Vor 80 Jahren: Der ANSCHLUSS Österreichs an Hitler-Deutschland im März 1938, Teil 6
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Klar, daß das Auffinden des Bildes durch unseren Erzähler sofort dessen Suche nach einer Plattenaufnahme des Don Giovanni evoziert. Amada war nämlich auch Opern- und Jazzliebhaber und so erklingen bald die Arien der Opern im Haus, was ja schön ist, weil man beim Lesen sofort die Musik im Inneren hört.
Aber es kommt anders. Denn eines Tages sitzt der doch eigentlich ermordete Commendatore quicklebendig als eine im Heißwaschgang eingegangene ziemlich kleine Figur auf der Lehne des Sessels im trauten Heim des Malers Amada, der übrigens mit heftigen Demenzproblemen längst ins Heim abgeschoben und in ihm aufgehoben weiterlebt (durchschlagend der Hinweis, daß er geistig so abwesend ist, daß er Opern nicht von Bratpfannen unterscheiden kann). Die Doppelung des Commendatore hat Methode, Murakami-Methode, denn er hat‘s irgendwie mit den Doppelgängern. Er sieht in anderen entweder Wiedergeburten oder stellt für den Leser Assoziationen her, wenn er beispielsweise seine früh an Krankheit gestorbene Schwester in seiner Beziehung zu seiner Frau widerspiegelt.
Eigentlich, das mußt man endlichen sagen, geht es im Roman lange um etwas ganz anderes: da wird ein Mitdreißigähriger von seiner Frau Yuzu verlassen, der bisher mit Porträtaufträgen seinen eher kümmerlichen Lebensunterhalt bestritt und das Haus in Ordnung hielt, während die Ehefrau eine gute Stellung hat. Er erscheint von Anfang an als im Kern seines Wesens unsicher, auch konturenlos, im gewissen Sinn ein Mann ohne Eigenschaften, außer der, uns alles zu berichten, was im widerfährt. Das hat im Lauf der rund 500 Seiten etwas Mäanderndes.
Als ihm Yuzu den Abschied gibt, ist er Gentleman,überläßt der Frau die Wohnung samt Inhalt, zieht selber aus, fährt mit dem alten Peugeot im Land umher, bis er im Haus des Vaters eines Kommilitonen unterkommen kann, eben des Malers Amada. Und auch angekommen im Haus, geht es lange um ganz andere Sachen: er verdingt sich als Kunstlehrer, hat gleichzeitig zwei ganz unterschiedliche Geliebten, malt dann das Porträt eines interessanten, ziemlich exzentrischen und reichen Mannes der Gegend namens Wataru Menschiki, wird durch diesen emotional und finanziell unterstützt, als im Garten aus dem Erdinneren Glockenklänge ertönen und von einer anderen Welt künden – und tatsächlich etwas gefunden wird, das Töne erzeugt. Und gleichzeitig unterstützt unsere Hauptfigur diesen Menschiki, weil er für ihn ein junges Mädchen malen wird, das dieser für seine eigene Tochter hält, wovon das Mädchen, das nun zum Porträtsitzen ins Haus kommt, nichts weiß.
Gespenster aber gibt es auch im Haus und der geschrumpfte Commendatore ist eins davon, der kommt und geht, wie es ihm gefällt. Ach ja, dazusagen muß man noch, daß nur der Erzähler diesen aus dem Bild Entsprungenen überhaupt sehen und sich mit ihm unterhalten kann, während die geheimnisvollen Töne und das Geschehen unter der Erde auch von Menschiki gehört und gesehen worden waren. Wenn man es recht betrachtet, sehen wir dem Mittdreißiger beim Erwachsenwerden und Mannwerden zu, denn er reflektiert in der Einsamkeit sein Leben und gegen Ende des ersten Bandes wird überhaupt erst deutlich, wie sehr er noch an seiner Frau hängt, von der er – das hatten wir nur längst vergessen – ganz am Anfang ja sagt, daß beide nach der Trennung nach längerem wieder zueinander gefunden haben und zusammenbleiben. Wichtig ist auch, daß er durch das Malen des Porträts des Exzentrikers im Haus des Amada zu einem eigenen Stil gefunden hat, der das Wesen des Porträtierten ausdrücken kann, wo es seine bisherigen braven Porträts bei physischer Ähnlichkeit beließen.
