Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn wie im ersten Teil vom Januar herausgestellt, gleich sieben neue Titel auf der Krimibestenliste stehen, sind auch sieben Romane ausgeschieden. Die meisten von ihnen hatten wir in den Vormonaten in eigenen Artikeln gewürdigt , aber KALMANN von Joachim B. Schmidt, erschienen im Diogenes Verlag, hatten wir uns immer aufgespart. Er kam im Oktober auf die Liste und hielt sich immer im mittleren Bereich.
Das kann ich Ihnen versprechen: So ein Buch, so einen Kriminalroman haben Sie noch nie gelesen. Ob es sich überhaupt um einen Krimi handelt, soll hier nicht erörtert werden, denn die Grenzen sind fließend. Aber selten habe ich so lachen müssen, was an der Konstruktion des Romans liegt, besser: an seiner Hauptperson Kalmann Óðinsson, der ein cleverer Junge ist, auch wenn er schon 34 Jahre und offiziell geistig behindert ist. Dazu gleich. Der 1981 in Graubünden geborene Meister, der ihn schuf, ist also Schweizer, ist aber im Jahr 2007 nach Island ausgewandert und fungiert dort als Reiseleiter und Journalist – und als Krimiautor, wie man liest. Und man liest mit Vergnügen. Er versetzt uns an den Rand, der Erde, der sich auftut, wenn die Erde eine Scheibe ist, denn man ist wirklich Jodwedeh, irgendwo im Nordosten von Island, wo ein paar Kilometer vom Polarkreis entfernt Raufarhöfn liegt, ein Dorf, Heimat von Kalmann. Einst war es ein stolzes Dorf mit blühendem Fischhandel, die Heringe sind dort berühmt, aber die Fischfabrik ist jetzt woanders und gefangen wird selten etwas, eine Entwicklung, um die der Fischer und Jäger Kalmann weiß und sich dagegen stemmt und so tut, als ob die alte Größe noch da wäre. Denn er ist ja noch da und anfangs noch weitere 174 Einwohner. Am Schluß sind es zwei weniger.
Kalmann ist der Größte, schließlich hat nur er den Cowboyhut und Sheriffstern, und dazu noch heimlich, alles von seinem unbekannten Vater, einem US-Soldaten, eine Mauser aus dem Koreakrieg. Aufgewachsen ist er bei seinem Großvater, der ihn liebt und er ihn auch. Außerdem hat dieser ihn das Fischen gelehrt und die Zubereitung von Gammelhai, den besten der Welt.
Aber die Mauser hat nichts zu tun mit dem Blut, das Kalmann ganz weit oben im weißen Schnee findet, wo es eiskalt ist und Nebel herrscht, Blut?, was seltsam ist, vor allem, weil auf einmal der Direktor des einzigen Hotels vermißt wird. Naja, vermutet er in seinen Ich-Monologen, die beim Hören der CD noch stärker einen Sog erzeugen als beim Lesen, also er vermutet, es war ein Eisbär, der vielleicht den Hoteldirektor und Alleineigner des Dorfes Robert McKenzie ....? Aber so weit sind wir noch lange nicht, denn erst einmal nehmen wir teil am Leben des Jungen, möchte man immer schreiben, weil ein altkluger 34jähriger Jugendlicher uns anspricht.
Der weiß auch, wo seine Grenzen sind. Das Internet nämlich. Aber dafür hat man seine Verbindungen. Bei ihm ist das Nói, der ebenfalls behindert ist, aber ganz und gar nicht im Kopf, sondern er sitzt im Rollstuhl, bestens geeignet also, die ganzen notwendigen Infos, die Kalmann braucht, zu liefern. Was er tut. Eigentlich läuft sowieso alles so, wie Kalmann will, bis auf das Sterben des Dorfes und daß nicht nur der McKenzie vermißt wird, der später übrigens tot, ermordet, in der Felsspalte nahe der Blutlache entdeckt wird, aber so weit sind wir noch nicht, es wird die Frau tot aufgefunden, die Kalmann immer zu seinem Großvater brachten, der im Altersheim lebt. Da ist Kalmann jetzt schon beleidigt, daß die einfach ermordet wird.
