kpm moseEröffnung von Frankfurt liest ein Buch 2019 KopieLesefest: Frankfurt liest zum 10. Mal ein Buch. Vom 6. bis 19. Mai 2019 in Frankfurt und Region, Teil 17

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Droht in der Literatur eine Rückkehr des elitären Geschwätzes?

Auf diese Vermutung könnte man kommen, wenn man sich Martin Mosebachs Roman „Westend“ unter literarischen Gesichtspunkten vornimmt. Die Jury von „Frankfurt liest ein Buch“ hat ihn für zwei Wochen zum Vorlesebuch des Jahres 2019 erkoren. Obwohl er bei seinem Erscheinen 1992 eine Existenz als Mauerblümchen fristete. Die Literaturkritik hat ihn entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder sie hat ihn eindeutig verrissen. So wurden beispielsweise Mosebachs gesellschaftspolitische Positionen als erkennbar rückwärtsgewandt bewertet. Sein Erzählstil sei effekthascherisch, die Erzählung selbst inhaltsleer.

Bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2007, den er explizit für seinen Roman „Der Mond und das Mädchen“ erhielt, verglich Mosebach eine Rede Heinrich Himmlers von 1943 mit einer des Jakobiners Saint-Just aus Georg Büchners Drama „Dantons Tod“. Das brachte ihm den Vorwurf vieler Feuilletons ein, er relativiere den Nationalsozialismus. Der Historiker Heinrich August Winkler bezeichnete den Vergleich als Geschichtsklitterung und als Abwendung von den Zielen der Aufklärung und Demokratie.

Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler hielt in einem Beitrag für die Zeitschrift „Literaturen“ („Der aufhaltsame Aufstieg des Martin Mosebach zum Georg Büchner Preisträger“) den Schriftsteller gar des Preises für unwürdig. Er sei ihm nicht wegen der literarischen Qualität seines Werkes zugesprochen worden, sondern wegen seiner konservativen politischen Gesinnung.

In einem Interview, das der Deutschlandfunk mit ihr im Oktober 2007 führte, sagte sie: „Wenn man ihn liest, kann einem nicht verborgen bleiben, dass hier in einem sehr verschmuckten und gespreizten Prunkstil geschrieben wird, dass hier einer gewollten Schönschreiberei gehuldigt wird, die sich mit ihren affektierten Vokabeln und ihren verzopften Phrasen aus der bürgerlichen Mottenkiste des 19. Jahrhunderts bedient. Hier ist ein Poseur am Werk, der alteuropäisch vornehm tut und sich exquisit gebildet aufführt, aber das ist mehr Historismus und sprachliche Hochstapelei, lauter Plüsch und Talmi und dieses talmihafte und dieses albern manierierte an dieser Stilgebärde, das lässt sich auf Schritt und Tritt nachweisen. Daher frage ich mich, es kann ja dann wohl kaum die Schreibkunst des Martin Mosebachs sein, die hier auszeichnungswürdig gemacht hat. Wenn aber nicht die Schreibkunst, was dann? Und da bleibt dann eigentlich nur übrig, dass er offenbar für seine Gesinnung ausgezeichnet worden ist. Und dafür finde ich viele Belege unter seinen Lobrednern im Feuilleton. Die haben ja alle eigentlich nicht seine literarischen Qualitäten gelobt, sondern haben ihn vielmehr gepriesen wegen seiner Unzeitgemäßheit, als einen Antimodernisten, also einen Kulturpessimisten, als einen Reaktionär, als einen vorkonziliaren Katholiken, der ein Befürworter der lateinischen Messe ist.“

Martin Mosebach bezeichnete sich selbst als einen Reaktionär. Hierbei berief er sich auf den antimodernistischen und antidemokratischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila (1913 – 1994), der zu seinen Lebzeiten jenen ultra-konservativen katholischen Kreisen zuzurechnen war, die man heute (analog zu ihren islamistischen Konkurrenten) als Katholizisten titulieren könnte. Von Gómez Dávila ist das Zitat überliefert: „Der Reaktionär ist der Wächter des Erbes. Selbst des Erbes des Revolutionärs.“

