Bildschirmfoto 2019 09 22 um 23.43.29Der Deutscher Buchpreis 2019, Teil 11

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Und jetzt die Geschichte, die mit IDRIS ihren Anfang nimmt. Kennen lernen wir ihn erst in der Mitte des Romans, als er in der warmen Erinnerung an seine beiden DDR-Lieben an diese denkt und auch, daß er ja Söhne mit ihnen hat, die er nicht kennt. Er ist ein erfolgreicher Chirurg im Senegal, glücklich verheiratet, mit Kindern, die in Europa leben, wohin er unterwegs ist, konkret: Paris. Der Roman beginnt mit Idris Sohn Mick und an ihm stellt die Autorin exemplarisch die Jugend eines Farbigen in der DDR dar, woran Mick eigentlich nur gute Erinnerungen hat, die aber abbrechen, als seine Mutter Monika mit ihm „rübermacht“, nach Westberlin, wo ein reicher Kerl auf sie wartet. Daß es der Mutter aber darum nicht geht, um das Geld, merkt Mick auch, als sie den Mann nicht wortlos, aber geldlos verläßt, denn sie erwartet von ihm keinen Unterhalt. Mick dagegen hätte das Geld für ihn  ganz gerne weiterbezogen.

Woran man einfach merkt, daß Jackie Thomae die DDR und die DDR-Frauen kennt, hat genau mit der Charakterisierung der Mutter von Mick, Monika, aber auch der so völlig anders gearteten Mutter von Gabriel in Leipzig zu tun, die Gabriele hieß. So unterschiedlich die beiden Frauen sind, so gleich sind sie in ihrem Selbstverständnis, einem Manne nicht untertan zu sein und ihn auch für Kinder nicht zu verfolgen und bluten zu lassen (natürlich darf man erwarten, daß diese von alleine zahlen), was natürlich nur möglich ist, wenn man eine Familie im Rücken hat, die mit den Enkeln einverstanden ist und sich mit um diese kümmert. Wie geschehen.

Mick also bleibt das Beispiel für eine haltlose Jugend im West-Berlin der 80er Jahre, Proll, Punk und Drogen. Frauen, Esoterisches, Flüge nach New York etc. Er ist immer der Adabei, läßt die anderen machen. Er ist Frauen ein Liebhaber, aber auch ein Freund, was ja auch schon etwas ist und erkennt ihre Überlegenheit grundsätzlich neidlos an. Bis der Bruch in seinem Leben kommt. Jahrelang hat er die Bemühungen seiner Freundin Delia um sein Herz, durch Herzlosigkeit und ständiges Rummachen mit anderen Frauen in den Wind geschlagen und als der Wind umschlägt, ist er hilflos. Sie verläßt ihn in genau dem Moment, wo er merkt, daß er sie liebt. Pech gehabt, das Glück nicht festgehalten, weil nicht gespürt. Und hier verlassen wir Mick 1994; er taucht erst am Schluß  des Romans im Jahr 2017 wieder auf.

Warum wir bisher nicht weiter über die Hautfarbe der beiden Söhne als Kinder eines Schwarzen mit zwei weißen Frauen gesprochen haben, liegt daran, daß dies ein Subtext ist, den man mitliest, der aber nie existentiell wird, was daran liegt, daß die Söhne von starken Müttern sozialisiert wurden, so daß sie auch fremdenfeindliche deutsche Idioten aushalten. Englische oder andere auch.

Gabriel dagegen ist schon ein erfolgreicher Architekt in London, als wir ihn kennenlernen. Allerdings führt er sich gleich in einer Szene ein, die so verständlich wie dumm ist, aber heute angesichts sozialer Medien und ihrer Hetze ihn zum Prügelknaben macht, ihn, dem bisher das Schicksal nur gewogen war. Seinen Vater kannte er nicht, die Mutter ist früh gestorben, eigentlich kommt er nirgendwo her, was sein Selbstbewußtsein stärkt, alles aus eigener Kraft geschafft zu haben, was wiederum nur möglich war, weil seine Großeltern in Leipzig ihn zu einem stabilen Selbst erzogen haben. Und das wankt gerade. Seine tolle Frau Fleur führt es auf Überarbeitung zurück, wir auf die Romanautorin, die einen Anfang für Gabriel brauchte, in dem er nicht mehr der Strahlemann ist, der er war.

Über seine erste Londoner Liebe Sybil, über die tolle Ehefrau Fleur, über die beiden Kinder wollen wir nichts mehr erzählen - Sie wissen, Sie sollen es selber lesen - , obwohl das Verhältnis von Gabriel mit seinem Sohn schon sehr gespannt-spannend ist, der dann, als er seinen Onkel Mick kennenlernt, endlich einen älteren Gesprächspartner hat. Ja, die sich unbekannten Brüder lernen sich kennen, der Vater war ja auf dem Weg nach Paris, lädt beide Söhne mit Familien ein und sieht dabei seinen Sohn Mick wieder und seinen Sohn Gabriel zum ersten Mal. Man möchte dabei sein, bei diesem Familientreffen und auf einmal bedauert man, daß einfach Schluß ist, wo doch endlich die Schlacken abgefallen sind und das Leben reich und interessant wird.

Ein starker Roman.

Fortsetzung folgt

Foto:
Jackie Thomae auf dem Leseabend der Deutschen Bank am 5. September
© Redaktion

Info:
Jackie Thomae, Brüder, Hanser Berlin 2019
430 Seiten
ISBN 978-3-446-26415-1