c ArchivioCaroline Lüderssen: Eine Kathedrale in Musik. Das Archivio Storico Ricordi, Prestel Verlag

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Was für eine Opernwelt sich doch offenbart, wenn man sich nur einmal die Illustrationen in diesem prächtigen Band anschaut: Zwei herrliche Kostümentwürfe zu Puccinis „Turandot“ springen da ins Auge, 1926 entworfen von Umberto Brunelleschi, faszinierend seitens ihrer Exotik, dem guten Geschmack und der Schönheit, die damals die Opernausstattungen auszeichneten.

c StoricoSelbstredend trägt der Calaf hier einen auffallenden Turban, ansprechend koloriert in Grün und Blau, und dazu einen raffinierten Zweiteiler mit einer gemusterten Orientalenhose in Rosa. Für die Titelheldin sieht der Italiener eine prächtige Krone und eine imposante Robe mit Drachenmustern vor. Blättert man noch ein paar Seiten weiter, dann gelangt man auf eine geradezu atemberaubende Zeichnung mit einem Entwurf zu der 1918 in Mailand uraufgeführten Oper „Die Traumprinzessin“ von Riccardo Pick-Mangiagalli. Eine extravagante Schöne bezaubert hier mit einem majestätischen barocken Reifrock mit hübschen, bunten Blumen- und Tierornamenten, und auf ihrem Kopf beeindruckt eine Art Sultanshaube mit einem imposanten Federbusch obendrauf.

Alle diese Zeichnungen und Skizzen sind Teil eines großen Schatzes, jener einzigartigen Sammlung aus dem Hause Ricordi. Das berühmte Verlagshaus hat nicht nur alle bedeutenden italienischen Komponisten des 19. Jahrhunderts verlegt und persönlich gute Kontakte zu Größen wie Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini gepflegt, sondern sich eben auch als Archiv sehr verdient gemacht. Schon früh begann Verlagsgründer Giovanni Ricordi (1785-1853), als professioneller Geiger auch praktisch in der Musik erfahren, Partituren und Libretti zu sammeln. Einen weiteren wertvollen Grundstock seiner Sammlung bildet der Fundus der Mailänder Scala, den das Opernhaus 1825 an ihn verkaufte.

Und so wie Ricordi mit allen italienischen Musikgrößen in bestem Kontakt stand, sich Aufführungsrechte sicherte und sogar Besetzungen und Inszenierungen der Komponisten in ihrem Sinne an den Theatern kontrollierte, kam im Laufe zweier Jahrhunderte eine unschätzbare Sammlung zustande, seit 1994 findet sie sich im Besitz von Bertelsmann. Sie enthält rund 8000 handschriftliche Partituren, über 10.000 Libretti, an die 15.000 Briefe von Komponisten und Librettisten, über 10.000 Bühnenbildentwürfe und Figurinen, über 6.000 Fotografien, Plakate, Zeichnungen und Drucke von Opernbühnen- und Kostümentwürfen.

Caroline Lüderssens wunderbares Buch gibt mit einer repräsentativen Auswahl einen guten Einblick in dieses gewaltige Archiv, das man allzu gerne auch heutigen Regisseuren, Bühnen- und Kostümbildnern ans Herz legen möchte, deren Arbeiten daran gemessen uninspiriert und hässlich anmuten.

Eine wichtige Recherchequelle bietet das Archiv freilich auch für Historiker und Theaterwissenschaftler, lässt sich doch, wie etwa auch der Komponist Luciano Berio konstatierte, dank der umfangreichen Korrespondenzen der kreative Prozess rekonstruieren, der zu den Partituren geführt hat.

Zu den Perlen des im Hochglanzformat auch ansprechend präsentierten lesenswerten Buchs zählen freilich auch ausgewählte, der im Grafikbüro des Ricordi-Verlags entworfene nostalgische Plakate und Titelblätter, zum Beispiel zu „Madame Butterfly“, „Tosca“ oder „Simone Boccanegra“.


Foto:
Cover und aus dem Band © Prestel Verlag

Info: 
Caroline Lüderssen: Eine Kathedrale in Musik. Das Archivio Storico Ricordi. Prestel, 2017. 224 Seiten. 280 Abbildungen. 49,95 Euro