Sigrid Löffler kommentierte das in dem Interview so: „Der Wächter des Erbes, da muss man doch sofort fragen, was für ein Erbe ist das? Also ich denke, wenn man unter Erbe hier die gesammelten Ressentiments gegen alle politischen und gesellschaftlichen Errungenschaften seit der französischen Revolution versteht, ja, dann, wenn man sich zu einem solchen Erbe bekennt, dann ist man in der Tat ein Reaktionär, dann hat man aber keinen besonderen Grund, darauf stolz zu sein. Politisch ist ganz klar, was der Terminus reaktionär bedeutet, das ist ein rückwärtsgewandter Gegner jedes gesellschaftlichen Fortschritts, ein Antidemokrat, Antiaufklärer, der sich gegen die Grundrechte und gegen die Verfassung und gegen das Parlament und gegen die Republik stellt.“

Und sie wirft dem Literaturbetrieb im Allgemeinen und dem Feuilleton im Besonderen vor, dass Mosebachs Aufstieg nicht verhindert wurde, obwohl das möglich gewesen wäre. Wörtlich sagte sie: „Das Feuilleton hält offensichtlich für Marmor, was doch nur marmorierter Gips ist. Es gibt also kein Sensorium mehr für die Hohlheit dieser eitlen Attitüde. Und ich denke, es gibt eine gewisse Renaissance auch für diese Manieriertheiten und für diesen posierenden Elitarismus, der hier zutage tritt.“

Bezeichnenderweise erhält Mosebach vor allem von einer Seite Beifall, für die sich manche anderen Autoren schämen und öffentlich von ihr distanzieren würden.
Etwa von dem Journalisten Michael Klonovsky, der 2006 im FOCUS u.a. schrieb: »Apropos Zeitgeisterei: Dass ein elitärer Einzelgänger, katholisch zudem [...], mit der seine Generation prägenden 68er-Bewegung wenig am Hut haben kann, liegt auf der Hand. Aber damals, als junger Jurastudent, im Epizentrum Frankfurt? Nein, wehrt Mosebach ab, "die Versuchung bestand für mich nicht einen einzigen Tag". Mehr noch: "Wenn diese Leute recht haben, besitze ich auf dieser Welt keine Existenzberechtigung." Er habe damals keine Autoritäten demontieren, sondern "wirkliche Autoritäten" finden wollen.«
Klonovsky war später, von Juni 2016 bis April 2017, publizistischer Berater von Frauke Petry (AfD). Und von Juni bis November 2017 Sprecher der von Jörg Meuthen geführten AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag. Seit Februar 2018 ist er Persönlicher Referent des Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Alexander Gauland.

Aus Anlass von Mosebachs 65. Geburtstag veröffentlichte die Zeitschrift „Sezession“ im August 2016 eine Würdigung. Dieses Periodikum ist dem neu-rechten Spektrum zuzurechnen und bietet u. a. Vertretern einer „konservativen Revolution“ (Martin Lichtmesz) sowie der rassistischen „Identitären Bewegung“ (Martin Sellner) ein Forum. Auch die Nähe zur AfD ist unübersehbar:

»In trotziger Abwendung von seiner Generation habe er gelebt, bekannte Martin Mosebach 2013 [...].Die eigene Lebenswelt als ein Atlas zu stemmen und ihr etwas entgegenzusetzen, erforderte Kraft und Ressourcen. [...] Gómez Dávila wird sich in den späten Achtzigern als philosophisch-weltanschaulicher Prägestock erweisen, der seinem geneigten Leser den Stempel aufdrückt: Mosebach wird einer seiner profiliertesten – darf man sagen: Jünger? Von nun an werden Romane mit Philosophemen gewürzt [...]. Mosebach hatte [seinen bisherigen] Verlag Hoffmann und Campe nach dem wenig erfolgreichen „Westend“ verlassen; er sieht es jedoch immer noch als sein "Hauptwerk" an. Man muss ihm darin nicht folgen.«

