Bildschirmfoto 2020 12 16 um 00.12.17Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 10

Anna von Stillmark

Wien (Weltexpresso) – Wir sollen ja alle Bücher besprechen, die uns wert sind, jetzt noch einmal eine Öffentlichkeit zu erreichen. Ich habe mir fürs erste diese beiden Biographien vorgenommen, die von zwei Frauen, zwei jüdischen Frauen handelt, die beide den Holocaust überlebt haben, die eine, Gisela Friedmann aus der Tschechoslowakei, überlebte das KZ Auschwitz-Birkenau, die andere, Gerta Stern aus Wien, überlistete die Nazis gleich mehrfach und konnte sich und ihren Mann nach Panama retten. Beider Leben verlief völlig unterschiedlich. Aber sie brauchten beide jemanden, der zu unserem Gewinn darüber schreibt.

Señora  Gerta. Wie eine Wiener Jüdin auf der Flucht nach Panama die Nazis austrickste von Anne Siegel

„Glück gehabt“, denkt man immer wieder, wenn man die Erfolgsgeschichte von Señora  Gerta liest. Manchmal mag man es kaum glauben, wie Gerta Stern 1915 in Wien geboren, Schwierigkeiten meistert, und wie sie dann auf der anderen Seite ein Wohlleben genießen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, daß es anderen schlechter geht. Das ist wirklich ein wichtiges Buch für alle diejenigen, denen die Taten des Dritten Reiches das eigene Leben auf Dauer versauen und versauern. Es muß Tage der Trauer und der Bewältigung geben, aber auch Tage, wo das Leben nicht nur weitergeht, sondern mit Freude gelebt wird. Das kann man von Gerta Stern lernen und auch, daß Arbeit nicht schadet, daß es aber die richtige Arbeit sein muß, die die Wienerin mit 100 Jahren in ihrem Kosmetiksalon in Panama City immer noch ausübte, denn andere schön zu machen, hat eine positive Gestimmtheit.

Man kann es manchmal kaum glauben, wenn Anne Siegel ein derart glückhaftes Leben schildert, bei dem, wie gesagt, zwei Komponenten zusammenkommen. Die hübsche junge, aber schon verheiratete Gerta Stern hatte Glück, das Glück der Tüchtigen, denn ihr Mann, übrigens ein bekannter österreichischer Fußballspieler namens Moses, war ja von der Gestapo schon in „Schutzhaft“ genommen, für andere das Todesurteil, aber sie bekam ihn frei, hatte also auch das Glück der Tatkräftigen, die ihr Köpfchen nutzen und auch ihre weibliche Überzeugungskraft. Man freut sich über jede List, die sie anwendet und die erfolgreich ist, wenn der Titel vom ‚austricksen‘ spricht.

Was man dann über das Ankommen in Panama liest, zeigt, daß auch ihr später blühender Kosmetiksalon nicht von alleine kam. Das viele Glück, das sie hat und das sie empfindet, ist einem manchmal fast zu viel. So positiv dem Leben gegenüber zu stehen und alles zum Guten zu wenden, macht einem im richtigen Leben bestimmt solchen Menschen gegenüber renitent. Aber angesichts des Leides, das die Regel ist und angesichts der Absicht, die im deutschen Namen alles Jüdische und alle Juden auslöschen wollte, freut man sich über alle Maßen, wie das hier mißglückt ist. Nicht nur ihr, die ganze Familie ihres Mannes überlebte und sie treffen sich erstmals wieder 1947 in New York. Daß man viel über das Leben in Panama mitbekommt, ist gut, denn wir wissen wenig darüber.

Gerta Stern hat 2015 ihren 100sten Geburtstag in Bad Hofgastein in einem Hotel gefeiert, in das eine Unmenge Leute aus zwölf Nationen gekommen waren. Das Foto finden Sie im Buch, hinreißend, wie überhaupt auch die anderen Fotos sehr aussagekräftig sind. Das Buch ist 2016 erschienen, im Jahr 2018 ist Gerta Stern dann doch mit 102 Jahren gestorben, ein Vorbild, daß man Leben auch leben sollte.

Foto:
Cover

Info:
Anne Siegel, Señora  Gerta. Wie eine Wiener Jüdin auf der Flucht nach Panama die Nazis austrickste, Europa Verlag 2016
ISBN 978 3 95890 051 6