Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wer in früher Jugend im großväterlichen Speicher das Buch ‚Der Weg, den wir gingen‘ von Bernard Klieger fand und las, bleibt sensibilisiert für Literatur zum Nationalsozialismus: um zu erfahren, was aus einer der Gestalten des Grauens, die dem Inferno angehören, geworden ist.
Zumal auch, wenn eine dieser Gestalten der Öffentlichkeit lange verborgen geblieben ist und sich bis zuletzt einer Belangung durch die menschliche Gerichtsbarkeit entziehen konnte
Die Verkündigung der Verleihung des Ludwig Börne Preises an die Journalistin Souad Mekhennet gründet auf einer Entscheidung, die mit Freude aufgenommen wurde. Denn Frau Mekhennet war mit der Auffindung des meistgesuchten NS-Verbrechers Aribert Heim erfolgreich, nachdem dieser sich über Jahre und Jahrzehnte – mit Deckung einflussreicher Kreise – der Verhaftung und juristischen Aufarbeitung entziehen konnte.
Das 2015 herausgegebene Buch zu jenem „Dr. Tod“ (wie er zutreffend genannt wurde) beruht auf einer Glanzleistung der mehrjährigen investigativen journalistischen Detektivarbeit. Die Forschung über den Nationalsozialismus ist und bleibt eine dauerhafte Aufgabe; sie ist kein Steckenpferd unwohlgesonnener Kreise, sondern ein unversiegbarer wissenschaftlicher Forschungsgegenstand, der noch lange zu keinem Ende kommen wird. Der Nationalsozialismus ist ein Gegenstand endloser Abgründe.
In der Sendung ‚Nachtlinie‘ sprach die Autorin von ‚Dr. Tod – Die lange Jagd nach dem meistgesuchten NS-Verbrecher‘ gemeinsam mit Co-Autor Nicholas Kulish über den schwierigen Prozess der Aufdeckung der Lebensumstände von Aribert Heim, der eine lang andauernde Inkognito-Existenz führte und „über die Verhaftung, die sie während einer ihrer Reisen erlebten“.
Das Investigatoren-Duo konnte Dr. Tod endlich ausfindig machen
Das Buch zu Heims im Verborgenen gehaltener Existenz ist von bedeutendem Rang, weil es ein nahezu geschlossenes Bild dieser fehlgeleiteten Existenz eines Arztes liefert. Heim lebte eine Existenz in steter Zurückgezogenheit, die sich geschickt den Zuständen eines islamisch geprägten Landes anpasste, wobei er auch zum Islam konvertierte.
Er unterhielt noch lange Beziehungen zu seinem jüngeren Sohn. Dieser blieb unbedarft. Das Buch verzeichnet: „Er bedauert zwar die Gräueltaten, die Nazideutschland im Holocaust begangen hat, glaubt aber, sein Vater sei all der Verbrechen zu Unrecht angeklagt worden“ (S. 296). Nicht nur aus einem Hausbesitz in Berlin mit Mieteinnahmen wurden Heim größere Geldbeträge zugeschustert. An diesen Finanztransaktionen nahm auch sein Sohn teil. Gegenüber Frau Mekhennet bestätigte er schließlich, anhand eines aufgefundenen und ihm vorgelegten Fotos: „Ja, das ist mein Vater“.
Heim feierte in den privilegierten Kreisen der ägyptischen Gesellschaft, der sich auch eine einschlägig vorbelastete und insofern weiterhin aktive deutsche Gemeinde anähneln konnte. Er blieb aber aus begreiflichen Gründen stets auf Distanz. Er starb 1992 zurückgezogen in einem Zimmer, das ihm die Hotelfamilie, mit der er zunehmend verbunden war, bereitgestellt hatte. Von seltsamem Reiz ist die hinterbliebene Aktentasche Aribert Heims, die die Autorin und der Autor sicherstellen konnten und die auf der Rückseite des Buch-Einbandes abgebildet ist. Mit diesem aufgefundenen Relikt war Heim endlich identifiziert. In duckduckgo.com ‚Bilder‘ kann die Aktentasche in Augenschein genommen werden.
Wie war eine locker veranstaltete Flucht Heims so lange möglich?
Die permanente Flucht Heims, der Österreicher war, ist und bleibt hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Begleitumstände mysteriös. Die Amerikaner wussten von Heims Verbrechen. Zwar kam es im März 1946 zum Prozess gegen das Lagerpersonal von Mauthausen, dem auch Heim angehörte; jedoch brachten die Amerikaner ihn nicht auf die Anklagebank, obwohl auch er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft war. Im Mauthausen-Prozess wurden 61 Personen angeklagt, über 48 von diesen wurden Todesurteile verhängt.
Heim habe mehrfach eidesstattliche Angaben über seine SS-Laufbahn gemacht. Die Spruchkammer aber verschließe hiervor die Augen. „Dabei stehe die Wahrheit über den SS-Mann ein paar Seiten weiter“. Der Kommentar zum Film schließt: das Verhalten zu Heims Person könne nicht als Nachlässigkeit gewertet werden, sondern es habe sich um bewusstes Wegschauen gehandelt. Stefan Klemp, Historiker beim Simon Wiesenthal Center, gibt zur Kenntnis, dass der 1. Haftbefehl gegen Heim 1962 ausgestellt sei, Heim sich daraufhin aber am nächsten Tag durch Flucht entzog und bis heute nicht habe gefasst werden können.
Der bezeichnete Film sucht im Bundesarchiv nach Beweisen für die Theorie von den verdeckt handelnden Geheimdiensten und nach einem möglichen Mittun der Amerikaner. Es stellt sich aber heraus, dass die „einschlägigen“ Akten leer sind, d.h. „die Archive könnten gesäubert worden sein“. Mehr noch: selbst der Mauthausen-Einsatz Heims ist in seiner Akte nicht mehr verzeichnet.
Das Buch schließt einen Großteil der Lücken, die noch zum Komplex des „Schlächters von Mauthausen“ (wie er auch bezeichnet wurde) bestanden.
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‚Dr. Tod - Die lange Suche nach dem meistgesuchten NS-Verbrecher‘, Nicholas Kulish · Souad Mekhennet, München, C.H. Beck 2015