Seine Begeisterung für den Philosophen Nicolás Gómez Dávila teilt Martin Mosebach mit Vordenkern der Neuen Rechten, beispielsweise mit dem Historiker und Literaturwissenschaftler Till Kinzel. Der veröffentlichte 2003 ein Buch über den Kolumbianer unter dem Titel: „Parteigänger verlorener Sachen“. Die erste Auflage erschien in der vom rechten Publizisten Götz Kubitschek herausgegebenen „Edition Antaios“, aus dem später der Antaios Verlag (Schnellroda) hervorging. Die Wiege von „Antaios“ stand im rechtsgerichteten „Institut für Staatspolitik“, das wiederum einer Initiative der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ entsprungen war.

Angesichts solcher Hintergründe stellt sich die Frage, ob die Jury von „Frankfurt liest ein Buch“ bewusst verwegen sein wollte, als sie sich für Mosebachs „Westend“ entschied. Oder ob es sich um einen Missgriff handelt, der aus Unkenntnis über die Zusammenhänge erfolgte. Gar nicht vorstellen möchte man sich, dass auch in öffentlich geförderten Kultureinrichtungen – und -initiativen die so genannte konservative Revolution bereits Einzug gehalten hat.

Letztere Mutmaßung ließe sich noch vertiefen. Denn im soeben vorgelegten Programm des Frankfurter Schauspiels für die Spielzeit 2019/20 werden im Rahmen der Reihe „Stimmen einer Stadt“ drei sogenannte Monodramen angekündigt (Premiere im April 2020). Eines von Martin Mosebach. Der Autor wird mit den Worten eingeführt: „Martin Mosebach, Büchner-Preisträger und einer der wichtigsten Gegenwartsautoren, schreibt über eine alternde Künstlerin.“

Da stellt sich in der Tat die Frage, wie es um das demokratische Verständnis des Intendanten und der verantwortlichen Dramaturgen bestellt ist. Könnte es als Beliebigkeit missverstanden werden? Wird der Wirbel um die Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Martin Mosebach bewusst verdrängt? Und ist es den Theaterleuten gleichgültig, dass dieser Autor vor allem Beifall von Neu-Rechten erhält, von deren Lobeshymnen er sich nicht distanziert? Verlässt man sich möglicherweise sogar auf das Urteil der Jury von „Frankfurt liest ein Buch“?
Auch im Frankfurter Schauspiel sollte bekannt sein, dass von den Verlagen, deren Autoren ausgewählt werden, ein finanzielles Engagement erwartet wird. Die Nominierung von Peter Kurzeck scheiterte vor einigen Jahren daran, dass dessen Verleger Karl Dietrich Wolff (Stroemfeld Verlag / Roter Stern) nicht dazu bereit war, sich mit 30.000 Euro an den Kosten zu beteiligen. Der zur Holtzbrinck-Verlagsgruppe gehörende Rowohlt Verlag kann sind hingegen einen solchen Griff in die Handkasse erlauben.

Unkenntnis und Anpassung könnten die Krise des Frankfurter Schauspiels noch mehr verschärfen und auf die ausschlaggebende inhaltliche Ebene verlagern. Denn dem Theater soll durch Immobilienspekulanten quasi die Bühne unter den Füßen weggezogen werden. Auf den geharnischten Protest des Intendanten und der Kulturdezernentin wartet die kulturbewusste Öffentlichkeit bislang vergeblich.

Foto:
Eröffnungsveranstaltung von „Frankfurt liest ein Buch 2019“ in der Deutschen Nationalbibliothek
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