Frankfurter Buchmesse, Teil 19: Der schnelle Aufstieg der Fantasy
von Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wir wollen aber nicht den Blick zurück, zu den Schauergeschichten des 18. und 19. Jahrhunderts und auch nicht den Gothic Novells wenden, sondern fragen, wohin die Märchen, Science Fiction und die heute gängigen Zaubergeschichten genauso wie die Horrortexte gehören und all das, was durch Erfindungen zu technischen Utopien beigetragen hat, wie es paradigmatisch der Film METROPOLIS von Fritz Lang uns ins Hirn und ins visuelle Gedächtnis schreibt und uns damit beschäftigen, warum 212 Aussteller auf der Frankfurter Buchmesse von dieser der „Fantasy“ zugeordnet und null mit „Phantastik“ bezeichnet werden.
Vielleicht wäre das alles nicht passiert und wir würden heute einheitlich von Fantasieliteratur sprechen, wenn nicht zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus dem „Fantasiestücke…“ von E.T.A. Hoffmann auf Französisch „Contes fantastiques…“ geworden wären, statt „Contes de la fantaisie“, was mit dem Siegeslauf der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz 1830 Entsprechung fand. Unter „fantastisch“ wird heute sprachlich alles das subsummiert, was nicht erklärbar, unglaublich, großartig, halb verrückt, auf jeden Fall eigen und versponnen ist. Der Übersetzungsfehler ist aber passiert und zum gängigen Begriff geworden und darum müssen wir uns um „Fantasy“ kümmern.
Erst einmal ist „Fantasy“ schlicht die englische Übersetzung für Phantastik. Aber im deutschen Sprachraum nimmt „Fantasy“ längst eine spezielle Sonderrolle im Genre der Phantastik ein, wie man sagt: benachbartes Genre, genauer: Subgenre. Damit befindet sich Fantasy in Nachbarschaft von Science Fiction, von Horror, von Utopien, immer jedoch als Teil des Gesamtbegriffs der Phantastik. Es ist also schlicht falsch, wenn die Phantastische Literatur wie die anderen Subgenres auf der Frankfurter Buchmesse nun als „Fantasy“ benannt werden. Denn noch immer befindet sich auch die Frankfurter Buchmesse auf deutschem Boden und es kann kein Argument sein, daß ein Englischsprechender mit „Fantasy“ mehr anfangen kann als mit „Phantastik“, wenn es im Deutschen eben immer nur um die Unterordnung, die Einordnung der Fantasy in den Hauptbereich der Phantastik geht, deren Binnenverhältnis nicht nur verschleiert werden, sondern, schlimmer: die zum Tod des Genre Phantastik führen.
Wenn also Verleger, die vorgenommene Bezeichnung auf einem Titel „Phantastischer Roman“ wieder entfernen, weil ihnen Buchhändler sagen, daß Leser dies dann als „Fantasy“ kauften und dementsprechend sich ärgerten, wenn sie feststellten, daß es sich überhaupt nicht um übernatürliche, um magische, um märchenhafte Literatur handele. Das nämlich wäre die Fantasy, die von den Mythologien, den Märchen und der Sagenwelt herkommt. Die gerade wieder neu übersetzten isländischen Sagas gehören dazu wie Grimms Märchen und Harry Potter auch.
Entscheidend für die Einordung in „Fantasy“ ist auch das Personal. Da gibt es die Tiere, die natürlich in Menschensprache sprechen können, es gibt die Guten, die dem Menschen helfen, wie auch die Schlechten, von denen der Abscheulichste der Drache ist. Der Drache, der junge Mädchen verspeist, das Einhorn, das seinen Kopf in den Schoß derselben jungen Damen legt. Natürlich vorher oder nachher nur, wenn sie von starken Männern gerettet werden. Kein Mensch wundert sich übrigens im kulturellen Vergleich, wie so ein Fabeltier wie der Drache in Europa die Rolle des Bösen schlechthin bekam, in China aber Symbol für Zukunft und Glück wurde.
Bleiben wir beim Personal der „Fantasy“. Zwerge gibt es zuhauf und Zauberer erst recht und von den Hexen, den Elfen, dem Heer an schwebenden Wesen mag man kaum sprechen, wenn man jetzt die griechische Mythologie bemüht mit den Naturwesen, den Nymphen, den Kentauren usw. Denn das Mischwesen, zu dem auch der Minotaurus gehört, ist die eigentliche verbotene Frucht der Erkenntnis, wenn sich ein Mensch mit einem Tier paart, wie es antik in den Mythen fast pausenlos passiert. Göttervater Zeus vorneweg.
Das Göttliche ist eine weitere Kategorie der „Fantasy“ und meist ist die Welt noch politisch in Ordnung, weil eine Einheit von Religion und Herrschaft vorliegt. Das Magische, ist eine von außerhalb der Menschenwelt verliehene Kraft, die die Naturgesetze, insbesondere die physikalischen Gesetze überwindet und so neue Ordnungen, Überordnungen und Weltordnungen erzielt. Gerade die Harry-Potter Bücher und Filme haben dies vorgeführt, also mit dem Beherrschen des Magischen auch die Weltherrschaft, bzw. den Widerstand gegen eine solche, die böse ausgeübt wird, angesprochen.
„Alice im Wunderland“ dagegen ist auf das Einzelwesen und seine Einordnung in die Welt, seine Gefühle und Seinszustände ausgerichtet. Dagegen hatte J.R.R.Tolkien ganze Völker kreiert, die nicht nur bekannte Zwerge und Elben umfaßten, sondern auch „Orks“. Und dabei muß man dann auch auf die Nibelungen zurückgreifen, mit den in den Bergwerken Werkelnden und Ausgebeuteten. Zu den Niederen gehören die Höheren, die Götter und Helden, die positiven Gestalten und Schurken, die Monster und Heiligen. Ob es Homers Odysseus ist oder seine Ilias, es ist alles schon mal dagewesen, was die Welt heute an „Fantasy“ fesselt.
Lassen wir also die Kirche im Dorf und bitten die Frankfurter Buchmesse und mit ihr den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die deutsche Sprache und die deutsche Literaturwissenschaft sowie den Büchermarkt ernst zu nehmen, der seinen Lesern kein X für ein U vormachen möchte, sondern ihnen die Bücher mit klarer inhaltlicher Orientierung verkaufen möchte, die diese auch lesen wollen. Da gibt es die Anhänger der Fantasyliteratur und die der Phantastischen Literatur. Beides muß klar unterschieden werden. Um Wertungen geht es dabei nicht. Nur um Klarheit. Wie gut, daß es noch den Preis für „Phantastische Literatur“ gibt. Aber was sagen die eigentlich zu dieser verwischenden Entwicklung?