c.krumme type krumme typeKrimibestenliste Oktober 2018, Teil 1

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Freut uns, daß Tom Franklins KRUMME TYPE, KRUMME TYPE aus dem Verlag Pulp Master überwintert, sprich: „übermonat" hat, denn dieser schräge, emotional fesselnde Roman bleibt weiterhin auf Platz 1. Da wir im letzten Monat schon voll des Lobes waren, fügen wir unten den Link zur Septemberbesprechung an. Und gleiches gilt auch für den zweiten Platz, für SLOW HORSES von Mick Herron aus dem Diogenes Verlag. Kollegin Hannah Wölfel hatte ihn längst besprochen und dafür die Überschrift gewählt: „Ein merkwürdiger Spionagethriller“.

Sie fängt dann so an: „Mick Herrons vermeintlicher Spionagethriller „Slow Horses“, frei übersetzt mit „Lahme Gäule“, ist ein seltsames Buch. Bis zur Hälfte des Romans, also auf über 230 Seiten, passiert fast NICHTS - aber das wird mächtig literarisch und mit viel schwarzem britischen Humor erzählt.“ Das macht doch neugierig. In der englischsprachigen Welt ist der Autor längst auf einen gewissen Kultstatus gelangt. Denn dort gibt es schon die sechste veröffentlichte Krimifolge um das Slough House, deren Personal von den smarten, ja schnittigen Kollegen in der Zentrale im Regent Park gemeinerweise als eben „Slow Horses“ bezeichnet werden. Tobias Gohlis führt genüßlich vor, wie man zur Spionageabsteige wird: „Bei einer Tauglichkeitsprüfung verwechselt River Cartwright weiß und blau, legt die U-Bahn-Station Kings Cross lahm. Schaden für Londons Tourismus: Dreißig Millionen Pfund. Für das Königreich 2,5 Milliarden. Geschätzte Verluste – denn die Terroristenhatz, bei der er versagte, war nicht echt, sondern nur eine Übung.“

Noch mal zurück zu Tom Franklin, der den Kennern der Krimibestenliste seit Jahren wohlbekannt ist, denn der in Alabama 1963 geborene US-Amerikaner war mit jedem seiner auf Deutsche erschienenen Romane auf der jeweiligen monatlichen Krimibestenliste. Das galt für DIE GEFÜRCHTETEN von 2005, wo es um Gewalt in den Südstaaten geht. Und das galt auch für SMONK von 2017, ein Buch, das uns, auch weil es noch nicht so lange her ist, noch gut in Erinnerung ist. Und von dem neuen KRUMME TYPEN, KRUMME TYPEN, das im Original CROOKED LETTER, CROOKED LETTER heißt, wird einem für immer im Gedächtnis bleiben, daß so die Kinder von Mississippi ihren Bundesstaat zu buchstabieren lernen: „M I crooked letter...“

Vom neunten auf den dritten Rang vorgeprescht hat sich MACBETH. Der neue Thriller von Jo Nesbo aus dem Verlag Penguin ist wirklich große Oper. Dieses Buch ist völlig originär und damit auch konträr demgegenüber, warum wir bisher Jo Nesbos Krimis schätzten. Da ist uns nämlich Harry Hole, der Kommissar aus Oslo, ans Herz gewachsen, der immer wieder seiner Sucht nicht gewachsen ist. Kein Wunder, ist er doch familär belastet, wie man auf der eigenen Webseite (siehe unten) , die Jo Nesbo seinem Helden zusammengestellt hat, nachlesen kann. Vererbt bekommen hat er die Alkoholsucht, dann aber die nach Morphium noch draufgesetzt. Aber nicht deshalb geht er einem ans Herz, sondern, weil er mit solchen Dämonen in sich derer am ehesten Herr wird, wenn er das Leid anderer aus der Welt schaffen kann und die Verbrecher jagt, wie nur er es mit unerbittlicher Leidenschaft und mit Geistesfähigkeiten kann. Aber bei MACBETH geht es um etwas völlig anderes.

