Serie: Frankfurt liest ein Buch 2013, vom 15. bis 28. April: Siegfried Kracauer GINSTER (Suhrkamp), Teil 13

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die nächsten Abend sind die des Wolfgang Schopf - hier im Bild, von dem man sowieso den Eindruck hat, daß er de facto Spiritus rector des imposanten Vorhabens der GINSTERwochen ist, zumindest, was die kracauersche Fachkompetenz angeht, wovon seine titelgleiche Lesebegleitschrift „bin ich in Frankfurt der Flaneur geblieben...“ Siegfried Kracauer und seine Heimatstadt aufs Schönste zeugt, die in den Teilen 3 und 4 vorgestellt wurde.

 

Schließlich bringt der gutgelaunte und energiegeladene Schopf auch viel Fachwissen mit und hat mit der Herausgabe des Briefwechsels vom um 14 Jahre jüngeren Adorno mit dem Mentor Kracauer auch hinter die Kulissen schauen können - wenigstens stellen wir uns das so vor, wenn man von der Vertrautheit der beiden in den Briefen lesen kann, daß da noch viele weiteren Informationen und auch kleine Geheimnisse in ihm lagern.

 

Grob kann man sagen, daß die am Mittwoch eröffnete Ausstellung in Großaufnahmen alle die zeitgenössischen Dokumente, Fotos, , Briefe, Artikel, Zeugnisse, Bilder aus Kracauers eigenem Nachlaß zeigt, die auch in der kleinen Begleitschrift den Lebensweg von Kracauer dokumentieren. Was hier im Restaurant Margarete/Haus des Buches in der Braubachstraße hinzukommt, ist die Konzentration auf das journalistische Schaffen des jungen Kracauer, der im ersten Jahr seiner Anstellung 1921 bei der Frankfurter Zeitung gleich 163 Beiträge verfaßt, in der Regel für die Lokalredaktion, aber auch für das Feuilleton.

 

Diese Artikel sind hier in einer DIN A 3-Kladde in Fotokopien vorhanden, wobei die Originale von Siegfried Kracauer selbst gesammelt und numeriert wurden. Da muß man genau hinschauen, auf die kleinen zierlichen Nummern auf der linken Seite, denn rechts gibt es weitere Numerierungen. Täglich gibt es an sechs Tagen drei Ausgaben: die erste und die zweite Morgenausgabe und die Abendausgabe sowie eine Sonntagsausgabe, also 19 wöchentliche Ausgaben. Unvorstellbar für heute. Eine starke Idee in dieser Ausstellung ist es dann, auf sechs großen Stadtteilstadtplänen mit Fähnchen abzustecken, wo sich der konkrete Ort der Kracauerschen Berichterstattung befindet. Auf einen Blick sieht man: die meisten Fähnchen sind in der Innenstadt, auch das nördlichen Bahnhofsgebiet ist voll davon und dann noch die Universität und die Messe.

 

Universitäre Veranstaltungen liegen sowieso im Interesse von Kracauer, aber auch die Messe war für viele Berichte gut. Die Messe? Kein Wunder, erzählt einem auf Nachfrage dann Wolfgang Schopf. Krakauer hat am Frankfurter Messegeschehen vielfach lebhaft teilgenommen. Weiß man, daß beispielsweise Bauausstellungen sowohl architektonische wie auch kulturhistorische Momente beinhalteten und sich Siegfried Kracauer gerne als Kulturphilosoph bezeichnete, erkennt man, wie früh er den Blick dafür hatte, daß sich auch in Konsumgütermessen der Geschmack der Zeit abbildet und sich in den Dingen auch ihr kultureller Überbau spiegelt, wobei einem dann wieder seine grundsätzliche Ansicht einfällt, daß sich eine Epoche in ihren 'nebenkriegsschauplätzen' zeigt.

 

Wir haben nach den Nummern einiger Fähnchen dann die entsprechenden Artikel gesucht und diese gelesen. Das fällt einem in den Schoß, wenn man beispielsweise das Mainufer in Sachsenhausen – einer der sechs Stadtpläne – ansieht. Dort sind auf der Höhe des Städel gerade mal zwei Fähnchen gesteckt und folgerichtig finden wir dann zwei Berichte über das Städel, das damals – wieder einmal – einen Erweiterungsbau erhielt.