Und warum immer er die Rätselaufgaben entdecken muß? Da wollte er endlich wieder Fische fangen, fährt raus aufs Meer und stößt auf einen Hai, in dessen Magen er eine Menschenhand findet. Immer er. Doch genauso interessant sind die großen Mengen von Rauschgift. Und das in so einem kleinen Ort wie Raufarhöfn. Umschlaghafen für die große Welt? Das Tolle an dem Buch ist die Wirrnis, in die der Erzähler den Zuhörer und Leser stürzt, denn Kalmann berichtet nicht, sondern interpretiert gleichzeitig die Welt, die er aus seiner Sicht sieht und der er seine eigene Wahrheit verpaßt. Das ist ein nicht mehr so übliches literarisches Spiel, wenn ein angeblich naiver mündlicher Erzähler hochkomplex in der Verschriftlichung uns einerseits eine Wahrheit vermittelt, die immer nur das Weltbild von Kalmann zeigt, andererseits wir selber kombinieren müssen, wo Kalmanns Sicht nicht mehr ausreicht und ob er überhaupt so naiv ist, wie er erzählt oder ob wir ihm auf dem Leim gehen. Könnte er nicht auch der Mörder sein? Nein. So weit geht die Fiktion nicht. Aber sonst ist alles möglich.
Tolles Stück Literatur, dieser beste isländische Krimi des Jahres von Joachim B. Schmidt. Lesen und Hören! Beides bei Diogenes, auch das Hörbuch, das wir besonders empfehlen!
Fortsetzung folgt
DIE KRIMIBESTENLISTE JANUAR
1 (–) Candice Fox: Dark
Aus dem Englischen von
Andrea O’Brien.
Suhrkamp, 394 Seiten, 15,95 Euro
Los Angeles. Irgendwo ist die Beute von einem Bankraub versteckt. Aber das spielt
erstmal keine Rolle, denn die Tochter der Diebin Sneak ist verschwunden. Vier
Frauen, eine Ärztin und verurteilte Mörderin, eine Detective, eine Gangsterin und
die Mutter suchen sie. Im Dunkel des Sunshine State. Rabiat.
2 (2) Dominique Manotti: Marseille 73
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument Verlag,
400 Seiten, 23 Euro
Als ein verrückter Araber einen Busfahrer ersticht, legen die Fremdenhasser los.
Malek, 16, Berufsschüler, wird niedergeschossen. Commissaire Daquin und sein
Team agieren taktisch klug, fast allein gegen Ausländerhass, Mordwut, Verlustangst,
Rassisten im Apparat. All das gab es schon in Marseille 1973.
3 (1) Denise Mina: Götter und Tiere
Aus dem Englischen von Karen Gerwig.
Ariadne im Argument Verlag,
352 Seiten, 21 Euro
Glasgow. Ein Raubüberfall mit Todesopfer, ein alternder Labour-Politiker in Seitensprung-Kalamitäten, Polizisten mit Bergen von Bestechungsgeld, ein moralisch
unsicherer Erbe – alles ganz normal. Die Serie um Detective Alex Morrow: das hellwache Porträt einer starken Frau und ihrer chaotischen Stadt.
4 (–) Tim MacGabhann:
Der erste Tote
Aus dem Englischen von Conny Lösch.
Suhrkamp, 274 Seiten, 15,95 Euro
Poza Rica, Mexiko. Blutiges Erdöl. Der irische Journalist Andrew und der Fotograf
Carlos stolpern über einen massakrierten Öko-Aktivisten. Als auch Carlos ermordet
wird – von einem Polizisten –, überwindet Andrew seine Angst und recherchiert:
Staat & US-Konzerne vereint gegen Natur und Indigene.
