Haben und Nichthaben 3Die Inbezugsetzung von Branko Milanovic, Thomas Piketty und Paul Mason fördert Erschreckendes zutage, Teil 1/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Versuch sei eröffnet, zwei renommierte Ökonomen und einen leitenden Journalisten der Wirtschaftsredaktion von Channel 4 in eine mögliche Beziehung und Korrespondenz ihrer Lehrmeinungen zu versetzen.

Um sie, wenn auch nur innerhalb Grenzen, sich gleichsam einander abarbeiten zu lassen, was auch zur Aufgabe für LeserInnen und Leser werden kann. Das könnte dem Zweck dienen, drei Beobachter und Kommentatoren gegenwärtiger Verhältnisse für eine gesellschaftspolitische Diskussionen ergiebig zu machen.

Branko Milakovic

Branko Milanovic führt eine Gerechtigkeitsdebatte in Bezug auf die Phänomene von Ungleichheit, Umverteilung und Neid in Zeiten nachlassender Gewissheiten. Die Ungleichheit bestehe heute weniger zwischen Ländern der Welt als vielmehr innerhalb der Länder. Das damit verbundene Skandalon alltäglich auffälliger Armut besteht darin, dass der Armut die Tendenz inhäriert, sich zu verfestigen, insofern sie auch sozial vererbt wird. Der wirtschaftliche Erfolg aller kommt vor allem bei den wenigen wirtschaftlich stetig besser Gestellten an, insgesamt aber geraten die Gesellschaften in ein zunehmendes Sozialgefälle, das auch die Investitionsbedingungen und das Wachstum – wie auch immer verstanden - einschränkt.

Zum Komplex Armutsdiskussion zählt auch immer wieder die in Endlosschleife vorgebrachte Retourkutsche eines Neidvorwurfs, der dem biblischen Gebiet der Sündenlehre entstammt, ohne dass damit dem Gerechtigkeitsverlangen, das Menschen einwohnt, noch der nötige Respekt gezollt würde. Vorgetragen womöglich von denen, die der Religion gänzlich gleichgültig gegenüberstehen. Es gehe, so Milanovic, allein nur darum, Kritik zu unterbinden.

Die Debatte um den Neid ist müßig, Milanovic vertritt die Auffassung, dass ein gewisser Neid im Menschlichen durchaus begründet sei, da Menschen sich fast ohne Unterlass vergleichen, Oben wie Unten. Und überdies: dass so viele Menschen wenig haben, liege an der „Art wie wir wirtschaften“. Und würden die Armen das Niveau der Gutbetuchten erklimmen, so wäre die Erde in kürzester Zeit überlastet.

Als Sozialökonom vertritt er die Ansicht, dass wir uns eine Zeit lang noch mit Umverteilungsmechanismen bescheiden müssen, solange das Kapital mobil ist und sich außerhalb der Grenzen betätigen kann. Die Staaten müssen insgesamt wieder Handlungsmacht gewinnen und sich vertraglich einigen. Für die Steuerverkürzung gibt es schändliche On-shore- wie Offshore-Zentren, die Investoren mit für diese attraktiven Bedingungen anlocken wie das Licht die Nachtfalter, was präferierte Standards in Bezug auf Löhne, Sozialabgaben und Steuern angeht.
 
Milanovic plädiert für die bessere Ausbildung von Menschen, finanziert aus den privat angeeigneten Überschüssen, demgemäß auch für eine höhere Besteuerung von Erbschaften. Auch die Umverteilung des Produktivvermögens stünde den Staaten an, um Ungleichheit zu bekämpfen. Und zum dritten ist festzuhalten, dass bei wachsendem Reichtum der Ökonomie unter den herbeigeführten Bedingungen das Verhältnis der Vermögen zu den Einkommen steigt und damit die Ungleichheit wächst.

Im sozialistischen Jugoslawien wurde Milanovic unbeliebt, weil seine Forschungen die Mär widerlegten, in der sozialistischen Gesellschaft herrsche bereits Gleichheit. In der kapitalistischen Welt wurde ihm mit der These begegnet, Ungleichheit sei naturgemäß, da dem Marktgeschehen angemessen. Stets verbirgt sich hinter derartigen Rechtfertigungen das uralte Konzept des deus ex machina. Die vorherrschenden Ökonomien sind unempfindlich für Ungleichheitsdiskurse.

