Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Im Dezember 1987, so erfahren wir im ersten Satz des Buches, marschierte Vietnam in Kambodscha ein, was hier aber nur dazu dient, eine zeitliche Angabe zu haben für das Ereignis, mit dem diese Krimigeschichte anfängt, als nämlich der ehemals amtliche Leichenbeschauer der Demokratischen Volksrepublik Laos Dr. Siri Paiboun– man lernt also auch Geschichte/Politik, nicht nur Geographie! – mit dem Genossen Civilai Songsawat – ehemals Mitglied des Politbüros – die politische Situation bespricht, zu der sie eine gemeinsame Meinung haben, nicht aber zu dem Finger, der im Rocksaum eines an Siri geschickten gewebten laotischen Rockes steckt.
Der englische Titel trifft den Kern der Geschichte viel genauer. Dort wird nämlich von 6 1/2 laotischen Röcken gesprochen, die heimisch Phasin genannt werden. Und am Schluß wird Dr. Siri aufgeklärt haben, weshalb er wie auf einer Schnitzeljagd durch Laos gejagt wird, und immer wieder einen neuen Phasin erhält, in dessen Saum die verschiedensten Gegenstände eingenäht sind. Nach dem Finger, der wie Siris Frau Madame Daeng herausfindet, gebleicht wurde, sind es Gewehrkugeln, Zettel, ein Streifen einer Kassette und andere unzusammenhängende Gegenstände, die in den Saum hineingenäht sind. Das ist die eine Schiene der Handlung, denn jetzt geht es darum, was einen der Finger sagen kann. Köstlich solche sprachlichen Feinheiten, wenn beim Finger dann von Fingerzeig gesprochen wird, der er für Siri ist. Man weiß ja nicht von wem er ist, weiß aber, daß er Laterit unterm Nagel hat, was auf Bauarbeiter zielt.
Die andere Schiene sind die Röcke, denen sie nachreisen, angefangen mit dem ersten Phasin mit dem Finger, der nämlich von einer Weberin sofort als Arbeit aus Luang Nam Tha identifiziert wurde. Wer will und es sich behält, wird hier zum laotischen Webexperten. Mir gefällt das, das so ernsthaft die Webarten differenziert werden, die Farben in der Verbindung mit dem Muster völlig eindeutig auf der Ort verweist, wo er gewebt wurde und nicht nur das, die Ahnungen der Weberinnen im Land sind so detailliert, daß sie nicht nur den Ort, sondern auch erkennen, wer, nämlich welche Weberin diesen Phasin gefertigt haben, wie es Madame Chanta beweist..
„‘Thai Lu‘, sagte Chanta. ‚Eindeutig.‘
‚Woran erkennen Sie das?‘, fragte Siri und starrte auf den alten phasin, der zwischen ihnen über den Tisch gebreitet lag.
