kpm AmazonDer Buchhandel ächzt unter seinen selbstgeschaffenen Problemen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Kleine Verlage finden mit ihren Veröffentlichungen selten einen Zugang zum Sortimentsbuchhandel. Für Verleger, die sich dennoch nicht entmutigen lassen, scheint Amazon eine Lösung bereitzuhalten: Advantage (= Vorteil). Doch Vorsicht ist geboten.

So bietet Amazon kleineren Verlagen mit seiner Advantage-Plattform eine Präsenz im Internet samt Bestellfunktion. Denn für diese Gruppe ist es häufig schwer, sowohl im Sortiment des Buchhandels als auch in den Katalogen der Buchgrossisten vertreten zu sein. Die Zurückhaltung des so genannten verbreitenden Buchhandels (sein Pendant ist der herstellende Buchhandel, also die Verlage) ist nicht zuletzt eine Folge der Marktmacht von Großversendern wie Amazon und Filialisten wie Thalia, Hugendubel oder der Mayerschen Buchhandlung. Letztere wiederum behaupten, lediglich auf das geänderte Verhalten der Käufer zu reagieren. Die Meinungen darüber, wer was ursprünglich ausgelöst hat, gehen jedoch auseinander.

Bereits bevor es die Bezugsmöglichkeiten im Internet gab, war die Rentabilität kleiner und mittlerer Buchhandlungen durch steigende Miet-, Lager- und Personalkosten gefährdet. Doch deren Reaktion auf die strukturelle Krise erwies sich als kurzsichtig. Man reduzierte das Angebot und den Service und konzentrierte sich auf Schnellgängiges, strich vor allem das Literarische. Dadurch stärkte man jedoch die erwähnten Filialisten. Die konnten in ihren Buchkaufhäusern den Eindruck von Vollständigkeit erwecken, vor allem hochgejubelte Bestseller anbieten und mit neu produziertem, preisgünstigem Antiquariat locken (vielfach Nachdrucke von Büchern, deren Erstauflagen keine Käufer fanden).

Angesichts der mehr als zwei Millionen lieferbaren deutschsprachigen Bücher erweist sich jede stationäre Buchhandlung als zu klein dimensioniert. Buchhandlungen komplettieren deswegen ihre jeweiligen Lagervorräte seit Jahrzehnten durch die Bestellmöglichkeit bei bundesweit tätigen Buchgrossisten, den Barsortimenten (z.B. bei KNV, Libri, Umbreit). So lassen sich nahezu zwei Drittel aller lieferbaren deutschsprachigen Titel innerhalb eines Tages besorgen. An diesem Verfahren hat sich auch mit der zunehmenden Bedeutung des Internets prinzipiell nichts geändert.

Allerdings kann der Endkunde mittlerweile selbst im Internet recherchieren und sofort eine Bestellung auslösen. Soweit er dies bei Amazon tut, bekommt er sie per Post bzw. Paketdienst zugestellt. Jedoch wird die Bequemlichkeit der Bestellung erkauft durch Unabwägbarkeiten bei der Zustellung. Wird an der Adresse niemand angetroffen und ist auch kein Nachbar bereit, die Ware anzunehmen (wovon wegen der Haftungsübernahme abzuraten ist), ist der Weg zum Depot-Postamt unausweichlich.

Vor allem an Freitagnachmittagen und Samstagvormittagen reichen dort die Schlangen der Amazon-Kunden bis auf die Straße hinaus. Als aufmerksamer Zuhörer kann man bei dieser Gelegenheit die Märchen der neoliberalen Konsumwelt aufschnappen: Die Buchhandlung im Stadtviertel, die eigentlich näher läge, könne Titel nicht innerhalb Tagesfrist bestellen (was nicht zutrifft). Zudem verfüge sie nicht über ein Online-Angebot (was leider vielfach noch so ist); aber selbst wenn, könne man die Bücher nicht umtauschen (was falsch ist, denn das Fernabsatzgesetz schreibt eine zweiwöchige Widerspruchsfrist vor).

