KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Februar 2013, Teil 1
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Auf Platz 1 rückt diesmal also der 2012 verstorbene britische Autor Reginald Hill mit RACHE VERJÄHRT NICHT, bei Suhrkamp erschienen. Ein tolles Buch, ein erschütterndes Buch und eines nach dessen Lesen man sich einsam fühlt, weil das von Hill so lebensnah geschilderte literarische Personal einem fehlt – und traurig ist man auch . Alle Menschen möchten eigentlich die Welt anders haben, gerechter auf jeden Fall und es schmerzt einen, wenn einer der schlimmsten Verbrechen beschuldigt wird und von den angeblichen Freunden das Netz um ihn immer enger geknüpft wird.
Das kann man auch ganz konkret sagen: Wolf Hadda hatte es aus eigener Kraft geschafft. Aus einem Nichts machte er einen superreichen mächtigen Kerl mit Geld wie Heu, bekam die Liebe seines Lebens zur Frau und dann: „Puff“. Wie eine Seifenblase zerplatzt das Glück und kehrt sich ins Gegenteil. Er soll, ach was, er ist ein Pädophiler, denn überall hat er solche Aufnahmen gespeichert und auch geschäftlich in solchen Kreisen mitgemischt und sein Geld hatte er dem aufgeblähten Finanzmarkt zu verdanken, in dem er durchaus Betrügereien machte- wie alle Banker.
Warum ausgerechnet sein bisher so gut bezahlter und gut funktionierender und gut aussehender Anwalt abgetaucht ist - und seine vergötterte Frau auch - und dieser, statt Wolf zu verteidigen, dessen Scheidung betreibt und seine Exfrau heiratet, das wundert einen erst, aber es halt alles Methode. Auch, daß sich Wolf, der erst einmal wie ein Berserker sich gegen die Verhaftung wehrt und flieht und vom nächsten Auto zum Krüppel zusammengefahren wird, endlich seine Verfehlungen zugibt. Denn die auf ihn angesetzte, noch junge, aber sich in seinen Gehirnwindungen gut auskennende Psychologin macht ihm klar, daß er sein Mindestmaß von sechs-sieben Jahren absitzen muß, wenn er sich schuldig bekennt. Denn unschuldig hält ihn für niemand, weshalb er dann wesentlich länger sitzen muß.
Es sind ausweglose Situationen wie diese, die einem irre werden lassen an unserem System von Strafen, Einsicht und Reue, denn fast alle haben zu einem Täter ein Modell im Kopf, wovon sie nicht runterkommen. Und so geht es einem von Anfang an, daß man ein Verbrechen wie dieses – und darin ist der Roman sehr eindrücklich, daß Kinder zu schänden die unterste Stufe menschlichen Verhaltens ist – dem Täter nicht zutrauen mag und vom Autor in eine Versuchsanordnung gepreßt wird, in der man – gegen seine Überzeugung – ihn für schuldig halten muß. Nein, man kann den Fortgang der Geschichte nicht erzählen, ohne die Fallstricke zu verraten, die der Leser selber entwirren muß.
Auf jeden Fall erlebt man – man ist in England – so richtig echte Inselbewohner, so skurril, daß man es nicht glauben mag, so eingebildet und lebensfern, daß man es auch nicht glauben mag und dann einen Protagonisten, der einem nicht nur ans Herz wächst, sondern der zu einem Wundermann wird, auch zu einem, der als Krüppel keiner mehr ist, wenn es darauf ankommt. Dabei gibt es auch noch eine der anrührendsten Liebesgeschichten, wenn der Amour fou zwischen den Halbwüchsigen erzählt wird: dem Holzfällersohn Wolf und der Tochter des adligen Großgrundbesitzers, die just dieselbe ist, die ihn zum Mann nimmt und dieselbe, die sich dann scheiden läßt. Aber da Rache nicht verjährt...
