Nicht immer die allerneuesten, aber richtig gute Bücher verschiedener Genres und Themen, Teil 28/30

 

Hans Weißhaar

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso)Wenn wir hier mit Jürgen Carl den Concierge des Frankfurter Hofes seine Arbeit beschreiben lassen oder das Berufsbild von Zirkusartistinnen und Dompteusen eine Rolle spielt, immer geht es um Verwegene, denn das gehört dazu, will man die genannten Aufgaben wirklich ausfüllen.

 

 

Der Concierge

 

Jürgen Carl, dem Sibylle Auer die Feder hielt, ist in Frankfurt am Main in dem für Frankfurter immer noch identischsten Hotel der Stadt, dem Frankfurter Hof, immer noch der Familie Steigenberger gehörig, eine Institution. Sein Buch DER CONCIERGE. VOM GLÜCK, FÜR ANDERE SA ZU SEIN aus dem Lübbe Verlag – die Verlegerfamilie war auch Jahrzehnte nicht nur zur Buchmesse Gast in Jürgen Carls Hotel - entspricht in jeder Zeile diesem eigentlich schmalen unauffälligem Mann, der sich bescheiden im Hintergrund hält, aber Weltbewegendes leisten kann, wenn es für seine Gäste nötig ist. Vater, Mutter, Polizei, Krankenschwester, Lehrer, Auskunftsbüro, Übersetzer, Psychoanalytiker, Putzfrau, Richter und was nicht alles muß er sein und daß er es kann, das zeigt Jürgen Carl jeden Tag, an dem er in der Concierge auf der rechten Seite beim Eingang in den Frankfurter Hof seinen Dienst am Gast tut, obwohl er längst im Rentenalter ist.

 

Er selbst nennt seine von den Eltern erworbene Pflichterfüllung als das Ausschlaggebende für seine berufliche Tätigkeit. Aber so gewinnt man den Eindruck, was ihn wirklich auszeichnet, daß ist eine zwischen Bauernschläue, perfektem Marketing und großer Toleranz changierende Gesinnung, die ihn fähig werden läßt, mit Menschen aller Kontinente wie eine Vaterfigur kommunizieren zu können. Denn von sich redet Jürgen Carl nur am Anfang, als er in Mannheim, ebenfalls im Steigenberger seine Lehre machte. Dann wird ihm wichtig, wie er bei seinem Aufstieg im Frankfurter Hof die Gäste glücklich machen kann.

 

Was das Buch spannend und einzigartig macht, das sind die „Menschen im Hotel“, die nicht erst seit Vicki Baum unser Interesse erwecken. Er zeigt in den Geschichten von seinen Gästen diese nie despektierlich, wohl aber in ihrer kulturellen Eigenart oder einfach dem Ausdruck, daß reich sein für manche bedeutet, sich alles erlauben zu können. Nicht bei Herrn Carl, der schon des Amtes wegen dafür sorgen muß, daß andere Hotelgäste sich nicht belästigt fühlen, wenn die Kronprinzen aus Dingsda hier den Molli machen, wobei er solche Worte nie in den Mund nähme. Eine Verbeugung vor Herrn Carl, der also das Gegenteil von Helmut Qualtingers Herrn Karl ist!

 

Amazonen der Arena

 

Stephanie Haerdle nennt ihr Buch im Wagenbach erschienenes Buch über Zirkusartistinnen und Dompteusen AMAZONEN DER ARENA. Das letzte Kapital im Buch nennt als Epilog den Untertitel DRAHTSEILAKT ZWISCHEN Boheme und Leibeigenschaft. Das hat uns gut gefallen, weil die Phantasie des Publikums das eine und die harte Knechtschaft, die das körperliche und mentale Üben angeht, das andere ist. Das ist ein Buch, das man im Tigerpalast in Frankfurt verkaufen sollte, wo das Varieté noch, besser: wieder großgeschrieben wird.

 

Denn vieles von dem, was wir lasen, wissen wir noch aus der Vergangenheit, auch aus Romanen, beispielsweise aus denen von Heinrich Mann, von denen nur wenige wissen, daß er immer wieder seine Protagonisten in diesem Milieu ansiedelt, nicht nur Professor Unrat. Da ist aber immer etwas Zwielichtiges dabei, was in diesem Buch nicht zu kurz kommt. Denn die weiblichen Herkulesse, die seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgestellt werden, sind eine Wucht. Die Bilder auch. Und daß Marie Spelterini nach 1876 auf einem Seil balancierend die Niagarafälle überquert hatte, wissen wir erst jetzt.

 

Unglaublich, wie Frauen als Raubtierdompteusen und Zirkusdirektorinnen sowie Sensationsartistinnen eine Arbeit ausübten, wo wir Frauen früher noch als Heimchen am Herd oder hochherrschaftliche Damen glaubten. Das ist ein Buch, daß den Geist weit macht und einen Respekt gegenüber Frauen erzeugt, die machten, was sie wollten, was aber meist das war, was sie auch machen mußten.

 

INFO:

 

Jürgen Carl, Der Concierge. Vom Glück, für andere da zu sein, Lübbe Verlag 2010

 

Stephanie Haerdle, Amazonen der Arena. Zirkusartistinnen und Dompteusen, Wagenbachs Taschenbuch WT 649, Wagenbach Verlag 2010