KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Mai 2013, Teil 1
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – In der Aprilliste war der zweite Kriminalroman um die ungewöhnliche Claire de Witt auf Anhieb auf den dritten Platz gekommen und der jetzige Platz 1 ist keiner, der aus Aufrutschen resultiert, weil andere Krimis wegen zu langer Dauer die Liste verlassen. Nein. Claire de Witt hat die April Nr. 1 DUNKLE GEWÄSSER und die Nr. 2 RAYLAN überholt.
Gleichzeitig sind diese aber weit nach hinten gefallen. Das ist ungewöhnlich und eigentlich wäre uns die 18köpfige Jury eine Erklärung schuldig. Das auch noch aus einem anderen Grund. Deshalb wollen wir dieses Mal die beiden Listen stärker durchforschen und hinterfragen als sonst.
Dramatisch ist der Abfall für Joe R. Lansdale DUNKLE GEWÄSSER aus dem Verlag Tropen deshalb, weil er im Mai auf Platz 8 landete, nachdem er im April den ersten und im März auf Anhieb den 2. Platz hatte. Was ist passiert? Es kann nicht daran liegen, daß so viele neue und ach so gute Krimis vorbeizogen. Es ist sogar so, daß zwei der auf der Aprilliste neu plazierten, im Mai gar nicht mehr vorhanden sind. Dazu gleich mehr. Erst müssen wir noch nach RAYLAN schauen. Dieser Krimi aus dem Suhrkamp Verlag ist schon länger dabei, war im März auf dem dritten Platz, im April auf dem zweiten und jetzt auf dem 6. Rang.
Zu RAYLAN können wir immer noch nichts sagen, weil der Suhrkamp Verlag keine Presseexemplare zur Verfügung stellte, aber die Dramatik von DUNKLE GEWÄSSER hätten wir gerne geklärt. Das ist nämlich ein Roman, den man entweder als Krimi wertet – und dann rangiert er weit oben – oder den man eher als US-Südstaaten-Abenteuerroman in der Tradition von Huckleberry Finn in ein anderes Genre steckt – wo er aber ebenfalls weit oben stünde, denn er ist – wie wir in den letzten Kommentierungen schrieben – absurd komisch und tief traurig über so viel sich das Leben und das der anderen Schwermachen, eine zutiefst menschliche Komödie, die immer die Schwärze der Tragödie in sich trägt. Von daher hätten wir von der Jury zu dem Hin und Her schon gerne mehr gewußt.
Was nun aber gar nicht geht, ohne daß nur ein Wort fiele, ist das Wegfallen von zwei Erstplatzierten aus der Aprilliste. Kann man bei P. D.James' DER TOD KOMMT NACH PEMBERLEY aus dem Droemer Verlag ebenfalls streiten, ob dies ein 'regulärer' Krimi ist, so wurde er doch immerhin im April als solcher gewertet. Die berühmte englische Kriminalromanautorin hatte sich einen langen Wunsch erfüllt und STOLZ UND VORURTEIL von Jane Austen sozusagen fortgeschrieben und zwar mit Mord! Das ist ein vergnügliches Buch für jeden, der das Original kennt und die handelnden Personen nun weiterverfolgen kann, was aus ihnen geworden ist und wie sie geworden sind. Uns hat es amüsiert, was wir beschrieben. Da P.D.James allerdings im April erstmals und auf Platz 10 stand, kann man immer begründen, daß die - dieses Mal vier - neuen Krimis – ja, ja, natürlich kommen wir zu denen auch – alle höher eingestuft wurden und PEMPBERLEY verdrängten.
Anders sieht es mit Derek Nikitas' BRÜCHE aus. Dieses Buch aus dem Verlag Seeling kam im April auf Anhieb auf den fünften Rang. Ein Kriminalroman, der ganz in der Tradition des harten amerikanischen Krimis steht, den die KrimiBestenListe sonst – für unseren Geschmack sogar eher zu viel - favorisiert. Wir haben BRÜCHE das letzte Mal sehr ausführlich dargestellt, weil dies ein Buch ist, das einem auch nach dem Lesen noch lange weiter beschäftigt. Deshalb waren wir mit der Eingruppierung auf (mindestens) Platz 5 auch einverstanden. Das aber nun bedingt, daß wir nicht verstehen können, weshalb BRÜCHE in der Mailiste überhaupt nicht mehr vorhanden ist.
Das mußte nachgefragt werden, bevor wir uns mit den vier neuen beschäftigen können, die auch für uns so neu sind, daß sie erst gelesen werden müssen und wir die Besprechung verschieben, aber dafür uns um die Neuen der Aprilliste kümmern, die neben Sara Grans DAS ENDE DER WELT auch Giancarlo de Cataldo sind mit DER KÖNIG VON ROM aus dem Verlag Folio, OPFER von Cathi Unsworth aus dem Suhrkamp Verlag und MÄDCHENGRAB von Ian Rankin, erschienen bei Manhattan. Zuerst aber die neue KrimiBestenListe für Mai!