Das mußte sein, denn es handelt sich um einen wirklich herausragenden Roman, der auch denen gefallen müßte, die es mit den Krimis nicht so haben. Auf dem zweiten Platz nun Friedrich Ani mit SÜDEN UND DAS HEIMLICHE LEBEN vom Verlag Knaus, ein Buch, das uns gut gefallen hatte und das man auf einmal an RACHE VERJÄHRT NICHT zu messen beginnt. Das ist unfair und wir lassen es sein, denn nicht nur der große Epos hat seine Berechtigung, sondern ein eingedrücktes Leben in München auch! Dieses Buch ist nun zum dritten Mal dabei, mehr darüber in den letztmonatlichen Kommentierungen
Das betrifft auch Mike Nicols KILLER COUNTRY von btb auf dem 3. Rang. Es ist der 2. Band der 'Rache' Trilogie, der zeigt, wie dünn das Fundament der Demokratie in Südafrika ist. Auf der anderen Seite Europas spielt DENN DIE GIER WID EUCH VERDERBEN von Åsa Larsson von C. Bertelsmann. Die Krimi-Autorin Camilla Läckberg, derzeit auf Lesereise in Deutschland gewesen, hat u.a. Frau Larsson und Herrn Hill als ihre Vorbilder beim Schreiben bezeichnet – und schon stehen beide auf der KrimiBestenListe! Wir hätten Åsa Larsson noch weiter oben plaziert, denn sie schildert uns die Welt von heute als Abrechnung mit der Welt von gestern. Man erfährt in eindringlichen Schilderungen das Leben in dieser Minenstadt Kiruna, als es noch richtige Kapitalisten und richtige Ausgebeutete gab.
Leid tut es einem um die nette junge Frau Lehrerin beim Ausflug in die Geschichte und den Norden, den wir mitunternehmen, denn das Leben ist ein Gleichnis, auf jeden Fall eines im Flug, wir wissen nicht, wohin es uns weht, aber bleibt man zu Hause, ist es auch gefährlich. Wir lesen nahegehende Kinderschilderungen, das kann die Autorin hervorragend, wie auch tolle Naturschilderungen und von gefährlichen Bären und treuen Hunden. Untreu ist nur der Mensch und derjenige, der dann tatsächlich einen nach dem anderen abmurkst, hätte mal lieber einen Juristen fragen sollen, damit die Reihenfolge der Todesfolgen eine andere gewesen wäre und die meisten noch am Leben wären. Aber dann wäre das nicht dieses Buch. Fortsetzung folgt.
Die KrimiZEIT-Bestenliste Februar 2013
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(8) |
Reginald Hill: Rache verjährt nicht Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Suhrkamp, 686 S., 19,95 € London/Cumbria. Kinderschänder oder Hedgefonds-Manager – welche Anklage wiegt schwerer? Wolf Hadda, nach Fluchtversuch zum Monster verkrüppelt, geht für beides in den Knast. Nach sechs Jahren wieder frei, sinnt er auf Rache. Posthumes Wunderwerk englischer Erzählkunst. Hill ist 2012 verstorben. |
2 |
2 |
(1) |
Friedrich Ani: Süden und das heimliche Leben Knaur, 206 S., 8,99 € München. Als der Kellnerin Ilka Senner angeboten wurde, die Kneipe zu übernehmen, in der sie jahrelang gearbeitet hatte, verschwand sie fast spurlos. Tabor Süden soll sie wiederfinden. Er hat es nicht weit, und schon stöbert er in ungelebten Leben, verschluckter Gewalt, logischem Irresein. Ani in großer Form. |
3 |
3 |
(2) |
Mike Nicol: Killer Country Aus dem Englischen von Mechthild Barth btb, 512 S., 14,99 € Kapstadt. Band 2 der „Rache-Trilogie“. Mace und Pylon, ehemals Waffenhändler des ANC, jetzt Nobel-Security, wollen in Frieden ihr Erspartes investieren. Doch Ex-Politiker Ocho und Anwältin February spielen nicht ehrlich. An dickes Geld kommt man nur durch Mord. 20 Jahre Demokratie haben daran nichts geändert. |
4 |
4 |
(7) |
Åsa Larsson: Denn die Gier wird euch verderben Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs C. Bertelsmann, 384 S., 19,99 € Kiruna. Frans Usitaalos Hand wird im Magen eines Bären gefunden, seine Tochter ist mit zigmessertichen ermordet worden und sein Enkel wird beinahe erstickt. Rebecka Martinsson und Anna-Maria Mella ermitteln Familien- und Regionalgeschichte: Die Minenstadt Kiruna als Moloch, der Geld spuckt, wenn man ihm Kinder opfert. |
