Britischer Man-Booker-Preis für Julian Barnes
Von Klaus Hagert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Er tat so, als ob er es nicht glauben könne und versicherte sich durch Hineinlugen in das Vorlesepapier der Jury-Vorsitzenden Stella Rimington, daß dort tatsächlich sein Name stand, als Gewinner des mit 50 000 Pfund (rund 57 000 Euro) dotierten Booker-Preises, der für das gesamte Commonwealth einschließlich Irlands ausgelobt wird. Julian Barnes, in Deutschland vor allem durch „Flauberts Papagei“, 1987 bei Haffmans auf Deutsch erschienen, sehr bekannt geworden, was dann dafür sorgte, daß auch seine weiteren Bücher übersetzt wurden, war in diesem Jahr haushoher Favorit inmitten einer Schar eher populistischer Literaturen. Aber ach, immerhin war Barnes schon dreimal - das letzte Mal 2005 - zuvor für diesen höchsten, dazu sehr lukrativen britischen Buchpreis auf der Shortlist nominiert gewesen. Der vierte Versuch brachte nun zu Recht den Booker Preis.
Selten war die Vorentscheidung so durch Presseecho und Widerstand umtost gewesen wie in diesem Jahre. Das lag erst einmal an der für deutsche Verhältnisse recht abenteuerlichen Zusammensetzung der Jury. Oder könnte man sich bei uns vorstellen, daß eine ehemalige Geheimdienstchefin (Inlandgeheimdienst Mi5), den Dienst quittiert, Krimiautorin wird und als solche der Jury vorsitzt, in der u.a. auch ein früherer Labourabgeordneter sitzt. Überhaupt müßte an dieser Stelle darauf verwiesen werden, daß der Man-Booker-Preis zusammen mit dem Prix Goncourt der Franzosen spät, aber nicht zu spät Vorbild war für den im Jahr 2005 ins Leben gerufenen Deutschen Buchpreis, dem die Schweizer 2008 mit einem Schweizer Buchpreis folgen – die Deutsch-Schweizer, inzwischen wird auch ein italienischer und französischer Schweizer Buchpreis diskutiert - , während die Österreicher zwar einheimische Buchpreise, aber keinen auf den Buchmarkt abzielenden großen Preis haben.
Hierin liegen nämlich die Absichten aller nationalen Buchpreise: das Medium Buch kaufmännisch zu stärken und zwischen hoher Literatur und dem Gängigen eine Spur zu finden, die zu hohen Verkaufszahlen in den Buchhandlungen und zudem für Übersetzungen in andere Sprache führt. Letzteres gilt insbesondere für den deutschen Buchmarkt, denn die englischen Titel eh werden ins Deutsche übersetzt. Von daher ist die Besetzung der Jury ausschlaggebend dafür, in welche Richtung die Chose läuft. Der Deutsche Buchpreis ( 25 000 Euro) hat sich erstaunlich souverän über die Jahre behauptet und in diesem Jahr zu einer Auswahl der letzten Sechs geführt, von denen jeder mit einem gewissen Recht den Siegerpreis 2011 hätte erhalten können, der Eugen Ruge für "In Zeiten des abnehmenden Lichts" aus dem Rowohlt Verlag zugesprochen wurde.
Der Schweizer Buchpreis (50 000 Franken) wird am 20. November in Basel verkündet. Und da sieht es dieses Jahr etwas happig aus, denn die Fünf der Endrunde werden allesamt von deutschen Verlagen herausgebracht und gelten in Buchhändlerkreisen als abgehoben. Die im Verlauf der Auswahl bekanntgemachten Bücher aber sind es, die in den Buchhandlungen die Verkaufszahlen steigern sollen, was beim diesjährigen Booker-Preis auch gelang, wo die letzten sechs Bücher auf Anhieb 37 500 mal gekauft wurden, mehr als das Doppelte vom Vorjahr. Das lag sicher auch an der routinierten Jury Vorsitzenden, die verkündet hatte: „Wir wollen, daß die Leute die Bücher kaufen, um sie zu lesen; und nicht, daß sie Bücher kaufen, um sie zu bewundern.“
Für „The Sense of an Ending“ von Julian Barnes gilt nun beides. Man liest es gerne und bewundert es dabei. Die über 150-Seiten Novelle handelt von Tony Webster, der als Pensionist nun seine eigene Selbstzensur gegenüber seinem Leben und den Schicksalsschlägen vom Tod des Freundes und Verlassenwerden der Freundin aufheben muß, dies aber auch kann und erkennen muß, was er selbst damit zu tun hat. Klug, präzise, der eigenen Phantasie beim Lesen raumgebend gelingt Julian Barnes ein kleines Meisterwerk, das am 8. Dezember auf Deutsch beim Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch herauskommt.
Barnes nahm in der Dankesrede auf, was Jorge Luis Borges über die Paranoia geäußert hatte, die jeden Weltschriftsteller befällt, denkt er daran, daß in Schweden Leute sitzen, die täglich daran arbeiten, daß er den Literaturnobelpreis nicht bekäme. Ähnlich sei es ihm mit dem Booker-Preis gegangen, gab Julian Barnes zu. Gerade weil er dermaßen zum Favoriten gestempelt worden sei, habe er dem mißtraut. Mißtraut aber hatte die literarisch interessierte Öffentlichkeit der Jury, weil hochgehandelte und –gelobte Autoren wie Alan Hollinghurst nicht in die Endliste aufgenommen worden waren, dafür mit Stephen Kelman und AD Miller zwei Debütanten, mit Patrick deWitt und Esi Edudyan zwei recht unbekannte Kanadier sowie Carol Birch. Mit der Zuerkennung des Preises an Julian Barnes sind die Geplänkel um einen Alternativpreis aber nicht ad acta gelegt. Den gibt es nun mit „Literary Prize“, der ausdrücklich auf die Qualität des Geschriebenen setzt. Wir meinen, nur zu. Diskussionen und Preise schaden dem Bücherkaufen nicht. Schlechte Bücher schon.
Julian Barnes, The Sense of an Ending, auf Deutsch ab 8. Dezember bei Kiepenheuer & Witsch