Joachim Meyerhoff schlägt ein viertes Mal zu und in Bann
Hanswerner Kruse
Fulda (Weltexpresso) - Joachim Meyerhoffs, „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ hat es schnell auf die Bestsellerlisten geschafft. Sein vierter Roman changiert erneut zwischen fantastischer Dichtung und biografischer Wahrheit.
„Doch so wie Hanna mich küsste, war ich noch nie geküsst worden. Wie ich meinen Kopf auch drehte und wendete, klackend stießen ihre Zähne gegen meine. Es war, als ob ich von ihr eine Perlenkette zu essen bekam.“ Endlose 97 Seiten dauert es, bis es endlich zu diesem Kuss zwischen dem Ich-Erzähler und Hanna kommt, die er bereits auf der ersten Seite kennenlernt. Doch in der Zwischenzeit langweilt der Autor die Leser nicht, denn die hochintellektuelle Studentin ist eine echte Herausforderung für den mäßig begabten Schauspieler Meyerhoff am Bielefelder Theater.
Eigentlich hat der Mime sich gerade im Dortmunder Theater erfolgreich für die nächste Spielzeit beworben, als Hanna quasi über ihn kommt: „Wo Hanna war, waren Wunder nicht weit.“ Sie ist hysterisch und genial, wutschnaubend und analytisch, herausfordernd und verkrampft: Als er einmal fordert, sie solle doch bitte nicht so empfindlich sein, endet ihre seitenlange Beschimpfung mit der Ansage: „Unkompliziert ist unter meiner Würde.“
Bald wird Meyerhoff zum Pendler zwischen Bielefeld und Dortmund, wo er jedoch am Theater schnell eine leidenschaftliche Affäre mit Franka, einer wilden Tänzerin des Ballettensembles, beginnt. Sie ist der totale Gegenpol zu Hanna: Er weiß nichts über die neue Geliebte, sie will nichts erzählen und scheint völlig unkompliziert. Beide Frauen sind dem Schwerenöter in ihrer Diversität wichtig, so dass er sich einfach nicht zwischen ihnen entscheiden kann. „Eines war mir vollkommen klar, früher oder später würde es eine Katastrophe geben.“ Denn er beginnt ein Versteckspiel, das für die Leser ein großes Vergnügen, für ihn aber „die Hölle“ ist: „Und dennoch und dennoch, ich mochte es.“ Mehr soll hier nicht verraten werden, außer dass sich zu dieser äußerst verzwickten Dreierbeziehung, noch eine ältere üppige Bäckersfrau gesellt...
Meyerhoff geriert sich eigentlich nicht als Frauenheld, sondern ist schüchtern und unsicher, erotisch aber ziemlich ausgehungert. Seine wirklich schrägen Erlebnisse am Theater und mit den Frauen sind zwar streckenweise äußerst komisch, werden aber niemals klamaukig und wechseln immer mit Selbstzweifeln und Schuldgefühlen. Man weiß ja bei seinen Romanen nie, was wirklich Erlebtes oder nur Erdachtes ist - aber letztlich macht das gar nichts. Der Autor wuchs in den 1970er-Jahren tatsächlich in einer psychiatrischen Klinik als Sohn des Chefarztes auf und entwickelte dadurch einen Sinn für das Absurde. Für den Jungen waren die Menschen in der Psychiatrie, mit ihren oft bizarren Verhaltensweisen, völlig normal; er hatte allerlei Freunde unter ihnen.
Nach seiner Ausbildung zum Schauspieler und einigen Engagements, eben in Bielefeld und Dortmund, trug er 2007 am Wiener Burgtheater seine Kindheitserinnerungen und weitere biografische Episoden auf der Bühne vor. Mit diesem performativen Projekt - unter dem Gesamttitel „Alle Toten fliegen hoch - wurde er 2009 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Anschließend begann er seine Geschichten zwischen Dichtung und Wahrheit auch aufzuschreiben. Seine Kindheit, die wohl seinen Blick auf die Realität prägte, beschreibt er im Roman „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war.“ In „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ schildert er sein Leben bei den hochherrschaftlichen aber versoffenen Großeltern in München, als er dort die Akademie besuchte.
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Info:
Joachim Meyerhoff „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“, Leinen gebunden, 416 Seiten,
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 24 Euro