Nicht immer die allerneuesten, aber richtig gute Bücher verschiedener Genres und Themen, Teil 30/30
Rebecca Riehm und Helga Faber
Freiburg (Weltexpresso) – Ja, wir kommen rum, aber haben unsere Aufgaben immer mit. Diesmal kamen wir auf die Idee, geschichtliche Quellen zu hinterfragen. Das passiert alleweil und konstituiert das Geschichtsstudium. Wir aber wollen dies bei BILDERN ALS HISTORISCHE QUELLEN tun und dann gegenüberstellen die Inszenierung des Sonnenkönigs und mit KOLUMBUS KAM NUR BIS HANNIBAL dann gleich die Fiktion.
KOLUMBUS kam nur BIS HANNIBAL. Vierzehn subversive Geschichten
Verschmitzt schaut einen Autor Johano Strasser auf dem Titel direkt an. Er hat allen Grund. Denn er, den wir vor allem als rührigen Präsidenten des deutschen PEN kennen, hat sich hier an das gewagt, was in geschichtlichen Abläufen nicht sichtbar ist, die Geschichten hinter der Geschichte, denn, so seine These: Geschichte ist nur eine nachträgliche Konstruktion dessen, was früher einmal passiert ist und einem heute so als wahr vor kommt oder gerade gut paßt. Da würde ihm ein veritabler Geschichtsprofessor wie Johannes Fried zustimmen, der durch kritisches Quellenstudium so manche „geschichtliche Wahrheit“ als Mär entlarvte.
Johano Strasser hat anderes im Sinn. Er untergräbt subversiv unser Wissen. Er folgt dem, was als Motto von Oscar Wilde dem kleinen Band hinreißend vorausgeht: „Ausführlich zu schildern, was sich niemals ereignet hat, ist...die Aufgabe des Geschichtsschreibers.“ Dreizehn Kurzerzählungen sind so zusammengekommen, die 850-800 v. Chr. mit Homer beginnen und 1987-1989 n. Chr. enden. Wir haben uns AUF DEM WEG NACH CANOSSA herausgepickt, weil das nämlich genau ein Vorgang ist, der ins kulturelle Gedächtnis der Deutschen erst im 19. Jahrhundert als Bußgang des Kaisers vor dem Papst implantiert wurde, was Mediävist Johannes Fried zum Ärger so vieler als Geschichtsklitterei entlarvte.
Nicht das Treffen, sondern die Begleitumstände, da es für ihn nach Quellenstudium eine seit langer Zeit diplomatisch vorbereitete Übereinkunft war. Nichts mit Büßer und Knien im Schnee. Strasser dagegen nimmt genau auf, was wir von x-Bildern – ja, erstmalig und tausendfach aus dem 19. Jahrhundert – kennen und gibt diesem in Bettlerkleidung frierenden Kaiser noch allerliebste Schurken beiseite, die so sehr „Kaiser von China“ sind, wie dieser Dahergelaufene ein Kaiser. Das schreibt Johano Strasser so liebevoll und ausschmückend, daß es eine Freude ist, diese Geschichten zu goutieren und man immer wieder lachend herausplatzt.
Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen
Dieses Buch von Peter Burke machte bei seinem Erscheinen 2001 Furore. Mit Recht, denn heute ist das üblich, Bilder als historische Quellen zu nutzen oder abzulehnen. Aber Peter Burke ist derjenige, der dazu Strukturen legte. Und auch hier beschreibt ein Motto den Inhalt. „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, ist uns ein geläufiges Zitat. Daß es aber nicht der Volksweisheit entspringt, sondern erst im 20. Jahrhundert von Kurt Tucholsky geprägt wurde, war uns die erste Überraschung.
Burke lehrt uns das kritische Sehen. Das macht er an allen bildlichen Techniken vor. Er beginnt mit der Fotografie, die ja deshalb so besonders gut lügen kann, weil sie erst einmal jeder für wahr hält. Selbst zu Zeiten, als noch keine digitalen Bearbeitungen möglich waren, kann ich mit Aufnahmen manipulieren. Er führt uns alles in eigenen Kapiteln vor, die Gemälde, die Drucke, die Karikaturen, Landkarten, Plakate und auch die bewegten Bilder des Films, der besonders gut lügen kann. Aber es geht im Kern nicht gleich um Lüge, sondern um unseren kritisch interpretierenden Blick, der die Grundlage für die Bildwissenschaft ist, die man in mehreren Disziplinen braucht. Ein Buch fürs Leben.
Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs
Diese Analyse der Art und Weise, wie Ludwig XIV. bis heute sein Bild von ihm in der Geschichte prägte, hatte Peter Burke schon vor 20 Jahren, 1992 herausgebracht. Der Wagenbachverlag hat es 2001 das erste Mal publiziert. Sagen wir es gleich. Es ist ein Grundlagenwerk, wenn ich lernen möchte, wie zu Zeiten, als in Zeitungen, die es nicht gab, keine Werbeangebote lagen und das Fernsehen, das es nicht gab, nicht ständig von Werbesendungen unterbrochen wurde, dennoch vom Nutznießer des Ganzen, vom absolutistischen französischen König Ludwig XIV. gezielt eine Propagandamaschinerie in Gang gesetzt wurde, die sicher besser funktionierte als heutige Werbestrategien, die immer damit ihre Schwierigkeiten haben, daß es solche Leute wie Burke gibt, die den Leuten kritisches Denken und einen kritischen Blick beibringen. Außerdem ist dies Buch kurzweilig geschrieben und man lernt eine Menge über die Zeit und ihre Methoden. Sehr zu empfehlen.
INFO:
Johano Strasser, KOLUMBUS kam nur BIS HANNIBAL. Vierzehn subversive Geschichten, Diederichs Verlag 2010
Peter Burke, Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Wagenbach Verlag 2010, WAT 631
Peter Burke, Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Wagenbach Verlag 2001, WAT 412