Streitbare Brüder“ als Geschichte der Nachbarschaft im Residenz Verlag

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das war vor Jahren eine prächtige Ausstellung, die in Bonn im Haus der Geschichte von den verfreundeten Nachbarn berichtete und mit diesem Kunstwort eine Realität auf hinreißende Weise eingefangen hat in ihrer Ambivalenz zwischen Zuneigung, ja Freundschaft, und echter Abneigung, ja Feindschaft.

 

So hoch müssen wir allerdings die Wechselbeziehung, die auf Seiten Österreichs immer etwas radikaler und deutlicher formuliert wird als beim großen Bruder Deutschland, so hoch müssen wir das also nicht hängen, was drei Autoren spannend und lesenswert uns aufgeschrieben haben.

 

 

STREITBARE BRÜDER

 

Hannes Leidinger, Verena Moritz und Karin Moser haben STREITBARE BRÜDER. ÖSTERREICH: DEUTSCHLAND verfaßt, das den Untertitel „Kurze Geschichte einer schwierigen Nachbarschaft“ trägt. Das Titelbild ist geradezu genial und wir wissen nicht, ob das Jüngeren heute überhaupt noch etwas sagt. Man sieht den kleinen Wiener Raunzer Hans Moser als Lakaien empört und aufgebracht den großen Lackl und typischen Deutschen Theo Lingen angiften, der die Hände in den Seiten in roter Paradeuniform seine Verwunderung und Animosität zurückgibt. Wir haben keinen Bildverweis gefunden, das Foto müßte aber aus dem Film ROSEN IN TIROL stammen und paßt auf das nicht genau zu definierende Verhältnis der Deutschen zu den Österreichern und umgekehrt schon deshalb, weil auch diese zwei mal die besten Freunde und mal die ärgsten Feinde sind.

 

Da Österreich nicht nur in Person des Hans Moser die Kleineren sind, fühlen sie sich von der Größe und Majorität der Deutschen von vorneherein übervorteilt, obwohl sie ja bis 1806 über Jahrhunderte immerhin den Kaiser im gemeinsamen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation stellten – vielleicht aber auch, weil sie ihn stellten. Die Deutschen hingegen haben mit so vielen anderen größere Sorgen als mit den Österreichern, daß sie bestimmte Probleme kaum wahrnehmen, weshalb solche Bücher wie dieses naturgemäß in Österreich erscheinen und nicht in Deutschland, was schon die Hälfte der Erklärung ist, was das Buch dann auf 298 Seiten informativ und fürs Gedächtnis erklärt.

 

Was wir so locker formulieren, wird im Buch kurzweilig, aber historisch belegt. Das fängt nicht erst gestern an, sondern hier mit Hermann dem Cherusker, was ja ins Jahr 9 n. Chr. und den Sieg der Germanen über die Römer weist. Martin Luther ist auch so ein Stolperstein und Königgrätz der Anfang vom Ende. 1866 hatten die Preußen dort die Österreicher besiegt und erst ab da zählen dann infolge der Führungsrolle der Preußen auch die anderen Deutschen im Norden als einander zugehörig, was die kleindeutsche Lösung dann verfestigte. Und dennoch fühlen sich bestimmte Deutsche bei der Bezeichnung als Piefke gar nicht angesprochen, weil das tatsächlich einmal auf das Preußische verwies und bestimmte Deutsche bis heute auf forsch Preußisches so allergisch reagieren wie sonst nur Österreicher.

 

Heute allerdings geht es beim Hauen und Stechen mehr um den „Anschluß 1938“, der deshalb in Anführungszeichen steht, weil Österreicher später diesen gerne als Annektion und sich als Opfer bezeichnet haben und die antifaschistischen Deutschen ihnen darob grollen, denn sie werfen den Österreichern Geschichtsklitterei und mangelnde politische Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit vor. Nicht allen. Ein gewisser Thomas Bernhard hat mit HELDENPLATZ die latent faschistoide Gesinnung und vor allem den Wesenszug des Mitmachens und das der Gewalt Ausweichenwollens der damaligen Wiener Bevölkerung so entlarvt, daß die Uraufführung am 4. November 1988 im Wiener Burgtheater, die Theaterdirektor Claus Peymann zum 50. Jahrestag des Anschlusses und 100. des Burgtheaters ansetzte, zum Theaterskandal wurde. Und das finden dann die Deutschen geradezu liebenswert an ihren südlichen Nachbarn, daß dort wegen einer Theateraufführung noch die Welt untergeht.

 

Den Autoren, die für jeweils bestimmte Kapitel allein zuständig sind, geht es aber nicht nur um die so leicht zu konstatierenden Unterschiede, sondern genauso um das Verbindende, was mit der gemeinsamen Sprache ja dann eine wesentliche Begründung findet. In KINOWELTEN ab Seite 189 finden wir dann auch unter „Eine Filmgeschichte“ unser Titelfoto wieder und das Paar Theo Lingen und Hans Moser in ROSEN IN TIROL und lesen verblüfft, daß die beiden in 20 Filmen als Komiker auftraten und gerade diejenigen waren, die besser als jeder lange Text durch Verhalten und sprachliches Verhalten die deutsch-österreichischen Mentalitätsunterschiede und auch sprachlichen Mißverständnisse gekonnt in Szene setzen.

 

Überhaupt ist dieses Kapitel, das dem unterschiedlichen Sprechen eine so große Bedeutung zuweist, besonders spannend. Und hier sind es eindeutig die Österreicher, genauer: die Wiener, die per Unterhaltungsfilm, Nummernrevues und Operettenseligkeit die Nase vorne haben, was die Piefkes gerne nachmachen und ab da Wien mit Operette und leider auch Süßlichkeit in Filmen gleichsetzen. Hier finden wir auch den Verweis auf die verheerenden Verluste, die deutscher Geist und Kunstgeschehen durch die Judenverfolgungen und Judenmorde erlitt.

 

Es war die kulturelle Elite, insbesondere im Film und in der Musik, die ging oder in den Lagern umkam. Hier kann man genau nachlesen, was Deutsche weniger wissen, inwiefern die Austrofaschisten als willfährige Helfer das alles vorbereitet hatten. Nein, vom Fußball wollen wir jetzt nicht auch noch reden, obwohl viel zu sagen wäre. Wichtig scheint uns, die neue Gelassenheit zu sein, mit der man heute über das redet, was gestern noch zu Zwistigkeiten führte. Daran ist nicht nur Europa 'schuld', sondern auch eine junge Generation, für die das alles Schnee von gestern ist. Aber ein sehr unterhaltsamer Schnee, das muß doch gesagt sein! Und lehrreich auch und gerade noch gut aufzubereiten, bevor er geschmolzen ist.

 

P.S. Uns hat der Titel STREITBARE BRÜDER dann doch noch beschäftigt. Das ist ja ein Bild, diese Attribuisierung, das sofort im Kopf entsteht und einfach Männer voraussetzt. Denn STREITBARE SCHWESTERN wäre einfach nicht dasselbe, hat eine andere Assoziation. Hat das mit Konkurrenz, mit Kräftemessen, mit Gewalt und mit Kriegen zu tun, daß wir beim sprachlichen Konstatieren des Verhältnisses unserer beiden Länder die BRÜDER dabei brauchen?

 

 

INFO:

Hannes Leidinger, Verena Moritz, Karin Moser, STREITBARE BRÜDER. ÖSTERREICH: DEUTSCHLAND. Kurze Geschichte einer schwierigen Nachbarschaft, Residenz Verlag 2010