5 (–) Robert Galbraith: Böses Blut
Aus dem Englischen von Wulf Bergner,
Christoph Göhler, Kristof Kurz.
Blanvalet, 1194 Seiten, 26 Euro
London, England. Strike und Robin haben einen Cold Case: Vor 40 Jahren verschwand eine Ärztin.
Ein Serienmörder ist verdächtig, jetzt will die Tochter Wahrheit. Ergebnis wie Lösungsweg können Vorurteile Hegenden
nicht gefallen. Galbraith seziert Beziehungszwänge. Gekonnt weitschweifige Bösartigkeit.
6 (–) Samantha Harvey:
Westwind
Aus dem Englischen von Steffen Jacobs.
Atrium, 382 Seiten, 22 Euro
„Oakham“, Somerset 1491. Der reichste Mann des ärmsten Dorfes ist tot, der Dekan
steckt seine Nase in alle Ritzen, Pfarrer John Reve möchte nicht „Richter und
Sheriff“ zugleich sein. Als ließe sich die Zeit zurückdrehen, erzählt Reves Ich vier
Tage rückwärts: Scham, (geistige) Armut, Lügen.
7 (4) Mick Herron: Real Tigers
Aus dem Englischen von
Stefanie Schäfer.
Diogenes, 480 Seiten, 18 Euro
London. Ein angeheuertes „Tiger-Team“ greift testhalber den Geheimdienst MI5
an. So der trickreiche Plan. Was aber, wenn die Tiger real sind? Jackson Lambs
Agenten, eigentlich auf dem Abschiebegleis, zeigen, was sie draufhaben. Halsbrecherische Satire auf die eitle Upper Class und ihre Spy-Bürokratie.
8 (–) Nicci French: Eine bittere Wahrheit
Aus dem Englischen von
Birgit Moosmüller.
C. Bertelsmann, 506 Seiten, 16 Euro
„Okeham“, England. Tabitha ist in das Dorf ihrer Jugend zurückgekehrt, hat den
Lehrer von damals tot im Schuppen gefunden und sitzt jetzt unter Mordanklage in
Untersuchungshaft: depressiv, von Medikamenten benebelt, sich selbst verteidigend
ohne Beistand. Psychologisch fein, leise Spannung.
9 (–) Iva Procházková: Die Residentur
Aus dem Tschechischen von
Mirko Kraetsch.
Braumüller, 573 Seiten, 24 Euro
Prag. Junge Tschechen im Widerstand gegen Eltern und Subordination unter Großrussland, bewaffnet für die Unabhängigkeit der Ex-Sowjetrepublik „Kasmenien“.
Mischung aus Familien-, Gesellschafts- und Spionageroman mit satirischen Pfeilen
in alle Richtungen, besonders gegen postsowjetische Duckmäuserei.
10 (–) David Whish-Wilson:
Das große Aufräumen
Aus dem Englischen von Sven Koch.
Suhrkamp, 327 Seiten, 10 Euro
Perth 1983. Ex-Superintendent Swann, jetzt Privatdetektiv, soll dem neuen Premier
die unsauberen Wege ebnen. Mit und gegen Bikerclubs, korrupte Polizeibanden,
lokale Gangster, Baulöwen und Spindoctors. Swann verfolgt seine eigene Agenda:
treu, mit leichten Skrupeln, kompromisslos clever und rau.
Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?
WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste erscheint nicht mehr am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane der Monate in 2021 sind allerdings noch nicht einmal über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste im Feuilletonteil. Leider gibt es die Liste ab 2021 noch nicht einmal im FAZ-Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren? Da muß man froh sein, daß der Deutschlandfunk Kultur die Kriminalromane als anspruchsvolles Genre noch nicht aufgegeben hat, sondern weiterhin jeden ersten Freitag im Monat die neue Liste bringt, die wir sobald wir können, nachdrucken.