Es gibt nämlich seit 2016 ein Shakespeare- Projekt der Hogarth Press, die wiederum zum amerikanischen Weltkonzern Penguin-Randomhouse gehört. Das Projekt wurde zum 400sten Todestag von William Shakespeare mit der Absicht begonnen, derartige dramatische Stoffe aus der Welt von Heute zu erzählen. Die Stadt, in der dies Drama von shakespearschem Ausmaß spielt, wird nicht benannt, nur ihr alter ego als Stadt hat einen Namen, den man gleich wieder vergessen kann, denn alle Ereignisse spielen an diesem Unort, wo uns bekannte Figuren begrüßen: ein korrupter Bürgermeister, ein gerade verstorbener Chief Commissioner namens Kenneth, den man auch vergessen kann, nur sein Erbe nicht, denn er hatte zu Lebzeiten ein Regime errichtet, in dem Gewalt und Geldgaben die Währung des Überlebens sicherten. So korrupt wie er war kein anderer, wenn man von den eigentlichen Verbrechern absieht, die – das hat wirklich das Maß von Shakespeare – sich in der Figur des Hecate bündeln. Daß dieser Name griechisch klingt, hat uns völlig verwirrt. Denn Hekate ist in der griechischen Mythologie die Göttin der Totenbeschwörung, die der Magie und einfach die Zuständige für den Übergang vom Sein zum Tod, der ja ein Weiterleben, aber eben woanders, beinhaltet. Also echt, ein so erfahrener Schreiber wie Nesbo kann einfach nicht einen solchen Namen verwenden und sich dann nichts dabei denken. Aber wir lasen bisher nichts darüber.

Während wir dies im Kopf immer weiter bedenken, kommt dieser Hecate lange überhaupt nicht vor. Er ist wie eine Schimäre, ebenfalls eine griechische Anleihe, diese ebenfalls mythologische Gestalt eines Trugbildes. Er wird immer als graue Eminenz genannt, wenn es um dortige Verbrechen geht, wobei der Drogenmarkt seine Domäne ist, die durch die neuen Designerdrogen auch neue Kundschaft anziehen, so daß die landläufigen Drogen den Norse-Bikern überlassen ist, eben das Herkömmliche sich Volldröhnen und Besaufen dazu. Wo das Ganze spielt, ist unklar, irgendeine schottische Stadt an der Westküste im 20. Jahrhundert, als überall in England die Märkte einbrachen und der Abbau von Industrie und Bergbau zum riesigen Heer der Arbeitslosen führte, die später von einer gewissen Thatcher dann noch mit dem totalen Abbau des Wohlfahrtsstaates belohnt wurden. Unser Held Macbeth ist eigentlich nur Kommissar, der aber durch seine rasante Frau, die schön und elegant mit ihren Mitteln als ehemalige Edelhure, was ja gleichbedeutend mit dem Wissen einer Psychologieprofessorin ist, einen Spielsalon leitet, den andere eine Spielhölle nennen, der also durch seine ehrgeizige Frau, der er quasi hörig ist, zu Verbrechen getrieben wird, die wirklich gegen jede Menschlichkeit sind, weil es um nahestehende Kollegen, ja echte Freunde geht. Darum kann er ja zwar morden, aber mit dem Ergebnis seiner Schuld nicht weiterleben.

Fortsetzung folgt

PS.: Wir lasen und hörten (Hörbuch Hamburg) MACBETH sozusagen gleichzeitig und wenn wir es ernst nehmen, eigentlich dadurch fast doppelt. Denn das Hin- und Hersuchen zwischen Buch und den Hörbuchstellen, ist oft komplizierter, und dauert länger als schnell noch mal das Gelesene auch zu hören und umgekehrt. Dadurch haben wir die Gewißheit, diese Geschichte wirklich erlebt zu haben und sind gewiß, das wird einmal verfilmt. Denn das Geschehen ist so bildmächtig, daß man tatsächlich beim Wiederhören oder Wiederlesen sich wie im Kino vorkommt.


DIE KRIMIBESTENLISTE OKTOBER
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Oktober 2018



1(–)
Tom Franklin
Krumme Type, krumme Type
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Pulp Master, 416 Seiten, 15,80 Euro
„Chabot“, Mississippi. Alle nennen ihn „Scary Larry“. Hat er wieder, wie vor
25 Jahren, ein Mädchen umgebracht? Constable Silas, einst eine schwarze
Baseball-Hoffnung, zweifelt. Einen Sommer lang waren die beiden Außenseiter
Freunde. Schweigen, Angst, Rassismus – gelähmte Gesellschaft, tolles Buch.


2(–)
Mick Herron
Slow Horses
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer.
Diogenes, 480 Seiten, 24 Euro
London. Versager, „Slow Horses“ im Geheimdienstjargon, landen im Slough
House, um Sinnloses zu tun, bis sie freiwillig kündigen. Als rechte Dumpfbacken
einen Hassan entführen, um ihn öffentlich zu köpfen, schlägt die Stunde der lahmen
Gäule. Der Feind lauert im Innern – des Geheimdienstes. Feiner Start.


