Nebel Im August Ernst Lossa Robert Domes 2017 ,Die Grauen Busse‘ sind ein Mahnmal für das Stabbrechen des Menschen über die eigene Art,  Teil 2/4

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Roman ‚Nebel im August‘, geschrieben von Robert Domes, ist 2008 erschienen. Als ‚Jenischer‘ ist der junge Ernst gleichbedeutend mit einem Zigeuner, er wird als asozialer Psychopath abgestempelt und bekommt 1944 die Todesspritze. So verlangt es die Ideologie der ‚NS-Euthanasie‘.


Die Nonnen sagten: Ernst Lossa „fügt sich nur dem Zwang“

Ernst (01.11.1929 - 09.08.1944) war nicht schwer erziehbar, er war nur etwas schwierig. Seine Familie gehörte der Volksgruppe der Jenischen an. Die Volksgruppe des Fahrenden Volkes war für die Nazis alleine schon der Grund, eine Menschengruppe, die uralt ist, zu diffamieren und für lebensunwert zu erklären. Die Jenischen entsprachen nicht dem Klischeebild des im NS-Regime angesagten Volksdeutschen. Ohne den Verfolgungswahn des Nationalsozialismus gegenüber den ihm nicht genehmen Menschen hätte Ernst, wie seine Schwestern, ein unscheinbares Leben als Händler, Künstler oder Zirkusartist gelebt. Er hätte vielleicht ein Fahrgeschäft eröffnet, denn ‚er konnte gut mit den Leuten‘, wie Autor Domes vor den Schülerinnen und Schülern ausführte.

Eine Gruppe von Jenischen findet sich auch in der Bonameser Straße in Frankfurt am Main. Auch sie fallen weiterhin noch unter den pauschal und abwertend benutzten Terminus ‚Zigeuner‘, vor allem deswegen, weil sie nicht als so unbedingt und kompromisslos sesshaft einzustufen sind, wiewohl es auch sesshafte Jenische gibt. Manche wählen je nach Präferenz beide Möglichkeiten. Aber selbst Menschen mit Fahrgeschäften werden schon mit Misstrauen beäugt. Auch die Familie von Ernst wusste sofort, dass die Nazis ‚sie auf dem Kieker haben‘. Dass der Vater gutes Geschäfte machte - er schuf Arbeit - nutzte nichts.

Autor Domes hat aus seinen umfangreichen Recherchen zu Ernsts Leben und Sterben – er sprach von einem Puzzle – eine Romangeschichte gemacht, indem er sich schreibend in Ernst hinein verwandelte, während sich Leserinnen und Leser in das Drama eines Lebens lesend hineinversetzen und seinen Stationen folgen. Die Geschichte ist aus dem Blick von Ernst geschrieben, das Wissen entstammt letztlich aber aus der Lage von Akten. Denn die Nazis waren zutiefst bürokratisch im präzisen Protokollieren ihrer unsäglichen, todbringenden Machenschaften. Der Roman wurde auch verfilmt und es gibt eine gedruckte Kurzfassung der Lebensgeschichte von Ernst. Autor Domes hat sechs Jahre an dem Roman gearbeitet. Er berichtete ausführlich über seine Vorgehens- und Arbeitsweise.


In den Anstalten und Vernichtungseinrichtungen war massenhaft Tod und Leiden

Dieses war kaum auszuhalten für einen Menschen. Im Augsburger Waisenhaus herrschte die gnadenlose Hackordnung. Da nun die Familie unter erschwerten Bedingungen lebte, wurden ihr die Kinder lt. Fürsorgeanordnung weggenommen (die Mutter war lange krank, sie starb 1933 an TBC, 3 Monate nach Wegnahme der Kinder). Ernst wurde mit der Straßenbahn überführt. Er merkte, jetzt ist etwas Furchtbares passiert. Der Vater landete im KZ Dachau, weil er sich mal als Kleinganove betätigt hatte, wodurch er für die Nazis sofort als Schwerverbrecher eingestuft wurde und unter das Vernichtungskalkül fiel.

Jahre später, in der Außenstelle Irsee Frühjahr 1944, wurde ärztlicherseits Mord an Patienten und anderen Schutzbefohlenen begangen. Es ging die Mundpropaganda um, ‚es sterben zu viel Patienten‘, ‘der Dorffriedhof reicht nicht‘, ‚Wasser schwemmt die Toten wieder hoch‘ - die Todesrate auf der Frauenstation war hochgeschnellt. Es ist böse Stimmung unter den Pflegern, etwas schien nicht mit rechten Dingen zuzugehen. ‚Große Verbände landen in der Normandie.‘ Ernst verliebte sich in die junge Teresa, aber er fand sie in weiße Laken bedeckt. Um ihren Mund klebte weißer Schaum. Sollte sie denn so schnell am Fieber gestorben sein?