An jedem ersten Freitag des Monats geben also 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste war nach demeine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur, der Sender, der nun die Krimibestenliste alleine veröffentlicht und trägt. Das wäre schon für die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt ein Argument, den Rundfunkgebühren zuzustimmen.
Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury |
Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“ |
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR |
Gunter Blank, „Rolling Stone“ |
Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ |
Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ |
Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ |
Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Culturmag“, „Deutschlandfunk Kultur“ |
Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ |
Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ |
Alf Mayer, „Culturmag“, „Strandgut“ |
Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ |
Marcus Müntefering, „Der Spiegel“ |
Ulrich Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, SWR, WDR |
Frank Rumpel, SWR |
Ingeborg Sperl, „Der Standard“ |
Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“
Foto:
Cover
Info:
Besprechungen der Krimibestenliste im Dezember 2020
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20678-goetter-und-tiere-von-denise-mina-von-ariadne-weiterhin-auf-platz-
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20679-platz-6-eric-plamondon-mit-taqawan-aus-dem-lenos-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20680-platz-1-denise-mina-goetter-und-tiere-ariadne-im-argument-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20735-die-guten-krimis-von-gestern-annas-rendon-steph-cha-u-a
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20733-real-tigers-von-mick-herron-von-diogenes-auf-platz-4
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20894-platz-9-und-10-ungewoehnliche-amerikanische-verbrecher-damals-1919-und-heute
Besprechungen der Krimibestenliste im Januar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20958-dark-von-candice-fox-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20962-dominique-manotti-mit-marseille-73-von-ariadne-bleibt-auf-platz-2
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20972-unter-den-ausgeschiedenen-kalmann-von-joachim-b-schmidt
Aber die Mauser hat nichts zu tun mit dem Blut, das Kalmann ganz weit oben im weißen Schnee findet, wo es eiskalt ist und Nebel herrscht, Blut?, was seltsam ist, vor allem, weil auf einmal der Direktor des einzigen Hotels vermißt wird. Naja, vermutet er in seinen Ich-Monologen, die beim Hören der CD noch stärker einen Sog erzeugen als beim Lesen, also er vermutet, es war ein Eisbär, der vielleicht den Hoteldirektor und Alleineigner des Dorfes Robert McKenzie ....? Aber so weit sind wir noch lange nicht, denn erst einmal nehmen wir teil am Leben des Jungen, möchte man immer schreiben, weil ein altkluger 34jähriger Jugendlicher uns anspricht.
Der weiß auch, wo seine Grenzen sind. Das Internet nämlich. Aber dafür hat man seine Verbindungen. Bei ihm ist das Nói, der ebenfalls behindert ist, aber ganz und gar nicht im Kopf, sondern er sitzt im Rollstuhl, bestens geeignet also, die ganzen notwendigen Infos, die Kalmann braucht, zu liefern. Was er tut. Eigentlich läuft sowieso alles so, wie Kalmann will, bis auf das Sterben des Dorfes und daß nicht nur der McKenzie vermißt wird, der später übrigens tot, ermordet, in der Felsspalte nahe der Blutlache entdeckt wird, aber so weit sind wir noch nicht, es wird die Frau tot aufgefunden, die Kalmann immer zu seinem Großvater brachten, der im Altersheim lebt. Da ist Kalmann jetzt schon beleidigt, daß die einfach ermordet wird.
Und warum immer er die Rätselaufgaben entdecken muß? Da wollte er endlich wieder Fische fangen, fährt raus aufs Meer und stößt auf einen Hai, in dessen Magen er eine Menschenhand findet. Immer er. Doch genauso interessant sind die großen Mengen von Rauschgift. Und das in so einem kleinen Ort wie Raufarhöfn. Umschlaghafen für die große Welt? Das Tolle an dem Buch ist die Wirrnis, in die der Erzähler den Zuhörer und Leser stürzt, denn Kalmann berichtet nicht, sondern interpretiert gleichzeitig die Welt, die er aus seiner Sicht sieht und der er seine eigene Wahrheit verpaßt. Das ist ein nicht mehr so übliches literarisches Spiel, wenn ein angeblich naiver mündlicher Erzähler hochkomplex in der Verschriftlichung uns einerseits eine Wahrheit vermittelt, die immer nur das Weltbild von Kalmann zeigt, andererseits wir selber kombinieren müssen, wo Kalmanns Sicht nicht mehr ausreicht und ob er überhaupt so naiv ist, wie er erzählt oder ob wir ihm auf dem Leim gehen. Könnte er nicht auch der Mörder sein? Nein. So weit geht die Fiktion nicht. Aber sonst ist alles möglich.