3(9)
Jo Nesbø
Macbeth
Aus dem Englischen von André Mumot.
Penguin, 624 Seiten, 24 Euro
Schottland. SWAT-Führer Macbeth und Casinochefin Lady, am Drogen-Bändel
von Gangster Hecate, schalten die Polizeiführung aus. Macbeth, „Mann aus dem
Volk, für das Volk“, bringt Freunde, Feinde, Kinder um. Aktuelle, atmosphärisch
schlüssige Transposition des Shakespeare-Stoffs. Nesbøs bestes Buch.


4(–)
André Georgi
Die letzte Terroristin
Suhrkamp, 362 Seiten, 14,95 Euro
Deutschland 1991. Ungelöste Rätsel, die dritte Generation der RAF im Verborgenen.
Plausible Fiktion zum Mord an Treuhandchef Dahlmann. Sandra Wellmann,
dicht am gut geschützten Opfer, unter Mordzwang. Verstörender Rückblick auf die
Nachwendezeit: DDR-Übernahme und die leere Binnenwelt der Terroristen.


5(–)
Simone Buchholz
Mexikoring
Suhrkamp, 248 Seiten, 14,95 Euro
Hamburg, Bremen. Versicherungsvertreter Nouri Saroukhan erstickt in einem
angezündeten Auto. Chastity Riley und Kollegen prallen gegen die Mauer der
Clans, die Nouri und die junge Aliza verstoßen haben. Staatsohnmacht. Autos
brennen überall. „Links von uns ist ein Riss im Himmel.“


6(3)
Mercedes Rosende
Krokodilstränen
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, 224 Seiten, 18 Euro
Montevideo. Die sicherste Stadt Lateinamerikas, ins Chaos gestürzt von
Rechtsanwältin Rosende. Heldin Úrsula frisst, Knasti Germán ist Paniker. Sie heult,
er kotzt. Ihre Familie hat sie schon fast verschlungen, jetzt erbeutet sie souverän mit
rosa Tasche Millionen. Leider gibt es auch Polizei.


7(–)
Jérôme Leroy
Die Verdunkelten
Aus dem Französischen von Cornelia Wend.
Edition Nautilus, 224 Seiten, 18 Euro
Frankreich, nahe Zukunft. Attentate, Militärdiktatur, Chaos. Immer mehr Leute
verlieren die Lust an dem Scheiß, verschwinden einfach, verdunkeln. Gefahr für die
öffentliche Sicherheit! Schriftsteller Trimbert reflektiert seinen Weg ins Dunkle.
Geheimagentin Agnès jagt ihn, fasziniert.


8(–)
Ryan Gattis
Safe
Aus dem Englischen von Ingo Herzke und
Michael Kellner.
Rowohlt, 412 Seiten, 20 Euro
South Los Angeles. Safespezialist Ghost reagiert auf die Lehman-Pleite.
Er knackt die Tresore lokaler Drogenbarone und verteilt das Bare an
die Armen. Im aussichtslosen Fight mit Boss Rooster hat Ghost zwei
Verbündete: seinen Tumor und die Skrupel eines Gangsters. Romantische
Gettoballade.


9(–)
Dennis Lehane
Der Abgrund in dir
Aus dem Englischen von Steffen Jacobs und
Peter Torberg.
Diogenes, 528 Seiten, 25 Euro
Boston. Frau liebt Mann, Mann rettet Frau. Sie erschießt ihn. Rachel ist
schlau, Tochter einer manipulativen Mutter, ein Fall für die Psychiater.
Da begegnet ihr Brian, liebevoll, zugewandt, stark. Sie möchte, will ihm
trauen. Lehanes Variante des Girl-Krimis: Psychothriller wird
Gaunerkomödie.


10(2)
Lisa McInerney
Glorreiche Ketzereien
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, 448 Seiten, 24 Euro
Cork, Irland. Seniorin Maureen erschlägt einen Einbrecher mit einem
Heiligen Stein. Die Leiche muss weg. Wie überhaupt alles, was den Anschein von
Wohlanständigkeit stören könnte. Poetisch, direkt, kalt servierter schwarzer
Humor: endlos die Spirale von gekränkter Ehre, Demütigung und Gewalt.


Über die Krimibestenliste

An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und
der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.

Die Jury der Krimibestenliste

Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“
| Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank, „Sonntagszeitung“
| Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter Eggenberger,
„Tagesanzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ | Jutta Günther,
„Nordwestradio“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Polar Noir“ | Hannes Hintermeier,
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“| Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering,
„Spiegel Online“, „Krimi-Welt“ | Ulrich Noller, „Deutsche Welle“,
WDR | Frank Rumpel, SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |
Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats und auf
www.faz.net/krimibestenliste

Foto:
Cover

Info:
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/13793-krumme-type-krumme-type-von-tom-franklin-bei-pulp-master-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/13925-ein-merkwuerdiger-spionagethriller
https://nesbo.de/harry-hole