Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Erfolg von Dörte Hansens ALTES LAND hat nicht nur das neue alte Interesse an der Vorgeschichte der heutigen Bundesrepublik, 1990 zusammengefügt aus Westdeutschland und der DDR, dem früheren größeren Deutschen Reich wiederbelebt, das sich das Dritte nannte, nachdem erst spät – später als alle anderen Kulturnationen rundherum – sich deutsche Länder zu einem Deutschland vereinigten – leider unter einem Deutschen Kaiser der Hohenzollern und nicht einer Republik, was das erste deutsche Parlament 1848 in der Frankfurter Paulskirche hätte werden können.
Aber hier ist ein Weiteres „hätte“ angebracht. Denn auch das im Verhältnis zum noch unter dem Biedermeier leidenden männlichen HEIMCHEN am Herd, zu dem sich die Heimchen durch Metternich nach dem Wiener Kongreß von 1815 unterdrücken ließen, hat im revolutionären Aufbegehren von 1832 und 1848 das Monarchentum nicht angetastet und erst mal ganz oben angefragt, ob ein Hohenzollern nicht gekrönt werden wollte, was damals verneint wurde. Und dann war es vorbei. Aber so weit zurück in deutsche Geschichte wollten wir nicht gehen, sondern die Niederlage des Deutschen Reiches 1945, die heute endlich Befreiung genannt wird, weil sie eine aus einer Diktatur war, hatte zu einer seit der Völkerwanderung nicht mehr stattgefundenen, grundlegenden Verschiebung von Menschen und Sprachen geführt, Völker zu sagen, liegt einem heute nicht mehr so sehr.
Für deutsche Länder war das eine Verschiebung von Ost nach West. Und was 1990 geschah, wird heute immer stärker als eine Übernahme der DDR durch Westdeutschland verstanden, wobei die Ironie der Geschichte eben darin liegt, daß es weithin um eine freiwillige Unterwerfung unter das vorgefundene politische und gesellschaftliche System ging, die aber ganz schön raffiniert gesteuert wurde. Aber nein, jetzt sind wir unserer Zeit weit voraus. Diese richtigen Romane von 1990 sind immer noch nicht geschrieben worden.
Für heute bleibt der Fixpunkt für diese beiden Bücher : NEBELKINDER und DEUTSCHES HAUS das Jahr 1945. Aber anders als ALTES LAND haben diese Romane die erlebte Historie in ihren Geschichten zum Thema gemacht, denn das Unglaubliche am so erfolgreichen Roman der Dörte Hansen, auf das eigentlich niemand so recht hingewiesen hat, ist ja, daß die Flüchtlingsfrau und ihre Tochter sich nicht nach der alten Heimat sehnen, ja noch nicht einmal von ihr sprechen, sondern die Integration in neues Leben mit anderen Menschen das einzige Thema blieb. NUR, so war es auch in der Regel. Das Erinnern und das Sehnen überließ man den Heimatvertriebenenvereinen, die auch – so unter sich – dann nach und nach immer stärker revanchistisch wurden, von der 'normalen' Bevölkerung abgelehnt. Auch von mir. Heute denke ich objektiver über diese Menschen, die gerne die alten Verhältnisse wieder haben wollten – sozusagen ein Gefühl lebten wie heute abgemildert, die Zeiten 'vor Corona' wiederhaben zu wollen, wobei gesprengte Familien, Heimat und Heim zu verlieren schon eine andere Kragenweite, eine andere Dimension hat. Aber wie ein an Covid 19 Erkrankter derjenige ist, den es in einer Pandemie erwischt hat, so waren es die Heimatvertriebenen, die zuvörderst bestraft wurden für die Nazis und ihren angezettelten Krieg und den fast gelungenen Versuch der Auslöschung des jüdischen Bevölkerungsanteils der Deutschen in Gaskammern. Den ganzen Prozeß der Umsiedelung von dicht besiedelten Regionen von Ost nach West, der dazu führte, das Landschaften, die polnisch waren, russisch wurden, ehemaligen deutsches Land polnisch, lassen wir aus, eine weitere Ungerechtigkeit, denn die, die gezwungen waren mit Koffer oder Wägelchen oder gar nichts ob des verlorenen Krieges ihre Heimat zu verlassen, waren nicht alleine die, die für das Hitlerregime verantwortlich waren, zahlten aber dafür mit ihrer Heimat.
Insbesondere die hitlerunterstützende deutsche Großindustrie saß ja im Westen und kam – mit den Blessuren der Nürnberger Prozesse – noch lebend davon.
Aber noch einmal: was jemanden wie mich an den Vertriebenenverbänden der jungen Bundesrepublik gestört hat, war das Zurückhabenwollen der alten Verhältnisse, also wirklich die Wiedergewinnung von Schlesien, von Danzig, von Ostpreußen, von allem. Denn das sah ein junger Mensch wie ich ein, daß ein verlorener Krieg auch Kriegsfolgen hat. Wir Jungen sind gerade deshalb in der Bundesrepublik so antirevanchistisch groß geworden und haben nicht Deutschland in den Grenzen von 1938 zurückgefordert, weil wir verstanden haben, daß ein selbst angezettelter verlorener Krieg Tribute fordert – und wir waren ja froh, daß der nationalsozialistische Krieg und der ganze Spuk vorbei war - , weshalb wir das Treiben der Vertriebenenverbände mit Grausen sahen.
Heute denke ich, daß es besonders wichtig ist, zumindest literarisch, das Leben dieser Familien in der neuen Heimat und das Zurückverfolgen der früheren Zeiten zu beschreiben und dies zu lesen. Dabei hatten wir jetzt vor allem an die Vertriebenen gedacht, aber es gibt den genauso wichtigen Tatbestand des Beteiligens der eigenen Familie an den Verbrechen des Nazireiches, sei es durch Mitgliedschaft, sei es durch Taten, die junge Leute aufschreckt und nach der Vergangenheit der eigenen Leute forschen läßt. Da ist es dann egal, ob Ost oder West. Ein weites Feld.
Fortsetzung folgt.
P.S. Das Rechtschreibprogramm
Ich gehöre zu denen, die ohne zu wissen, wer das eigentlich macht, automatisch geschriebene Texte durch das ABC laufen läßt, wobei man oft wiehern muß, was einem da angeboten wird und die eigentlichen Fehler – Auslassungen, unsinnige Formulierungen etc.- nicht erkannt werden, die dann aber die Leser erkennen! Nur diesmal mußte ich den Kopf schütteln:
Corona – nicht erkannt, gibt es nicht
Covid – da wurde in Ovid verbessert. Der arme Dichter.
Foto:
©ndr. de, Bundesarchiv_Bild_183-W0911-501, _Nordwestdeutschland, _vertriebene_Familie
Info:
Stefanie Gregg, Nebelkinder, Aufbau taschenbuch3592
ISBN978-3-7466 3592-7
Annette Hess, Deutsches Haus, Ullstein Verlag,
ISBN 978 3 550 05024-4