Tolles Stück Literatur, dieser beste isländische Krimi des Jahres von Joachim B. Schmidt. Lesen und Hören! Beides bei Diogenes, auch das Hörbuch, das wir besonders empfehlen!
Fortsetzung folgt
DIE KRIMIBESTENLISTE JANUAR
1 (–) Candice Fox: Dark
Aus dem Englischen von
Andrea O’Brien.
Suhrkamp, 394 Seiten, 15,95 Euro
Los Angeles. Irgendwo ist die Beute von einem Bankraub versteckt. Aber das spielt
erstmal keine Rolle, denn die Tochter der Diebin Sneak ist verschwunden. Vier
Frauen, eine Ärztin und verurteilte Mörderin, eine Detective, eine Gangsterin und
die Mutter suchen sie. Im Dunkel des Sunshine State. Rabiat.
2 (2) Dominique Manotti: Marseille 73
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument Verlag,
400 Seiten, 23 Euro
Als ein verrückter Araber einen Busfahrer ersticht, legen die Fremdenhasser los.
Malek, 16, Berufsschüler, wird niedergeschossen. Commissaire Daquin und sein
Team agieren taktisch klug, fast allein gegen Ausländerhass, Mordwut, Verlustangst,
Rassisten im Apparat. All das gab es schon in Marseille 1973.
3 (1) Denise Mina: Götter und Tiere
Aus dem Englischen von Karen Gerwig.
Ariadne im Argument Verlag,
352 Seiten, 21 Euro
Glasgow. Ein Raubüberfall mit Todesopfer, ein alternder Labour-Politiker in Seitensprung-Kalamitäten, Polizisten mit Bergen von Bestechungsgeld, ein moralisch
unsicherer Erbe – alles ganz normal. Die Serie um Detective Alex Morrow: das hellwache Porträt einer starken Frau und ihrer chaotischen Stadt.
4 (–) Tim MacGabhann:
Der erste Tote
Aus dem Englischen von Conny Lösch.
Suhrkamp, 274 Seiten, 15,95 Euro
Poza Rica, Mexiko. Blutiges Erdöl. Der irische Journalist Andrew und der Fotograf
Carlos stolpern über einen massakrierten Öko-Aktivisten. Als auch Carlos ermordet
wird – von einem Polizisten –, überwindet Andrew seine Angst und recherchiert:
Staat & US-Konzerne vereint gegen Natur und Indigene.
5 (–) Robert Galbraith: Böses Blut
Aus dem Englischen von Wulf Bergner,
Christoph Göhler, Kristof Kurz.
Blanvalet, 1194 Seiten, 26 Euro
London, England. Strike und Robin haben einen Cold Case: Vor 40 Jahren verschwand eine Ärztin.
Ein Serienmörder ist verdächtig, jetzt will die Tochter Wahrheit. Ergebnis wie Lösungsweg können Vorurteile Hegenden
nicht gefallen. Galbraith seziert Beziehungszwänge. Gekonnt weitschweifige Bösartigkeit.
6 (–) Samantha Harvey:
Westwind
Aus dem Englischen von Steffen Jacobs.
Atrium, 382 Seiten, 22 Euro
„Oakham“, Somerset 1491. Der reichste Mann des ärmsten Dorfes ist tot, der Dekan
steckt seine Nase in alle Ritzen, Pfarrer John Reve möchte nicht „Richter und
Sheriff“ zugleich sein. Als ließe sich die Zeit zurückdrehen, erzählt Reves Ich vier
Tage rückwärts: Scham, (geistige) Armut, Lügen.
7 (4) Mick Herron: Real Tigers
Aus dem Englischen von
Stefanie Schäfer.
Diogenes, 480 Seiten, 18 Euro
London. Ein angeheuertes „Tiger-Team“ greift testhalber den Geheimdienst MI5
an. So der trickreiche Plan. Was aber, wenn die Tiger real sind? Jackson Lambs
Agenten, eigentlich auf dem Abschiebegleis, zeigen, was sie draufhaben. Halsbrecherische Satire auf die eitle Upper Class und ihre Spy-Bürokratie.
8 (–) Nicci French: Eine bittere Wahrheit
Aus dem Englischen von
Birgit Moosmüller.
C. Bertelsmann, 506 Seiten, 16 Euro
„Okeham“, England. Tabitha ist in das Dorf ihrer Jugend zurückgekehrt, hat den
Lehrer von damals tot im Schuppen gefunden und sitzt jetzt unter Mordanklage in
Untersuchungshaft: depressiv, von Medikamenten benebelt, sich selbst verteidigend
ohne Beistand. Psychologisch fein, leise Spannung.
9 (–) Iva Procházková: Die Residentur
Aus dem Tschechischen von
Mirko Kraetsch.
Braumüller, 573 Seiten, 24 Euro
Prag. Junge Tschechen im Widerstand gegen Eltern und Subordination unter Großrussland, bewaffnet für die Unabhängigkeit der Ex-Sowjetrepublik „Kasmenien“.
Mischung aus Familien-, Gesellschafts- und Spionageroman mit satirischen Pfeilen
in alle Richtungen, besonders gegen postsowjetische Duckmäuserei.
10 (–) David Whish-Wilson:
Das große Aufräumen
Aus dem Englischen von Sven Koch.
Suhrkamp, 327 Seiten, 10 Euro
Perth 1983. Ex-Superintendent Swann, jetzt Privatdetektiv, soll dem neuen Premier
die unsauberen Wege ebnen. Mit und gegen Bikerclubs, korrupte Polizeibanden,
lokale Gangster, Baulöwen und Spindoctors. Swann verfolgt seine eigene Agenda:
treu, mit leichten Skrupeln, kompromisslos clever und rau.
Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?
WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste erscheint nicht mehr am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane der Monate in 2021 sind allerdings noch nicht einmal über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste im Feuilletonteil. Leider gibt es die Liste ab 2021 noch nicht einmal im FAZ-Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren? Da muß man froh sein, daß der Deutschlandfunk Kultur die Kriminalromane als anspruchsvolles Genre noch nicht aufgegeben hat, sondern weiterhin jeden ersten Freitag im Monat die neue Liste bringt, die wir sobald wir können, nachdrucken.
An jedem ersten Freitag des Monats geben also 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste war nach demeine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur, der Sender, der nun die Krimibestenliste alleine veröffentlicht und trägt. Das wäre schon für die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt ein Argument, den Rundfunkgebühren zuzustimmen.
Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury |
Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“ |
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR |
Gunter Blank, „Rolling Stone“ |
Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ |
Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ |
Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ |
Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Culturmag“, „Deutschlandfunk Kultur“ |
Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ |
Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ |
Alf Mayer, „Culturmag“, „Strandgut“ |
Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ |
Marcus Müntefering, „Der Spiegel“ |
Ulrich Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, SWR, WDR |
Frank Rumpel, SWR |
Ingeborg Sperl, „Der Standard“ |
Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“
Foto:
Cover
Info:
Besprechungen der Krimibestenliste im Dezember 2020
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Besprechungen der Krimibestenliste im Januar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20958-dark-von-candice-fox-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20962-dominique-manotti-mit-marseille-73-von-ariadne-bleibt-auf-platz-2
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