Vor dem Hintergrund solchen Geredes gewinne ich regelmäßig den Eindruck, dass längst nicht alle Buchkäufer die Kunst des verstehenden Lesens beherrschen und offenbar von einer gefährlichen Bewusstlosigkeit hinsichtlich wirtschaftlicher Zusammenhänge heimgesucht werden.

Auf dieser Bewusstlosigkeit, also dem Mangel an aufgeklärten Kunden, basiert das Geschäftsmodell von Amazon. Dieser Anbieter erweckt den Eindruck, dass er allein alles in schnellster Zeit liefern kann und er außerdem noch als besonderen Service ein generelles Rückgaberecht einräumt. Diese Beeinflussungsstrategie gelingt vielfach, weil Amazon in den Internetsuchmaschinen omnipräsent ist. Doch diese erkauften Platzierungen kosten viel Geld. Zusammen mit den für den Kunden zumeist kostenlosen Retouren entsteht ein riesiger Finanzbedarf, der auch ein Riesenunternehmen an die Grenzen einer seriösen kaufmännischen Kalkulation bringt. Dann reicht der vom Preisbindungsgesetz zugestandene Höchstrabatt von 50 Prozent nicht aus.
Vor allem Kleinverlage, die Advantage nutzen, werden mit weiteren Rabattzugeständnissen, mit einer Grundgebühr sowie mit spezifischen, kostentreibenden Versandvorschriften belastet. Zusätzlich finanziert sich der Riese durch einseitig vorgenommene Verlängerungen von Zahlungszielen. Und er bezahlt seine Mitarbeiter nach branchenfremden, für ihn günstigeren Tarifen. Ganz zu schweigen von der Strategie der Steuervermeidung in den Ländern, in denen die höchsten Umsätze erzielt werden.

Amazon belegt, dass immer, wenn es einem multinationalen Konzern gelungen ist, seine Mitbewerber faktisch auszuschalten, dieser allein die Geschäftsbedingungen diktiert. Und dies zu Lasten aller anderen, die am Markt ihre Waren anbieten oder Produkte erwerben.

Das Beispiel von Amazon färbt auch auf Buchhandelsketten wie Thalia ab. Die forderte im letzten Jahr Verlage zur Zahlung einer Sondergebühr für die Präsenz ihrer Titel in den Sortimenten auf - ein eindeutiger Verstoß gegen das Buchpreisbindungsgesetz. Auch die permanente Rücksendung von eigentlich fest eingekaufter Ware durch Großbuchhändler bringt selbst größere Verlage in Schwierigkeiten. Aber seit dort die Verlegerpersönlichkeiten durch Krämerseelen ersetzt wurden und werden, wird selten gegen solche Erpressungen protestiert, geschweige denn vor Gericht geklagt.

Die Gesellschaft schaut teilnahmslos zu, vergießt allenfalls einige Krokodilstränen, wenn eine alteingesessene Buchhandlung schließen muss und dadurch ein weiteres, für die Infrastruktur eines Ortes wichtiges, Fachgeschäft verloren geht.

Die Erfahrungen, von denen unlängst der Inhaber des Offenbacher Ybersinn-Verlags in einem Beitrag in der "Frankfurter Rundschau" berichtete, sind leider typisch geworden für die „Kulturbranche“ Buchhandlungen und Verlage. Es wäre schon viel geholfen, wenn der Staat beim Giganten Amazon endlich die Steuerschraube festzöge. Derzeit finanziert die Masse der steuerzahlenden Firmen dessen Aktivitäten und Börsengänge und damit womöglich den eigenen Untergang.

Und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sollte zur Internetplattform „buchhandel.de“ mit einer Bestellfunktion zu Gunsten des örtlichen Buchhandels zurückkehren (wo der Kunde die Buchhandlung seiner Wahl bestimmen kann). Dass dieses Modell vor 1 ½ Jahren scheiterte, lag sowohl am Dilettantismus der verbandseigenen Vertriebsgesellschaft MVB als auch an der fehlenden Zahlungsbereitschaft jener Mitglieder, die regelmäßig die einbrechenden Strukturen des Buchhandels und die Begehrlichkeiten von Amazon beklagen.

Foto:
Konfektionierung der Bestellungen bei Amazon
© ARD