LiBeraturpreis 2011 übergeben an Nathalie Abi-Ezzi für ihren Roman “ Rubas Geheimnis“, erschienen bei Rowohlt
von Elisabeth Römer
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Vor 23 Jahren fand sich in Frankfurt am Main eine erst einmal kleine Gruppe zusammen, um im Zusammenhang mit der Buchmesse einen Preis auszuloben, der denen gilt, die auf der Welt auch in der Literatur besonders vernachlässigt werden: Schriftstellerinnen aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Den 24.Preis, den LiBeraturpreis 2011, erhält in diesem Jahr die 1972 im Libanon geborene Nathalie Abi-Ezzi. Das hatte die Jury im Juli bekanntgegeben. Heute nun, am Sonntag vor der Buchmesse, fand die inzwischen traditionell feierliche Übergabe des Preises in der vollbesetzten Frankfurter Christuskirche statt.
Das Preisgeld von 500 Euro hat einen eher symbolischen Wert, aber die mit dem Preis verbundene Einladung zur Frankfurter Buchmesse ist es, die diesen Preis zusätzlich zu der Auszeichnung interessant macht, ist es doch Hauptanliegen des Preises, den kaum wahrgenommenen Schriftstellerinnen aus den besagten Kontinenten ein Forum für Publizität zu schaffen. Wo wäre das sinnvoller als in Verbindung mit der Frankfurter Buchmesse, die sich zudem immer stärker nicht nur als Büchermarkt präsentiert, sondern mit den Rechten an Büchern auch deren Übersetzungen verkaufen und kaufen läßt.
Es ist deshalb auch besonders wichtig, die einführenden Worte auf der Preisverleihung von Ingeborg Kästner, der Vorsitzenden des LiBeraturpreises im Ökumenischen Zentrum Christuskirche, weiterzutragen, daß es nun, nach der Übersetzung ins Deutsche – von Annette Meyer-Prien - und dem Wahrnehmen Ihres Buches die nächsten Schritte die Übersetzungen ins Arabische und Französische seien. Dieses Buch wurde von Nathalie Abi-Ezzi nämlich auf Englisch geschrieben, was naheliegt, da sie als Elfjährige nach England kam. Sie hat bisher Kurzgeschichten verfaßt und legt mit „Ruba“ ihren ersten Roman vor, der auch im englischsprachigen Raum ein großer Erfolg wurde.
Ruba ist das Mädchen, dessen Familienschicksal im Libanon wir mitverfolgen. Familie in Zeiten des Krieges. Die Handlung spielt in den achtziger Jahren und die Ausgangslage ist für Ruba eine magische. Denn sie ist sich sicher, daß ihr Vater von der Alten dort, die im ganzen Dorf als Hexe verschrien ist, eben, ja, verhext, mit einem Fluch gebannt wurde. Denn anders kann sich Ruba nicht erklären, weshalb ihr Vater seit so vielen Wochen nur noch im Sessel sitzt und vor sich hin starrt. Also wird Ruba tätig und will zur Hexe. Aber es ist Krieg und was nun alles passiert, ist so poetisch, wie wahr, so schön wie schrecklich. Und man schlägt nach 287 Seiten berührt das Buch zu.
Die Jury zeigte sich tief beeindruckt von Abi-Ezzis Darstellung des Libanonkriegs 1982 aus der Sicht eines achtjährigen Mädchens. Ohne in religiöses Lagerdenken zu verfallen, zeichnet das Buch ein Bild des ‚normalen‘ Lebens in einer zunehmend von kriegerischen Auseinandersetzungen gekennzeichneten Umgebung. Gleichzeitig wird in dichten, literarisch gelungenen und erzählerisch stimmigen Szenen deutlich, wie ein Kind von acht Jahren, die Ich-Erzählerin Ruba, nur sehr begrenzt in der Lage sein kann, Krieg und Politik zu begreifen.
Trotz der immer stärkeren psychischen und physischen Lähmung ihrer Familie, trotz des Zusammenbruchs der Alltagsabläufe erlebt Ruba die Ereignisse um sich herum als Kind. Die Handlung gipfelt in einer hochdramatisch, aber dennoch glaubwürdig aus Kinderperspektive geschilderten Beschreibung des verheerenden und zerstörerischen Granathagels am Ende des Krieges. Und gerade in diesem Moment ist Glück und Zukunft im Mikrokosmos der Protagonistin möglich. Die Jury war einhellig der Meinung, daß es Nathalie Abi-Ezzi beeindruckend gelungen ist, die ansonsten in westlicher Berichterstattung so oft übersehene Seite von kriegerischen Konflikten tief ins Bewußtsein ihrer Leserschaft zu rücken – daß und wie der Krieg Alltag für viele Menschen ist.
Daß nur Frauen und nur die aus der afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Kultur als Preisträgerinnen in Frage kommen, ist die eine Besonderheit. Die andere ist die Prozedur der Preisauswahl. Da gibt es nämlich eine erste Stufe, wo Mitglieder und Freunde des LiBeraturpreises – die auch allein die Preiskosten tragen - die in deutscher Übersetzung erschienen Werke der möglichen Preisträgerinnen sichten und eine Vorauswahl treffen, die dann von der Jury als zweiter Stufe zu Ende geführt wird.
Mit der Überreichung des 24. LiBeraturpreises an Nathalie Abi-Ezzi am Sonntagnachmittag in der Christuskirche in Frankfurt am Main fing die Buchmesse 2011 symbolisch schon an. Tags darauf gibt es am Abend die Bekanntgabe des Trägers des Deutschen Buchpreises 2011 und dann ab Dienstag ist die Hölle los, wenn Pressekonferenzen und Eröffnungen sich jagen, denn neben der normalen Prozedur der von hochrangigen Politikern und Geistesmenschen vorgenommenen Eröffnung, ist, seit es den Ehrengast, also ein jährlich wechselndes Gastland gibt, auch Usus, daß deren politisch höchste Würdenträger in Frankfurt versammelt sind. Demnächst mehr also aus diesem Theater.
Nathalie Abi-Ezzis: „Rubas Geheimnis“, erschienen im Rowohlt Verlag Berlin 2010, als rororo Taschenbuch 25262 Hamburg 2011
Elisabeth Römer
.