KrimiZeit – die Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio 5/2013
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(3) |
Sara Gran: Das Ende der Welt Aus dem Englischen von Eva Bonné Droemer, 368 S., 14,99 € San Francisco/Brooklyn. Fünf Gitarren, ein Pokerchip, Schlüssel – schwache Hinweise auf den Mörder von Paul, Claire de Witts Exgeliebtem. Prekäre Autonomie der Detektivin: Claire zerstört sich fast auf der Suche nach Wahrheit, nach dem Kindertraum geliebt zu werden. Kaliforniens Norden: kalt und hip. Gran fasziniert. |
2 |
2 |
(4) |
Giancarlo de Cataldo: Der König von Rom Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl Folio, 176 S., 19,90 € Rom 1976. Machtvakuum in der Hauptstadt. Nicht die Camorra, nicht die Marseiller, keiner hat die volle Kontrolle. Junggangster Libano am Scheideweg: Mit Giada, der bourgeoisen Revoluzzerin, in die Boheme oder mit Gewalt ans große Geld? Libano lernt Verbrechen. Ruppiges Vorspiel zu Romanzo Criminale. |
3 |
3 |
(-) |
Robert Hültner: Am Ende des Tages btb, 320 S., 19,99 € München/Thalbach/Chiemgau um 1929. Die Nazis scheinen abgeschlagen, Kajetan könnte zurück zur Polizei. Noch klärt er einen Justizirrtum auf, da kollidiert er mit der Politik. Ein Flugzeug mit übler Konterbande ist abgestürzt. Bayern tappst Richtung Ende. Historisch gewiefte, sprachlich ausgefeilte Krimikunst. |
4 |
4 |
(-) |
Olen Steinhauer: Die Spinne Aus dem Englischen von Friedrich Mader Heyne, 492 S., 16,99 € New York/Peking/Welt. Milo Weaver, Überlebender der ultrageheimen „Touristen“-Abteilung, will nur noch Familie. Aber ein Ex-Chef und sein chinesischer Gegenspieler setzen auf Rache. Steinhauer spielt meisterhaft die pazifische Karte. So sieht der Politthriller von morgen aus: weltumspannend, komplex, rasant. |
5 |
5 |
(-) |
Matthias Wittekindt: Marmormänner Edition Nautilus, 288 S., 16,90 € Fleurville. Seit 40 Jahren nennt man sie „Marmormänner“. Einer lag als Wachsleiche am Bahndamm, die anderen drei sind perdu. Unruhe in der kleinen Stadt: die Kleider eines Verschwundenen kommen ans Licht, ein Kind und seine Mutter werden entführt. Sorgsame Milieustudie über Vergessen, Verdrängen, Verschütten. |
6 |
6 |
(2) |
Elmore Leonard: Raylan Aus dem Englischen von Kirsten Risselmann Suhrkamp, 308 S., 19,95 € Kentucky. Ob Nierenhandel, Umweltverbrechen oder Schusswechsel mit einer einarmigen Transe - US-Marshal Raylan Givens bleibt stets gelassen. Mit Gleichmut und schnellem Finger sorgt er für das, was er persönlich für Gerechtigkeit hält. Wie schon in der TV-Serie Justified, jedoch im Buch viel, viel abgefahrener. |
7 |
7 |
(-) |
Daniel Suarez: Kill Decision Aus dem Englischen von Cornelia Hohlfelder-von der Tann Rowohlt, 496 S., 12,99 € Autonome Drohnen radieren amerikanische Städte, Schiffe und Softwaregenies aus. Ameisenforscherin McKinney und Spezialagent Odin mitsamt helfenden Raben leisten Bond-mäßig Widerstand gegen Cyberwar und militärisch-industriellen Komplex. Science Fiction? No, Sir: Verschärfte Realität. |
8 |
8 |
(1) |
Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer Aus dem Englischen von Hannes Riffel Tropen, 320 S., 19,95 € Ost-Texas, während der Großen Depression. Nachdem May Linns Leiche im Sabine River gefunden wurde, verbrennen ihre Freunde sie und transportieren die Asche den Fluss hinab. Fernziel: Hollywood. Die wilde Flucht der Jugendlichen erinnert an die von Huck Finn, verläuft aber grotesker als bei Mark Twain. Lansdale eben. |
9 |
9 |
(6) |
Cathi Unsworth: Opfer Aus dem Englischen von Hannes Meyer Suhrkamp, 384 S., 14,99 € Ernemouth, Norfolk. Privatdetektiv Sean Ward, im Polizeidienst verkrüppelt, rollt den Fall der „Hexe des Ostens“ erneut auf. 1983: Teenie-Rivalitäten eskalieren im Ritualmord. 2003: Alte Säcke verteidigen die die liebe Macht. Tolles Brit-Stück. Perfekt reanimierte Gothic-Atmo. Unsworth wiederentdeckt. |
10 |
10 |
(7)
|
Ian Rankin: Mädchengrab Aus dem Englischen von Conny Lösch Manhattan, 512 S., 19,99 € Edinburgh/Rosemarkie. John Rebus kann es nicht lassen. Der Pensionär wühlt in ungelösten Altfällen. Vier Mädchen sind verschwunden, alle an der A 9. DI Siobhan Clarke assistiert halb widerwillig, der Verdächtige will nicht reden, da nimmt Rebus Gangster zu Hilfe. Rankin und Rebus – kommt gut. |
INFO:
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 2. Mai 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html
-
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 2.Mai 2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste
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Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt
Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Gunter Blank, Sonntagszeitung
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten.