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Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schon zum elften Mal also fand diese gemeinsame Lesung der sechs Finalisten zum Deutschen Buchpreis statt, der zum 15. Mal ausgelobt wird. Und endlich gab's sie wieder in vollständiger Besetzung und zum zweiten Mal im Frankfurter Schauspielhaus, weil das angestammte Literaturhaus nicht so viele Zuschauer faßt, wie kommen möchten. Das ist gut so, aber dennoch geht auch etwas an Intimität verloren in dem großen Rund.
Zudem war es ein furchterregend perfekter Abend. Fast vermißte man den Anflug von Peinlichkeit, wenn in der Vergangenheit Autoren einfach auf dumme Fragen schwiegen, patzig antworteten oder die Moderatoren beleidigten. Nur ganz zum Schluß, beim letzten Gespräch, da hätte man der fragenden Anna Engel gerne den Mund verboten, denn ihre Fragen waren selten welche, sondern erst einmal lange Stellungnahmen und Vermutungen zum Roman, an die sich ganz am Schluß noch eine Frage anschloß, eine Frage der Art, zu der man eigentlich nur ja oder nein sein konnte. Pech für Jackie Thomae, die noch bei der Veranstaltung der Deutschen Bank am 5. September so eloquent aufgetreten war.
Aber auch das merkt ja nur der so richtig, der dabei gewesen war. Die Zuhörer waren ob der Einblicke in die Bücher sehr zufrieden, wobei sich auch hier deutlich zeigte, wer ein Buch schon gelesen hat, kann ein Gespräch besser beurteilen und reagiert anders als die, die es noch nicht kennen, wie die allermeisten. Ja, durchaus viele machen von diesem Abend abhängig, welche Bücher sie lesen wollen, was sie sofort in die Tat umsetzen können, denn draußen im Foyer wartet ein gut gefüllter Büchertisch, und die gekauften Exemplare werden signiert.
Überraschend war erst einmal bei der Begrüßung, daß der Leiter des Literaturhauses, Hauke Hückstädt, der jährlich die Gekommenen begrüßt, nicht anwesend war und auch nicht Alf Mentzer, der als hr-Mitarbeiter sonst einer der Moderatoren war. Beide sind in der Jury, die unter den sechs Finalisten den Buchpreisträger auswählt und dürfen deshalb an diesem Abend nicht dabei sein. Aha, dachten wir uns, beeinflußt sie ein solcher Abend in ihrer Jurorentätigkeit? Durch das Echo des Publikums, durch die Abendform der Ausgewählten? Dann wären ja auch die Rezensionen in den Zeitungen solche Beeinflussungen. Und auch die Artikel über diesen Abend.
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Völlig anderer Art war das Gespräch, das Christoph Schröder mit Norbert Scheuer über seinen Roman WINTERBIENEN, bei C.H. Beck erschienen, führte. Der erfolgreiche Autor, dessen Romane immer um die Eifel und den Ort Kall kreisen, war schon einmal bei den letzten Sechs dabei mit ÜBERM RAUSCHEN im Jahr 2009. Sein Textbeispiel, jeder der Autoren liest eine Passage aus dem Roman, zeigte die leise, nachdenkliche Art, mit der ein von den Nazis entlassener Geschichts- und Lateinlehrer im Tagebuch festhält, was im Winter 1944/45 mit seinen Bienen und Bienenhäusern los ist, die er gut nutzt, wenn er wieder einmal jüdische Flüchtlinge per Bezahlung über die Grenze nach
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Miku Sophie Kühmel, 1992 in Gotha geboren, von der man hörte, daß sie bei Roger Willemsen und Daniel Kehlmann studiert hat, ist mit ihrem Erstling KINTSUGI aus dem Fischerverlag für den Deutschen Buchpreis gleich nominiert und dann sogar für die letzten Sechs ausgewählt worden. Sie gab Anna Engel die Antworten, die diese erhoffte, wobei das Thema Beziehungen ein unendliches ist. Ihr geht um Brüche in der Liebe und im Leben. Wenn alles in Scherben liegt. Auswegslos. Wie kann es weitergehen in diesem Leben, das Max und Reik seit zwanzig Jahren gemeinsam führen, führten muß man sagen. Den Hinweis, daß man den Titel als Metapher begreifen muß, versteht man erst, wenn entschlüsselt wird, daß dies ein japanischer Begriff ist, der benutzt wird, wenn eine Keramik zerbrochen ist und die Scherben zusammen geklebt werden, wobei dem Klebstoff Goldstaub beigemengt ist, denn die Bruchstellen sollen deutlich sichtbar bleiben. Darin liege Schönheit, wenn man an Spuren, wie hier dem Gold, das Vergehen der Zeit erkenne.
Leider wurde nicht nachgefragt, ob das Kleben in der Überschrift nicht schon eine Antwort auf die Frage ist, um die es eigentlich ging, was passiert, wenn alles in Scherben liegt. Die Alternative wäre ja, die Scherben nicht zu reparieren, sie zusammen zu kehren und wegzuwerfen und eine neue Tasse, einen neuen Teller zu benutzen. Eigentlich möchte man nicht mit der Überschrift schon die Geschichte beantwortet wissen, denn das klingt ja so, als ob die Beziehung auf jeden Fall gekittet wird. Aber das störte wohl nur uns, die wir das Buch noch nicht gelesen haben und nun nicht wissen, ob der Freund des schwulen Paares und seine Tochter, die zusammen das Wochenende in der Uckermark verbringen, etwas aufmischen oder eben nicht. Aber schon lustig, wie so eine junge Frau über die Probleme einer zwanzigjährigen Beziehung reflektiert und sich zufrieden zeigt, wie sie ihre Neurosen ganz gut auf ihre Protagonisten verteilte.
Fortsetzung folgt
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