Kurt Nelhiebel
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im Alter von 89 Jahren ist am 12. Dezember der britische Erfolgsautor John le Carré an einer Lungenentzündung gestorben. Als 2016 vor DAS VERMÄCHTNIS DER SPIONE (2017) und FEDERBALL (2019) sein drittletztes Buch DER TAUBENTUNNEL erschien, sein Vermächtnis als Biographie, veröffentlichte Kurt Nelhiebel an dieser Stelle folgende Rezension. (Die Redaktion)
Es gibt nur wenige moderne Autoren, deren Name so eng mit einer zeitgeschichtlichen Epoche verbunden ist, wie der von John le Carré. Wer den Namen liest, assoziiert ihn mit dem „Spion, der aus der Kälte kam“. Das Buch und der gleichnamige Film handeln vom Kalten Krieg zwischen Ost und West und einer der nichtsnutzigsten Einrichtungen, die sich die Menschheit jemals hat einfallen lassen, den Geheimdiensten. Weder haben sie jemals Gutes bewirkt noch Schlechtes verhindert, immer haben sie nur Misstrauen gesät und Unruhe gestiftet, Bösewichte am Ruder gehalten und gestürzt, wie es gerade passte. Und wenn es wirklich einmal darauf ankam, konnte sich die eigene Regierung nicht auf sie verlassen. Sie lieferten Mitarbeiter im Bedarfsfall gnadenlos der jeweils anderen Seite aus oder benutzten sie als menschliche Tauschware.
Ein von mir geschätzter inzwischen verstorbener Journalist und Berufskollege ließ sich dereinst vom amerikanischen Geheimdienst beschwatzen, in der DDR die Autonummern sowjetischer Militärfahrzeuge zu notieren und an den Westen weiterzugeben. Die DDR ist daran nicht zugrunde gegangen, aber der gute Mann saß deswegen viele Jahre in einem sibirischen Arbeitslager. Als dann die DDR ohne Gegenwehr von der weltpolitischen Bühne abtrat, traf ihr Untergang den Westen völlig unvorbereitet. Weder der Bundesnachrichtendienst noch einer der vielen anderen Geheimdienste hatte mitbekommen, wie verunsichert die Staats- und Parteiführung durch die Politik der Perestroika Michael Gorbatschows tatsächlich gewesen ist.
Als Terroristen am 11. September 2001 in den USA vier Passagierflugzeuge an einem Tag kaperten und als Waffen gegen die mächtigste Militärmacht der Welt einsetzten, musste die Regierung tatenlos zusehen. Keiner der Geheimdienste hatte sie gewarnt. Wenn umgekehrt ein Spion einmal gerade noch rechtzeitig drohendes Unheil signalisierte, fand er damit kein Gehör. So geschehen zwei Tage vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Von Tokio aus unterrichtete damals ihr Geheimagent Richard Sorge die Regierung in Moskau detailliert über die Angriffsvorbereitungen Hitlers, doch Stalin schob die Nachricht als Fehlinformation beiseite. Sie passte nicht in sein Weltbild, hatte doch die Sowjetunion gerade einen Nichtsangriffspakt mit der Naziführung abgeschlossen. Das Land zahlte dafür einen furchtbaren Preis.
John le Carrés Publikum durfte gespannt sein, ob der berühmte Autor in seinem Buch mit dem nichts sagenden Titel „Der Taubentunnel“ endlich aus dem Nähkörbchen plaudern würde. Aber er hält sich weiter bedeckt. Nichts was der Leser nicht schon wusste erfährt er über den britischen Auslandsgeheimdienst MI6, für den er ab 1960 als zweiter Sekretär der britischen Botschaft in Bonn tätig war. Angewidert von der Beobachtung, dass der Westen mit seiner Spionagetätigkeit unentwegt eigene Ideale verriet, quittierte er nach drei Jahren den Dienst, um sich nur noch der Schriftstellerei widmen zu können. Sein drittes Buch, „Der Spion der aus der Kälte kam“, machte ihn auf einen Schlag so reich, dass er sich, wie er schreibt, mit den Erlösen ein kleines Chalet in der Schweiz bauen konnte.
Obwohl der Schriftsteller auch diesmal nichts über das Innenleben seines einstigen Arbeitsgebers verrät, hält er seine Leser dennoch bei Laune und lässt sie teilhaben an dieser und jener amüsanten Episode. Nebenbei erfahren sie sogar etwas über die vermutlich wahren Gründe für das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union. An einer Stelle schreibt er nämlich: „Wir haben es schon vor langem aufgegeben, uns mit Deutschland zu vergleichen. Der Aufstieg des modernen Deutschlands als selbstsichere, nichtaggressive demokratische Macht ...ist eine für viele von uns Briten zu bittere Pille, als dass man sie einfach schlucken könnte.“ Vermutlich trifft das auch auf andere Länder zu. Sie schlucken diese Pille und denken dabei an die dicke deutsche Brieftasche.
John le Carré, der mit bürgerlichem Namen David Cornwell hieß, hat die Nachkriegszeit mit wachen Sinnen erlebt. Er weiß um die moralische Anrüchigkeit des Bündnisses, das der Westen nach der Niederwerfung Nazideutschlands mit dessen personeller Hinterlassenschaft eingegangen ist. Mit ihrer „willkürlichen Entscheidung, ehemalige und selbst gegenwärtige Nazis seien schon qua definitionem dem antikommunistischen Lager zuzurechnen“, hätten sich die westlichen Geheimdienste etwas vorgemacht, schreibt er. Von Reinhard Gehlen, der sich bei Kriegende mitsamt seinem Wissen als ehemaliger Chef des Wehrmachtsgeheimdienstes „Fremde Heere Ost“ an die Amerikaner verkaufte, hielt er nicht viel. Für ihn war Gehlen ein „Effekthascher und Phantast“.
Gemäß der Devise „Gleiche Brüder, gleiche Kappen“ verstand Gehlen sich nach eigenem Eingeständnis als Chef des Bundesnachrichtendienstes auf Anhieb glänzend mit dem Chef des Bundeskanzleramtes Hans Globke. Der hatte, wie le Carré bemerkt, selbst nach Nazimaßstäben eine beeindruckende Lebensbilanz vorzuweisen. Noch vor Hitlers Machtergreifung habe er sich dadurch hervorgetan, dass er antisemitische Gesetze für das Reichs- und das Preußische Ministerium des Innern entworfen habe. Konrad Adenauer habe sich über die Einwände gegen die Wiederverwendung alter Nazis mit der Bemerkung hinweggesetzt, man schütte kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes habe.
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