Nun zum einen sind die meisten laotischen sin am Saum mit einem gemusterten Zierband, dem sogenannten tin sin, versehen. Die Lu hingegen setzen den Brokat etwas höher und lassen den Saum unverziert. Das ist der erste Anhaltspunkt. Obwohl jede Lu-Gruppe ihren eigenen Stil hat, gibt es die eine oder andere regionale Besonderheit. Sie haben vielleicht bemerkt, daß der Schuß hier vertikal verläuft. Die Lu weben Vorder- und Hinterteil häufig horizontal, schneiden sie dem Muster entsprechend zurecht und nähen sie an den Seiten zusammen. Außerdem ist er länger als die meisten anderen sin. Die Lu tragen ihre Röcke traditionell direkt unterhalb der Brust; wir nennen das die Empiretaille...“‘ (16f)
Da Siri und seine Frau Daeng in der Hauptstadt Vientiane sowieso wohnungslos sind – wie ihr schönes Zuhause über der berühmten Nudelküche der Daeng, mitsamt der Bücher, ohne die Siri nicht leben kann, von Intimfeinden als Brandstiftung verloren ging, ereignete sich im vorherigen Band der Serie -, ist klar, daß alle ins nördliche Luang Nam Tha aufbrechen werden. Alle? Zum alten Ehepaar gesellt sich der uralte Kommunist Civilai, der eine ganz besondere Rolle spielen wird. Und überhaupt: wo Siri ist, sind seine Mitarbeiter nicht weit. Denn der inzwischen pensionierte Leichenbeschauer hat mit der Ex-Krankenschwester Dtui eine begnadete Nachfolgerin, die mit der Linken auch noch Schwestern ausbildet, die zudem ihm bei allen Vorfällen hilft, also später auch in den Norden reist. Aber ihr Mann, Inspektor Phosy, ist schon dort, was für Siri sehr verdächtig ist, denn dieser konnte ja von der Ankunft des geschickten Phasin und seiner Herkunft gar nichts wissen. Dtui erläutert zwar, was eigentlich geheim ist, daß er die Tode zweier Ältester aufklären muß, die nicht natürlich zu Tode kamen, wo es aber Konsequenzen hat, wer zuerst starb, aber... Und darum hatte ihr Phosy die gute Dtui auch aufgefordert, unterzutauchen, was sie tut, in dem sie ebenfalls in den Norden reist.
Wir verfolgen also zwei Geschichten, die beide im Norden stattfinden und natürlich hofft der Leser, daß das irgendwie zusammenhängt. Über wen wir aber zuvor noch aufklären müssen, ehe die Erzähldampfmaschine - es passiert ein Mord am anderen, einschließlich des Auffindens von Leichenbergen, die das sozialkritische Movens des Autors zeigt - ins Laufen kommt, ist der alte Civilai, der von Siri als Watson tituliert wird, wenn er wieder einmal eine ganz eindeutige Sache als besondere Denkleistung seiner Person hinstellt. Er dienst auch als diejenige Figur, die die Brillanz des Ehepaares erst recht ins Leuchten bringt.
Undurchschaubar bleibt es lange, was da an Ereignissen sich entfaltet, aber das macht nichts, denn das korrespondiert damit, daß auch das Reisepärchen nicht einfach losfahren kann, denn wie mit Erpressung erst Richter Haeng motiviert wird, die nötigen Reiseerlaubnisse auszustellen, das sind so schöne Geschichten für sich, daß es wirklich so ist, daß man gar nicht an der Aufklärung der Gegenstände in den Röcken seinen Höhepunkt findet, sondern in der Art der Beschreibung der Vorgänge, zu denen wieder einmal Madame Daeng beiträgt, die mit Heroin und Backpulver die tollsten Erfolge zeitig. Wir haben uns überhaupt entschlossen, es bei der Besprechung des Buches mit der Exposition gut sein zu lassen, denn man muß nur den Ausgangspunkt wissen, dann liest sich auch dieser neue Colin Cotterill wie von alleine.
P.S. Das Lesen hat so viel Spaß gemacht, daß demnächst auch die Bände dazwischen: Grabgesang für Dr. Siri, Dr. Siri und der explodierende Drache sowie Dr. Siri und die Geisterfrau Ihnen vorgestellt werden.
Foto:
Colin Cotterill © Random House
Info:
Colin Cotterill, DR. SIRI UN DIE TRÄNEN DER MADAME DAENG,
Goldmann Verlag, Juli 2018
P.S. Das Lesen hat so viel Spaß gemacht, daß demnächst auch die Bände dazwischen: Grabgesang für Dr. Siri, Dr. Siri und der explodierende Drache sowie Dr. Siri und die Geisterfrau Ihnen vorgestellt werden.
Foto:
Colin Cotterill © Random House
Info:
Colin Cotterill, DR. SIRI UN DIE TRÄNEN DER MADAME DAENG,
Goldmann Verlag, Juli 2018