Die Rassen- und 'Euthanasie'-Lehre der Nazis

In der Konsequenz der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Lehre wurde Ernst ermordet als er 15 Jahre alt war. In der Nacht zum 9. August 1944 bekam er in der psychiatrischen Anstalt von Kaufbeuren die Todesspritze. In der Kinderfachabteilung lässt Anstaltsdirektor Valentin Faltlhauser systematisch Kinder töten. 210 werden bis Kriegsende „weggespritzt“. Es war Praxis, dass mit Überdosen von Medikamenten und Opiaten Menschen - die nur ahnten, was ihnen geschieht - Todesspritzen gesetzt wurden. Aribert Heim, auch ‚Dr. Tod‘ (zugleich der Titel eines Buches) genannt, war lange Zeit der meistgesuchte NS-Verbrecher. Er hat mit Benzin versetzte Spritzen an Kinder verabreicht. Er glich Josef Mengele. Über Jahrzehnte konnte er sich der Gerichtsbarkeit entziehen, weil er Kumpane hatte, die die Hand über ihn hielten. Seine Hinterlassenschaften wurden erst 2009 in Kairo aufgespürt (Buch informiert).

Der Autor, der kluge Nachfragen aus der anwesenden Klasse erhielt, machte deutlich, dass das Unrecht mit vieltausendfachen Tötungen (sofern nicht bloßes Verhungern Lassen vorgezogen wurde) nachher nur mit skandalös milden Urteilen bedacht wurde. Der Chefarzt bekam 3 Jahre Haft, wegen Beihilfe. Kollegen stellten ein Gutachten aus, das ihn für nicht haftfähig erklärte. Viele wurden gar nicht verklagt. Beliebt war, sich auf die Ausflucht des Befehlsempfängers herauszureden. Nur wenige haben ihre Schuld einbekannt.

Die Höllentaten waren Teil der Aktion T4, die Hitler 1939 mit einem Geheimschreiben in Gang gesetzt hatte. Ärzte sollten Menschen mit unheilbaren Krankheiten benennen, um ihnen den sogenannten Gnadentod ‚zu gewähren‘. Diese Menschen erklärte das NS-System für ‚lebensunwert‘. Schizophrenie war eine todeswürdige Krankheit. Die noch unbeantwortete Frage ist nun, wie Mediziner und Medizinerinnen sich in den Dienst dieses Ungeistes stellen konnten. Noch in lebhafter Erinnerung ist eine Debatte über die ‚Euthanasie‘, die ein Arzt-Onkel, der der Mordmaschinerie nicht angehörte, im Familienkreis der Fünfziger anstieß.

Gleichwohl dürfte davon auszugehen sein, dass die überwiegende Zahl der Mediziner mit der Logik der Euthanasie – und zwar natürlich aus rein wissenschaftlichem Anlass (wie sie meinten) - vertraut waren, denn sie war der dunkle Teil eines kruden naturwissenschaftlichen Weltbildes, das im 19. Jahrhundert seinen Ausgang nahm - als Vulgärdarwinismus. Das merkwürdigste an der Geschichte ist aber, dass eine Gattung, die seit Millionen von Jahren in sonoren und hegeräumlichen Gruppenkörpern durch riesige Zeiträume driftete, plötzlich auf den Gedanken kam, Artgenossen, die Leib von ihrem Leib, Art von ihrer Art sind, aufzugeben und abzuschreiben - und ans Messer zu liefern. Komisch auch, dass Ärztinnen und Ärzte, die für Leben stehen, zu Todbringern („Engeln“) werden und dies für etwas Gutes halten. Die ideologische Fakeproduktionsmaschine hierfür aber war der Nationalsozialismus.

Die eine Schwester von Ernst, Amalia, lebt noch, ist hochbetagt. In früheren Jahren waren die Schwestern hochtraumatisiert, nach und nach aber konnten sie mit dem Buch und dem Film etwas anfangen, begannen sich zu erinnern. Die Scham, die mit dem Anderssein in seelischer Hinsicht konventionell korrespondiert, ist in allen Fällen die alles überragende Tatsache, die eine Hemmung in Gang hält. Nach einer Preview haben sie den Film dann doch auch abgesegnet. Zum Teil erkannten sie sich erst im Film wieder.


Foto:
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Robert Domes, ‚Nebel im August‘, Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa, Verlag Cbt  2008, ISBN-13: 9783570304754, erhältlich auch als Filmbuch, Hörbuch, DVD, eBook


WELTEXPRESSO hatte den Film NEBEL IM AUGUST zum Anlaufen in deutschen Kinos rezensiert:

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