wpo Porträt Leonie 1"Das Roadstories Projekt" von Leonie Hochrein

Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse

Fulda/ Künzell (Weltexpresso) - Ein Jahr lang zog die junge Künstlerin Leonie Hochrein durch die Welt und stellte jede Woche einem ihr bekannten oder fremden Menschen drei Fragen zu Glück, Heimat und einigen prägenden Ereignissen im bisherigen Leben. Zu den notierten Antworten fertigte sie jeweils ein Fotoporträt von dem Menschen, der an die nächste Person eine eigene vierte Frage stellen sollte: „Beschreibe das Gefühl jemanden innig zu lieben“, wollte eine wissen, andere fragten, „Was ist deine Kunst?“ oder „Welche Bedeutung hat Sexualität in deinem Leben?“
Mit diesem Projekt begann Hochrein noch vor dem Abschluss ihres Kunststudiums an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Ihre „Roadstories“ sind kein distanziertes Interviewprojekt, in dem sie Befragte zum Objekt macht. Stattdessen destillierte sie 51 intensive Vignetten aus ihren offenen Gesprächen. Im 52. Interview wollte sie selbst zu Wort kommen, doch während der Nachbearbeitung der authentischen Begegnungen verunglückte die Künstlerin (23) tödlich mit ihrem Lebensgefährten auf einer alpinen Bergtour. Mit zwei Redakteurinnen aus dem Freundeskreis setzte Ihre Mutter die geplante weitere Arbeit fort. 2018 stellte sie das Projekt bei den Dirloser Kunsttagen vor und veröffentlichte vor kurzem „Das Roadstories Projekt“ als englisches und deutsches Künstlerbuch.

Das Werk ist grafisch gut gestaltet, großzügig aufgemacht, angenehm anzufassen, schön anzusehen und gut zu lesen - trotz seiner strengen Systematik: Ganz knapp erzählt Hochrein zunächst jeweils von ihren eigenen Beobachtungen und Gefühlen im Gespräch, bleibt also nicht außen vor. Es folgt ein ganzseitiges, stark angeschnittenes Bildporträt der Befragten, danach deren meist nachdenkliche Antworten und die Frage an die nächste Person.

Der Künstlerin gelingt es, dass sich ihre Fotos und die Worte der Gesprächspartner fast magisch überlagern. Die besondere Atmosphäre der Begegnungen mit sehr unterschiedlichen Leuten wird spürbar. „Das Roadstories Projekt“ ist kein Buch zum schnellen Durchlesen, sondern eher zum allmählichen Kennenlernen von mehr und mehr Menschen aus aller Welt. Beim Lesen wird man selbst von den Erinnerungen, Träumen und Hoffnungen dieser Personen angeregt: Man liest. Staunt. Denkt nach. Schweift ab. Überlegt, was war mir eigentlich wichtig? Ständig entstehen durch die wechselnden vierten Fragen neue Nachdenklichkeiten. Es gibt so viel Platz in dem großzügig gestalteten Buch, manche halbleeren Seiten provozieren dazu, sich eigene Notizen zu machen.

Die Antworten auf die Fragen nach Glück und Heimat sind nicht besonders spektakulär, aber fast nie materialistisch: „Sonnenschein, Wärme und soziale Kontakte“, sagt eine. Es geht den Befragten fast immer um das Verbunden-Sein und die Gesellschaft mit anderen Menschen, oft auch mit Tieren. Die Arbeit, die Kunst, gegenwärtige Momente oder mal so richtig gefordert werden, macht viele glücklich. Auch Heimat ist selten dort, wo jemand aufgewachsen ist: Sich mit anderen Leuten wohlfühlen, ihnen vertrauen oder miteinander etwas zu tun ist für viele Heimat. „Mein Herz ist nomadisch veranlagt“, sagt eine und meint, was manche auch äußerten: Heimat kann wechseln und sich verändern.

Bei der dritten Frage wird klar, hauptsächlich andere Personen haben die Befragten geprägt. Die unterschiedlichen Reaktionen auf die mannigfachen vierten Fragen geben letztlich viele poetische Antworten zum wohl eigentlichen Thema der „Roadstories“: Was ist der Mensch? Besonders berührt Hochreins Projekt dadurch, dass die Leserinnen und Leser es in ihren Köpfen fortsetzen (können), die früh gestorbene Künstlerin dadurch lebendig bleibt und weiter wirkt.

Im Gespräch mit Leonies Mutter

Die Mutter berichtet, sie habe viel positives Feedback zum Buch bekommen sowie Anfragen, ob es ok sei, wenn man selber anderen Menschen Leonies Fragen stelle. „Es ist schön, was Leonie in die Welt gebracht hat“, meint sie dazu. Demnächst beginnt in der Alanus-Hochschule - in Alfter bei Bonn - eine große Ausstellung zu Leonies Künstlerbuch vom 13. bis 30. November:
www.alanus.edu

„Das Roadstories Projekt“ wurde durch Croudfounding finanziert, berichtet Hochrein. Das Künstlerbuch gibt es nicht auf dem Buchmarkt zu kaufen, sondern ist vorerst nur online zu erhalten und kostet 40 Euro, der Unterstützerpreis beträgt 50 Euro:
 www.leoniehochrein.com

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Fotos:

© Padma Ellen Hochrein, grafische Bearbeitung Hanswerner Kruse