Die KrimiZEIT-JahresBestenListe 2012, Teil 1

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Das ist schon richtig, daß innerhalb ästhetischer Dimensionen jede Bestenauslese ihre Probleme hat, weil es halt kein naturwissenschaftlich überprüfbares Ergebnis gibt, wenn die Krimi-Juroren bei den pro Jahr über 1500 auf Deutsch erscheinenden Kriminalromanen den besten, den allerbesten Krimi herauswählen. Allerdings würden wir uns mit dem, der bezweifelt, daß Fred Vargas hier der Oscar, die Palme, der Bär oder der Löwe zukommt, stark anlegen.

 

Das mußte gesagt werden, denn die Monate, wo DIE NACHT DES ZORNS die KrimisbestenListe anführte, liegen doch schon um einiges zurück und dann vergißt man ob des Neuen und der monatlichen Zehnerauswahl doch leicht das Vergangene. Gut also, daß es so etwas wie eine Jahres BestenListe gibt, wo man auch das Krimijahr Revue passieren läßt. Weil wir derartig angetan von Fred Vargas letztem Roman waren, listen wir unten die Artikel auf, die im Weltexpresso dazu veröffentlicht wurden. Übrigens: auch im letzten Jahr war es eine Französin: Dominque Manotti, die den englischsprachigen Krimis den Rang ablief. Wann war eigentlich ein deutscher Krimi der Jahres Beste?

 

Jetzt also noch einmal DIE NACHT DES ZORNS. Kurz zur Erinnerung, da geht es um Kommissar Adamsberg, den es in die Normandie verschlägt, wo nicht nur die Aliierten landeten und die Wikinger strandeten, sondern auch die Geschichte von früher noch heute lebendig bleibt. Insbesondere das Mittelalter mit ihrer WILDEN JAGD verfolgt hier den Kommissar, der sich doch vom Krimigeschehen in Paris, wo ein Finanzmagnat ermordet wurde, hier konkretes Arbeiten vorstellt, aber nicht mit der Phantasie und dem Beharrungsvermögen der Einheimischen rechnete. Das ist ein Roman, wo man zwischendrinnen das Gefühl entwickelt, man würde mit all diesen Verrückten leben, denn das Wunderbare an Fred Vargas Romanen ist, daß sie Menschen erschafft. Die sind skurril und meist etwas schräg, aber gibt es nicht genug 0/8/15-Typen. Im Leben und im Krimi.

 

Helon Habila steht mit ÖL AUF WASSER aus dem Verlag Das Wunderhorn auf dem 2. Platz: Daran gefällt uns, daß es mal nicht so ein amerikanischer Detective ist, der sich hier nach vorne drängt, sondern, daß es um Afrika geht. Auch nicht um Südafrika, das literarisch durchaus erschlossen ist und woher gute Kriminalautoren herkommen, sondern um das Nigerdelta, wo der Alltag einfach bedeutet, daß Blut fließt, weil es um Öl geht. Zwei Journalisten wollen es genauer wissen, bleiben aber hilflos dem Geschehen gegenüber, das aus Gewinnstreben die Menschen ins Jenseits befördert und nichts und niemand scheint das ändern zu können.

 

Donald Ray Pollock hat mit DAS HANDWERK DES TEUFELS aus dem Verlag Liebeskind den dritten Platz erreicht. Auch dieses kein 'klassischer' Krimi, sondern eine Sittengeschichte aus dem Land, das sich für das zivilisierteste und erfolgreichste der Welt hält, den USA. Wie Arvin Russell keine Chance hat, das kann man hier nachlesen, während Peter Temple bei C. BertelsmannTAGE DES BÖSEN erleben läßt, die man nicht vergißt. Sein Hauptdarsteller heißt Niemand und das vergißt, wer den Krimi las, nie wieder. Ein weiterer Merkposen ist die Kombination Johannesburg/London/Hamburg, denn gerade das Eintauchen ins Hanseatische hat Wiedererkennungswert.Fortsetzung folgt.

 

 

KrimiZeit – die Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio/Beste 2012

Lfd.

Nr.

Rang

Titel

1

1

Fred Vargas: Die Nacht des Zorns

Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze

Aufbau, 454 S., 22,99 €

Paris/Normandie. In Ordebec wurde „Die Wilde Jagd“ gesehen. In der Horde: vier Männer aus dem Dorf. Todgeweiht? Kommissar Adamsberg, genervt vom Mord an einem Finanzmagnaten, folgt fasziniert normannischen Mythen, Ängsten, Intrigen. Nach drei Jahren Abstinenz: der neue Polar Poétique von Vargas.

2

2

Helon Habila: Öl auf Wasser

Aus dem Englischen von Thomas Brückner

Das Wunderhorn, 240 S., 24,80 €

Port Harcourt/Nigerdelta. Alltag im Delta: Ingenieursfrau entführt, Lösegeld gezahlt, „Rebellen“ erschossen, Öl fließt weiter. Die Journalisten Rufus und Zaq hilflos, ahnungslos, am Sterben teilnehmende Betrachter. Reise – nicht ins Herz der Finsternis, zu Shells Gewinnquellen. Ohnmacht, Wut. Unerbittlich traurig.