 

Warum aber das ganze Nordend und Ostend so leer blieben, wundert, denn immerhin waren dies die heimatliche Gefilde des jungen Kracauer. Schade eigentlich, daß niemandem die damaligen Frankfurtartikel Kracauers wert waren, in einer Sonderschrift -mit einfachen Mitteln - zu dem zweiwöchigen Lesefest zu veröffentlichen. Wir hätten sie gelesen. So aber, ist bei der Ausstellungseröffnung einfach nicht genug Zeit, sich weiter zu vertiefen, zumal Wolfgang Schopf die vier plakatierten Wände entlang schreitet und die Ausstellungsstücke in den Lebenszusammenhang Kracauers bringt. Dies fängt an der Gegenwand mit den Zeugnissen und Dokumenten aus den ersten Jahren an, die wir in seinem Begleitbuch dann nachlesen.

 

Fast eine Kuriosität - oder wie das Leben so spielt – ist die Tatsache, daß das letzte Lebenszeichen, das Krakauer von seiner Mutter und Tante erhält, ein Brief vom 13. September 41 aus der Wohnung Liebigstraße 19 ist und Adorno, als er nach Frankfurt zurückkehrt, ebenfalls die Liebigstraße 19 als im Brief vom 7.2. 50 als Adresse angibt, allerdings im dritten Stock. Tante und Mutter, auch das wird deutlich, hatten nicht das Geld, die Möglichkeit der Ausreise nach Kuba, bezahlen zu können und wurden am 18. August 1942 erst nach Theresienstadt transportiert, dann nach Teblinka verschleppt und dort ermordet.

 

So dient jedes Ausstellungsstück der möglichen Rekonstruktion des Lebenswegs, wobei es sehr angenehm ist, daß Wolfgang Schopf aus der Fülle seines Wissens noch Anekdötchen und Hintergrundinformationen beisteuert. Eine richtige Führung wird daraus und man ist froh, gekommen zu sein, was angesichts der Konkurrenz von Veranstaltungen an diesem Abend - Ex-OB Petra Roth liest gegenüber im Haus am Dom – eine Entscheidung bedeutete. Es sind hauptsächlich Kopien, die vor uns hängen, die Originale sind im Deutschen Literaturarchiv Marburg. Aber auch die Originalausgabe des GINSTER von 1928 liegt aus, daneben die von 2013.

 

Interessant auch die Ecke, die dem Onkel Isidor Kracauer gewidmet ist, dem Histiographen der Juden in Frankfurt. Seine Schrift, die das hiesige Leben der Juden - von 1150, als sie durch Kaiser Friedrich I. Am 6. April 1157 das Privileg erhielten, dem Kaiser direkt zu unterstehen als 'Knechte des Kaisers' und diesem auch die Steuern abführten bis 1824, als sie die weitgehende Rechte erhielten - schildert, liegt aus sowie weitere Dokumente aus dessen Tätigkeit als Internatsleiter des Philantropin, der jüdischen Schule, die auch Kracauer besuchte. Iisidor Kracauer stirbt 1927, mit ihm war der Neffe Siegfried eng verbandelt.

 

 

 

 

INFO:

 

Siegfried Kracauer, GINSTER, Suhrkamp Verlag 2013

 

Siegfried Kracauer, GINSTER, Hörbuch, 4 CDs, Hörbuch Hamburg 2013

 

Wolfgang Schopf, BIN ICH IN FRANKFURT DER FLANEUR GEBLIEBEN...SIEGFRIED KRACAUER UND SEINE HEIMATSTADT, Suhrkamp Verlag 2013

 

Wolfgang Schopf (Hrsg.), DER RISS DER WELT GEHT AUCH DURCH MICH, Theodor W.Adorno – Siegfried Kracauer Briefwechsel 1923-1966, Suhrkamp Verlag 2008

 

Siegfried Kracauer, Werke in neun Bänden, hrsg. von Inka Mülder-Bach und Ingrid Belke, ab 2004 ff, Suhrkamp Verlag

 

 

www.frankfurt-liest-ein-buch.de