5 |
5 |
(-) |
Nick Stone: Todesritual Aus dem Englischen von Heike Steffen Goldmann, 574 S., 9,99 € Miami/Kuba 2008. Ex-Cop, Ex-Knasti und Privatdetektiv Max Mingus wird von einer US-Heimatschutz-Beamtin gezwungen, eine Mörderin und schwarze Bürgerrechtlerin aus Castros Schutzbereich in die USA zu entführen. Stones cool-dämonisches drittes Buch über Mythen, Kulte und Gewalt der Karibik. |
6 |
6 |
(6) |
Roger Smith: Stiller Tod Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Tropen, 382 S., 19,95 € Kapstadt. Am Reichen-Strand ertrinkt Sunny, dieweil Vater Exley kifft, Mutter Exley vögelt und Wachmann Vernon glotzt. Roger Smith packt wieder den Hammer aus. In den Cape Flats regieren Armut, Gewalt und Kindesmissbrauch. Die Weißen kommen davon. Und Vernon verliert sein Spiel. |
7 |
7 |
(4) |
Merle Kröger: Grenzfall Argument/Ariadne, 352 S., 11,00 € Mecklenburg-Vorpommern/Rumänien, 1992-2012. Wie Wildschweine erschossen beim Grenzwechsel: Marius und Nicu. Die Jäger freigesprochen. Marius’ Tochter Adriana kehrt zurück, um sie zu stellen. Kluge Kriminalerzählung zum Dokumentarfilm Revision. Empathisch scharfer Blick in europäische Angstzustände. |
8 |
(-) |
Håkan Nesser: Am Abend des Mordes Aus dem Schwedischen von Paul Berf btb, 480 S., 19,99 € Kymlinge. Gunnar Barbarottis Frau ist gestorben. Der trauernde Inspektor arbeitet sich ins Leben zurück. Er untersucht, ob Ellen, die vor Jahren ihren ersten Mann erschlug und zerstückelte, auch den zweiten beseitigt hat. Im letzten Barbarotti-Roman geht es um das weite Feld zwischen Tod und Leben, um Gott und ums Bessermachen. |
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9 |
9 |
(-) |
Rick de Marinis: Götterdämmerung in El Paso Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller Pulpmaster, 318 S., 13,80 € El Paso. Der 150-Kilo-Dichter und Wagner-Fan Luther Penrose will seine Muse Carla wiederhaben. Die gütige Freiheitskämpferin ist leider Nazihautarzt Selbiades’ Reinigungstruppen in die Quere gekommen. Detektiv J.P. Morgan wühlt im Grenzland-Schlamassel. Leicht, grotesk, Wagner-Parodie in desert noir. |
10 |
10 |
(-)
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Nicci French: Eisiger Dienstag Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller C. Bertelsmann, 528 S. 14,99 € London. Psychotherapeutin Frieda Klein jagt mit seelsorgerisch-detektivischem Übereifer winzigsten Vermutungen hinterher und entdeckt echte Beweise. Der Mann, der, halb verwest und doch umsorgt, ihre Suchlust weckt, war von Friedas Art: einfühlsamer Zuhörer und Ziel von Mordgelüsten. Frieda Klein ist klasse. |
Info:
Rund 1500 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die Februar-Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio.
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 7. 2. 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html
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in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 7.2.2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste
Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt
Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“ Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Gunter Blank, Sonntagszeitung
Thekla Dannenberg, Perlentaucher Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung Michaela Grom, Heidelberg, SWR Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38 Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten.
Info:
Film zu Grenzfall