Eigentlich sind wir die ganze Zeit in Japan. Aber dann endet der 1. Band mit “Ein sehr begehrter Beruf“. Dort heißt es völlig unvermittelt, denn zuvor erzählt der junge Japaner erneut vom Ende seiner Ehe, deren Anfang doch das Schönste in seinem Leben war: „Im Laufe unser Unterhaltung kam ein Maler, ein Warschauer zu uns an die Pritsche, er war von mittlerem Wuchs, die Nase eines Geiers und ein schwarzer Schnurrbart stachen aus seinem Gesicht. Seine Gestalt, die vor dem Hintergrund des Lagers lächerlich wirkte, fiel mir schon aus der Ferne ins Auge. Bereits aus der Distanz war sichtbar, daß er ein Maler war, ein sehr begehrter Beruf im Lager. Oft erzählte er mir bei unseren Gesprächen über seine Arbeit. ‚Ich male Ölporträts für die Deutschen. Ich sehe ihre Familien, Frauen, Mütter, Kinder, deren Fotos sie mir bringen. Alle wollen Porträts ihrer Nächsten. Hingebungsvoll und voller Liebe erzählen mir die SS-Männer, wie ihre Angehörigen aussehen. Welche Farbe ihre Augen und ihre Haare haben. Auf der Grundlage dieser schlechten undeutlichen Schwarzweißfotografien male ich ihnen Familienporträts.Glaube mir, ich würde anstatt dieser Familienbilder lieber Kinder in Schwarzweiß malen, die in der Grube liegen, oben auf den Leichen im Lazarett. Auf daß sie diese mit nach Hause nehmen und sie als Andenken in ihren Häusern aufhängen. Diese Arschlöcher!‘“
Dieser Schluß und die Merkwürdigkeiten um den Commendatore und sein Bild erlaubten uns, diesen ersten Band zentral durch die Tat des jungen Amada in Wien zu deuten, was hoffentlich im zweiten Band seine Aufklärung findet. Was wir damit aber herausstellen, ja zeigen wollen, ist, welche literarischen Wellen der Anschluß Österreichs an Nazi-Deutschland sogar in Japan schlug.
Ach ja, sollte man doch noch erwähnen, daß Japan und Deutschland eine enge gemeinsame Geschichte haben? Bei ursprünglich sehr guten Beziehungen schloß sich Japan im ersten Weltkrieg den Feinden Deutschlands an, wurde aber in den Dreißiger Jahren erneut eine befreundete Macht. 1940 kam es nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour erst zum Dreimächtepakt, zu dem Italien gehörte und dann zum militärischen Bündnis, das aber keine größeren Wirkungen hatte.
Auf diesem Hintergrund paßt die Geschichte vom in Wien studierenden Amada sehr gut und frühestens im April kann man lesen, was dieser mit dem Anschluß Österreichs und den Widerstand dagegen durch ein Attentat auf Nazis zu tun hat.
Foto:
Cover des Hörbuches...'als Schriftsteller'© Hörbuch Hamburg
Als Buch ebenfalls bei DuMont Buchverlag
Info:
Manfred Flügge, Stadt ohne Seele. Wien 1938, 479 Seiten, Aufbau Verlag 2018
Haruki Murakami, Die Ermordung des Commendatore I Eine Idee erscheint, ungekürzte Lesung, 11 CDs, 781 Minuten, gelesen von David Nathan, Hörbuch Hamburg
Japanische Originalausgabe als Roman erschienen 2017, deutsche Übersetzung im Verlag DuMont Buchverlag