Piketty mischt den Laden auf

Kapital und IdeologieInzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Thomas Piketty ist zurück. Zu seinem öffentlichkeitswirksamen Neuauftritt gehört das Programm zur Überwindung des Eigentums. Er merkt, wie wir alle, dass die wachsende Ungleichheit, auch als Spaltung bezeichnet, auf dem Weg ist, die Gesellschaften der Welt zu unterminieren, wenn nicht gar zu zerstören. Der Finanzkapitalismus verschlingt alles, was ihm aus seiner Perspektive suspekt ist. Piketty tourt „durch die Redaktionen, Hörsäle und Wirtschaftsforen“, wie verlautet wird. Dem 2013 erschienenen Buch ‚Das Kapital im 21. Jahrhundert‘ folgt nun ‚Kapital und Ideologie‘. Darin macht er Vorschläge, gibt Anweisungen - nachdem die Sozialdemokraten gefehlt hätten – wie eine zugkräftige Alternative zum übriggebliebenen Kapitalismus zu verfolgen sei, um die Zunahme der Ungleichheit in Schranken zu weisen. Nebenbei bemerkt: die meiste Ungleichheit wird in vielen Ländern durch blanke Gewalt gezeugt und aufrechterhalten.

Piketty doziert an Journalisten, die er in der ‚Pariser Schule für Wirtschaft‘ empfängt. Mit der Kritik an Frankreichs Macron, der 2017 die Vermögenssteuer senkte, um dem beliebten und gemeinen Wahn zu entsprechen, das fördere Kapitalinvestitionen und rege die Konjunktur an, stellt er sich gegen die Entwicklung hin zur weltweiten Finanzaristokratie. Diese habe schon seit jeher gewusst, die Herrschaft der Besitzenden als naturgesetzlich zu legitimieren. Kennzeichen der gegenwärtigen Lage ist die Vermeidung von Zukunftsinvestitionen und das Bunkern großer Geldmittel in umweltzerstörerischen Anlageprodukten und mit unseriösen Finanztiteln.
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Überwindung des Eigentums

Das jetzige System stehe mit der ungebremsten Anhäufung des Kapitals der vielen Nullen und dem unbegrenzten Verfügungsanspruch der Finanz- und Machtklasse vor der Selbstzerstörung. Das sei wie mit dem Klima.
Piketty plädiert für die Überwindung des Eigentums bisheriger Prägung. Ein „soziales und temporäres Eigentum“ solle anstelle des heutigen treten. Das belegt er mit dem Terminus ‚partizipativ‘. Damit wäre auch der wachsenden Kluft in der Gesellschaft entgegengewirkt.

Piketty bezeichnet es als Unsinn, dass ein abgesenkter Steuersatz für Reiche das Wachstum fördere. Als Gegenbeispiel können die USA seit dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt gelten, als der Reichtum hoch besteuert wurde. Das wurde zum sozialen Aufstiegsprogramm für eine breite Mehrheit. In Frankreich wurde verstaatlicht. In der Bundesrepublik wurde die Montanindustrie installiert. Mit Ronald Reagan aber sei der „ultraliberale Kurs“ zurückgekehrt.

Provokative Forderungen

Sie lauten: Extreme Steuerprogression, für kleine Vermögen 0,1 Prozent Steuern, für die ab 2 Milliarden 90 Prozent. Auch mit 200 Millionen lasse es sich noch gut leben. Erbschaften seien so stark zu besteuern, dass sie „eine Erbschaft für alle“ werden. Beschränkung des Aktienstimmrechts auf 10 Prozent, betriebliche Mitbestimmung nach dem Modell Deutschland, also 50 Prozent. Eine verbindliche CO2-Karte, um den persönlichen Schadstoffausstoß zu begrenzen. Die Einrichtung eines Internationalen Finanzkatasters soll verhindern, dass an den Fiskalbehörden Steuern vorbeigehen. Nach Kenntnissen des Internationalen Währungsfonds sollen es 2017 weltweit 38 Billionen Dollar gewesen sein. Verbrochen nicht nur in Steueroasen, sondern unter dem halb- wie vorgeblich ganz legalen Anschein mehrerer EU-Staaten. Das ist der Skandal, für den auch Jean Claude Juncker steht. Diese Praxis schreit nach einer europäischen Steuerharmonisierung.

Beliebte Einwände gegen Piketty lauten, er untergrabe mit der Begrenzung des Aktienstimmrechts und mit seiner extremen Steuerprogression Kapitalinvestitionen und fördere die Kapitalflucht. Eine selbstverständliche europäische Steuerharmonisierung müsste auch mehr und mehr durch globale Steuerabkommen und Standards komplettiert werden. Sonst schneiden sich die Staaten insgesamt alle ins eigene Fleisch. Selbstverständlich wird Piketty Realitätsferne vorgehalten, aber die Weltverhältnisse – auch mit den Verrückten in den Regierungsämtern, die weit herunterreichen – sind derart ins Wanken und Stürzen gekommen, dass sich unweigerlich Gegenmacht von unten einstellen muss, um den Kurs in Richtung Gemeinsinn und fairen Umgang miteinender zu lenken, jenseits von Twitter und Facebook. Eine vernunftgeleitete Unruhe und Reorganisationsneigung regt sich in allen Gesellschaften. Menschen werden sich niemals dauerhaft Despoten, Demagogen und Ausbeutern unterordnen.
 
Foto © buecher.de

Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO

1. Am Ende des Neoliberalismus droht die Wende ins Ende der Demokratie
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