3

3

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 304 S., 19,80 €

Meade, Ohio/Coal Creek, West Virginia. Mit 10 hungert und betet Arvin Russell gegen das Sterben seiner Mutter an. Mit 18 hat er vier Menschen erschossen. Dann haben ein Vergewaltiger, zwei Serienmörder, ein mörderischer Sheriff und ein Prediger-Paar seinen Weg gekreuzt. Wüstes, grandioses Roman-Debüt.

4

4

Peter Temple: Tage des Bösen

Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke

C. Bertelsmann, 432 S., 14,99 €

Hamburg/London/Johannesburg. Beim Versuch, ein Video mit einer Massakerszene zu verkaufen, gerät Bodyguard Niemand ins Visier der Täter. Datenhändler Anselm soll ihn schnappen helfen - und stößt auf das Trauma der eigenen Biografie. Rasant, komplex: Meisternarrativ über Verdeckung, geheime Kriege und Spionage vor 9/11.

5

5

Sara Gran: Die Stadt der Toten

Aus dem Englischen von Eva Bonné

Droemer, 368 S., 14,99 €

New Orleans, 2007. Staatsanwalt Vic Willing ist im Katrina-Chaos verschwunden. Claire de Witt, beste Privatdetektivin der Welt, klärt auf: mit Scharfblick, Drugs, Träumen und Jacques Silettes mythischer Detektiv-Bibel. Happy End gibt’s nicht, nicht in New Orleans. Rausch + Klarheit = Gran. Unglaublich gut.

6

6

Friedrich Ani: Süden und das heimliche Leben

Knaur, 206 S., 8,99 €

München. Als der Kellnerin Ilka Senner angeboten wurde, die Kneipe zu übernehmen, in der sie jahrelang gearbeitet hatte, verschwand sie fast spurlos. Tabor Süden soll sie wiederfinden. Er hat es nicht weit, und schon stöbert er in ungelebten Leben, verschluckter Gewalt, logischem Irresein. Ani in großer Form.

7

7

Merle Kröger: Grenzfall

Argument/Ariadne, 352 S., 11,00 €

Mecklenburg-Vorpommern/Rumänien, 1992-2012. Wie Wildschweine erschossen beim Grenzwechsel: Marius und Nicu. Die Jäger freigesprochen. Marius’ Tochter Adriana kehrt zurück, um sie zu stellen. Kluge Kriminalerzählung zum Dokumentarfilm Revision. Empathisch scharfer Blick in europäische Angstzustände.

8

8

Mike Nicol: Payback

Aus dem Englischen von Mechthild Barth

btb, 574 S., 9,99 €

Kapstadt/Luanda. Im Befreiungskampf waren Mace und Pylon Waffenhändler, jetzt, in der Demokratie, verdienen sie friedliches Geld. Bis ihnen alte Schulden präsentiert werden. Die Entführung von Mace’ Tochter ist nur der Anfang. Erster Band der „Rache-Trilogie“. Unbarmherzig rauer Wind aus Südafrika. Gnadenlos gut.

9

9

Tana French: Schattenstill

Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Scherz, 732 S., 16,99 €

Dublin. Zwei Kinder erstickt, Vater erstochen, Mutter lebensbedrohlich verletzt. Familiendrama, Eifersuchtsmord, soziale Ausweglosigkeit? Detective Kennedy glaubt sich seiner Methoden sicher. Bis die Selbstgewissheit auf schieren Wahnsinn trifft. „Auch ein Guter kann zerbrechen.“

10

10

Robert Littell: Philby. Porträt des Spions als junger Mann

Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence

Arche, 288 S., 19,95

Europa 1938-1963. Voll Hintersinn ruft Littell die Zeugen des größten Spionagefalls im 20. Jahrhundert auf: Kim Philby und vier andere Cambridge-Boys waren Sowjet-Agenten. Und verwandelt, als Autor, der alle Spionagewitze kennt, die alte Geschichte mit leichter Hand in eine neue. Bravourös.

 

Info:

Rund 1500 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die Dezember-Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio.

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 27. 12. 2012 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

  • in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 27.12.2012 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

  •  

Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.



Die Jury setzt sich zusammen aus:

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2011 ebenfalls kommentierten.

Info:

1. Film zu Grenzfall

http://www.revision-film.eu

 

2. Artikel über DIE NACHT DES ZORNS von Fred Vargas im Weltexpresso 2012

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/725-fred-vargas-und-oliver-bottini-mit-der-kalte-traum-von-dumont-das-letzte-mal-dabei

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/719-weiterhin-die-nacht-des-zorns-von-fred-vargas-aus-dem-aufbau-verlag-auf-platz-1

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/696-endlich-die-nacht-des-zorns-von-fred-vargas-aus-dem-aufbau-verlag-auf-platz-1

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/590-wer-sie-ist-und-was-die-anderen-ueber-fred-vargas-und-ihre-kriminalromane-sagen

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/583-fred-vargas-mit-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag-nur-auf-platz-4

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/547-mehr-vom-skurrilen-personal

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/546-wir-sind-suechtig

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/491-georg-m-oswald-haelt-mit-unter-feinden-aus-dem-piper-verlag-die-stellung

 

  1. JahresBestenListe 2011

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/312-bester-kriminalroman-des-jahres-wird-qroter-glamourq-von-ariadne-im-argument-verlag