... als Bücher noch von „Schweizerdegen“ gedruckt wurden

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Mark Twain im Jahr 1900: „Die Welt erkennt ohne Zögern und Zweifeln an, dass Gutenbergs Erfindung das größte Ereignis ist, das jemals in der Geschichte stattgefunden hat.“ Ist das so?
Der Buchdruck mit austauschbaren Buchstaben wurde in China schon im 11. Jahrhundert mit beweglichen Lettern aus gebranntem Ton entwickelt. Im 13. Jahrhundert wurde in Korea bereits mit Metall-Lettern gedruckt (siehe rechts) – 80 Jahre vor Gutenberg!

Der Mitteleuropäer Johannes Gutenberg entwickelte seine Technik eigenständig für sich, zusammen mit einem Handgießinstrument und einer Druckerpresse. Und das "in einer Zeit, in der kirchliche, staatliche, wirtschaftliche Formen bröckelten, zerbrachen. Das Mittelalter versank. Eine neue Zeit zog herauf, eine Zeit, die dem Menschen zwar die Geborgenheit mittelalterlicher Gemeinschaftsformen nahm, andererseits aber auch neue Kräfte in ihm weckte, weil sie die Menschen stärker vereinzelte, auf sich selbst stellte." Sie wollten schreiben, sie wollten lesen. ... Gutenberg machte das erste große Geschäft mit dem Druck einer lateinischen Bibel-Ausgabe. Zwischen 1452 und 1454 entstand die fast 1.300 Seiten starke, zweibändige Gutenberg-Bibel.

Etwa 180 Exemplare wurden gedruckt, davon rund 30 auf Pergament. Sie wurden durchaus mit Erfolg unters Volk gebracht, wie spätere Gutenberg-Experten wissen: Der Diplomat und spätere Papst Enea Silvio de Piccolomoni berichtete im Oktober 1454 von der Frankfurter Messe, dass die gesamte Auflage vergriffen sei. Als gut achtzig Jahre später, ab 1534, die erste Vollbibel in deutscher Sprache des Martin Luther auf den Markt kam, war am Erfolg des Wittenberger Mönches Johannes Gutenberg mit seiner Erfindung – und seinem Geschäftssinn – nicht unwesentlich beteiligt: Ein Renner waren nämlich die Ablassbriefe, die er im Auftrag der vatikanischen Kirche zwischen 1454 bis 1455 zu Tausenden druckte. Gläubige kauften sie und erhofften sich davon die Vergebung ihrer Sünden. Für Martin Luther waren sie bekanntlich Anlass für seine Erfindung eines anderen Kirchenverständnisses. Seine erste deutschsprachige Bibel druckte ein Hans Lufft in Wittenberg – noch im 15. Jahrhundert hatte sich Gutenbergs modernes Druckverfahren in Europa und später in der ganzen Welt verbreitet.



In meinem Familien-Archiv findet sich weder eine Gutenberg- noch eine Luther-Bibel, sondern dieses Druckerzeugnis, das genau 400 Jahre später in meinem Geburtsort erschien ...



Und auf Seite 3 gibt es ein Foto, das meinen Vater zeigt (links), Buchdrucker und Schriftsetzer bei „Verlag und Druckerei Otto Trömel“ zu Bernsdorf/Oberlausitz.




Ich habe ihn dort als kleiner Junge öfter besucht und darüber gestaunt, wie er frisch gegossene Blei-Lettern anfassen konnte, ohne sich die Finger zu verbrennen. Nach dem Beruf meines Vaters gefragt, antwortete ich stets: „Er ist Schweizer Degen!“ Und wer dann noch fragte, was das denn sei, bekam die bei „Trömel“ erfahrene Information zu hören: „Schweizer Söldner waren bekannt dafür, dass ihr Degen auf beiden Seiten geschliffen und so in zwei Richtungen zu gebrauchen war. In den Druckereien versteht man unter Schweizerdegen einen Fachmann, der sowohl setzen als auch drucken kann.“

Als Algorithmen bewegliche Lettern ablösten, hatte mein Vater den „Schweizerdegen“ abzugeben. Hier können Sie – wenn Sie es können – einen von meinem Vater noch handgesetzten Text lesen:


Nach russischer Kriegsgefangenschaft war mein Vater in die Bernsdorfer Druckerei "Trömel" zurückgekehrt. Diese musste bald darauf schließen. Als Privatbetrieb bekam sie von den DDR-Organen keine Papierzuteilung mehr. ...

An Gutenbergs „Schwarze Kunst“ erinnern heute nur noch Begriffe wie „Hurenkind“, „Speckjäger“, „Läusefraß“, „Draufstecher“ ... ???
(Auflösung in einem gedruckten Buch – siehe unten)



Fotos:
Wikipedia / KJS

Info:
„Kleines Lexicon der Schwarzen Kunst“, Dieter Nadolski, Büchergilde Gutenberg, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, DDR 1990