgemeinernd, daß es an Plattitüden nur deshalb so leicht entlangschrammt, weil es selbstironisch ist. Zwei Personen der späteren Reisegesellschaft sind schon im Zug. Das ist die junge Miss Debenham, Gouvernante, die ein Jahr in Bagdad gearbeitet hatte und auf Poirot smart, weltgewandt und ‚very british‘ wirkt sowie Colonel Arbuthnot, die beide so tun, als ob sie sich gerade kennenlernen, eine Szene, die an anderer Stelle in jedem der Filme vorkommt. Und die erwähnte Selbstironie wird immer wieder mal virulent , wenn von den Gedanken der Personen gesprochen wird:‘Sein Blick streifte ganz kurz Hercule Poirot, der die englische Seele verstand, wußte genau, daß er bei sich gesagt hatte: „Bloß wieder so ein komischer Ausländer.“‘
Und dann, als der Detektiv nach der Ankunft in Istanbul den Bosperus überquerend gerade abends im Hotel eingetroffen war, wo er einige Tage bleiben wollte, da erhält er das Telegramm, das ihn sofort nach London zurückbeordert. Sicher ein Mord. Also rasch für den gleichen Abend eine Fahrkarte im Simplon-Orientexpress: „Bien, Monsieur. Ich besorge Ihnen eine Fahrkarte nach London und lasse Ihnen ein Schlafabteil im Kurswagen Istanbul- Calais reservieren.“ Zur Schreibe der Autorin gehören solche Situationen, daß eine Absicht Poirots unmöglich wird, dann aber eine Person, die ihm Dank schuldet, als deus ex machina auftaucht und alles im Sinne des belgischen Ermittlers löst. So auch hier, als auf einmal alle Plätze besetzt sind, aber er mit Monsieur Bouc auf den Direktor der Eisenbahngesellschaft trifft, der alles möglich macht und zudem noch mitfährt. Aber auch dieser Vorgang hat einen Hintersinn, sonst, so sagt der Portier, ist der Zug völlig leer und heute ausgebucht. Damit erhalten wir den ersten Hinweis darauf, daß diesmal im Zug etwas anders ist als sonst. Kein Wunder. Die Einzelpersonen entpuppen sich ja als....
Was man als literarischen Trick bezeichnen könnte, hat einen tiefen Hintersinn, denn mit der Einführung neuer Personen gibt Christie auch immer gleich die Beziehung bekannt, die diese Person mit Poirot verbindet, und so wird der Leser in ein Beziehungsgeflecht hineingezogen, wo Figuren zudem in früheren Krimis schon vorkamen oder in künftigen dann als Retrospektive erscheinen. Das schafft beim Lesen ein Klima von Eingeweihtsein, was den Vorgang, daß sich dieser Krimi wie von selbst liest, verstärkt. Ach ja, und wer es immer noch nicht weiß, der sollte erfahren, daß Agatha Christie diese Länder alle aus eigener Anschauung kannte, weil sie ihren Mann, einen Archäologen, bei seinen Ausgrabungen begleitete und dann Zeit genug hatte....
Es geht sogar noch genauer, denn die erste Ehe der geborenen Agatha Miller als Agatha Christie lief nicht gut, nach 14 Jahren die Scheidung 1928; sie verließ London und fuhr mit dem Orientexpress nach Bagdad zu Freunden. Dort im Irak lernte Jahre sie zwei Jahre später den 14 Jahre jüngeren Archäologen Max Mallowan (klingt wie erfunden oder aus einem Roman der Agatha Christie) kennen und lieben, wie es so heißt. Auch deshalb spielen so viele ihrer Kriminalromane mit Hercule Poirot in der arabischen Welt, die damals noch Kolonien der Engländer waren.
Erst wenn man einiges aus der Lebensgeschichte der Autorin kennt, werden bestimmt Vorlieben erklärlich. So gibt es ununterbrochen Bemerkungen über typische Engländer oder Amerikaner mit vielen Wertungen zu Vorgängen, Aussehen, Verhalten etc. Weiß man, daß der Vater der Christie ein Amerikaner war, der in England mit amerikanischen Trusts und anderen Unternehmungen viel Geld verdiente, dann auch viel verlor, so versteht man sowohl die gesellschaftlichen Wertungen der Autorin besser wie auch ihre Kenntnisse über Geschäftsleben in den USA, Sprachunterschiede etc., die auch im ORIENTEXPRESS zum Ausdruck kommen.
Fortsetzung folgt
Foto: © agathachristie.com
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