Serie: 65. Frankfurter Buchmesse 2013, vom 9. bis 13. Oktober, Teil 8

 

Viktoria Henning und Manfred Schröder

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da wird die Buchmesse ja hin und her kritisiert, und erst recht - vor allem von ihrem Direktor Juergen Boos - persönlich rauf und runtergelobt, die einen schreiben, es sei zu Ende mit dem Buch, gelesen werde nur noch digital, andere wissen, daß man heute über soziale Netzwerke gar keine persönliche Treffen mehr braucht, also auch die Buchmesse verschwinden kann.

 

Diesmal waren es Gott sei Dank noch 227 600 Besucher, wobei die Mischung zwischen den Professionellen, die in der Woche hier ihre Geschäfte machen oder als eigentliche Hauptpersonen: nämlich Schriftsteller und richtige Dichter, und denen, die als Privatleute am Wochenende ihrer Leselust frönen, eine ganz eigene Mischung ist. Übrigens, beide Gruppen interessieren sich auch für das, was nebenher läuft: Geschenkideen und sonstiges Allerlei, wobei wir die Buchstützen aus berühmten, etwas verfremdeten Köpfen echt witzig finden.

 

Bei starken Nerven können Fachbesucher und Aussteller, die ihre Geschäfte und Geschäftsideen abhandeln, auch noch die zahlreichen Comic-, Comedy- oder Kochstars erleben, die alle gekommen sind, um im Rummel so hervorzustechen, daß ihr Kochbuch, ihre Fernsehsendung und das darüber entstehende Bilderbuch oder auch nur die CD und die vielen Videos gekauft, gekauft, gekauft werden. Natürlich geht es bei Messen um Verkaufen, und Bücher kaufen und verkaufen ist auf der einen Seite ein Geschäft, hat aber wegen der Inhalte, des geistigen Gehalts eine ganz besondere Note.

 

Seit es die Einrichtung des Ehrengastes bei der Buchmesse gibt, gilt der Präsentation des Gastlandes auf der Grundlage ihre Literatur im Forum besonderes Interesse. Denn, da schon ein Jahr im Voraus das nächste Gastland bekannt ist, haben Verlage und Literaturagenten Zeit, die Literatur des Ehrengastes ins Deutsche zu übersetzen, wobei sich die Auswahl der Übersetzungen darauf richtet, was im Land selbst repräsentativ ist, also qualitativ hochwertige und/oder auflagenstarke Bücher meint.

 

Beim Gastlandauftritt geht es aber nicht um die Übersetzungen ins Deutsche, sondern um die originale Literatur. Und es geht auch nicht nur um Bücher, sondern um eine Gesamtpräsentation des Landes. Brasilien ist der flächen- und bevölkerungsmäßig fünftgrößte Staat der Erde und mit über 192 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Südamerikas. Brasa bedeutet im Portugiesischen „Glut“ und „glühende Kohlen“; das Adjektiv brasil („glutartig“) bezieht sich auf die Farbe des Holzes, das, wenn geschnitten, rot leuchtet und in Europa zum Färben von Stoffen benutzt wurde. Wer sich auch nur kurz mit diesem gewaltigen Land befaßt, wird schnell herausfinden, daß Brasilien historisch, sozial und kulturell äußerst facettenreich und schwer beschreibbar ist, weshalb man es gerne als „bunt“  bezeichnet.

 

Die Halle F.1, was erster Stock FORUM bedeutet, liegt auf der Stadtseite der Messe und beim Durcheilen der unendlich langen Gänge freut man sich auf die Buntheit der brasilianischen Kultureindrücke: Federn, Musik, schöne Frauen, einen kleinen Jesus, Samba, Papageien, Meer, Urwald, Artenvielfalt, Früchte, Wüste, Regen, Sonne, Berge und das alles verbunden mit der geliebten Literatur. Boing! Der Enthusiasmus wird gleich beim Betreten der Halle F.1-Grau gestoppt durch eine riesige Wand, die nichts sehen läßt. Ein Labyrinth? Okay, noch spannender.

 

Man folgt automatisch der sich an der rundgebauten Wand entlangdrückenden Menschenmasse. Eine Bühne ergibt das erste zu erblickende Ziel. Natürlich wird auf Deutsch geredet, ist ja nur das Forum der gesamten Messe. Und dann ein zweiter Schlag. Eine große ebene Fläche, eingekreist durch die Wand in einem holzbodenartigen Braunton. Sollte damit die Abholzung des Regenwaldes thematisiert werden? Keine Tiere, keine Menschen, keine bunten Bilder. Papiertische stehen in der Mitte und bieten dem gestreßten Messebesucher eine willkommene Sitzgelegenheit, solange man nicht zu viel wiegt. Rechts, Hollandfahrräder mit Sony-Kopfhörern und einem vor die Fahrräder gestellten Schaukasten, der einem die brasilianische Historie in Schwarz- Weiß und in Englisch entgegenjammert.

 

Gegenüber, hinter der in der Mitte der Halle liegenden Sitz- und Lesemöglichkeit auf Möbeln aus Papier, stehen Papierstapel, die dem Besucher kurze Lebensläufe der wichtigsten brasilianischen Autoren in Kopie zum Abreißen, wie von einem riesigen Schulblock, anbieten. Okay, also um die Abholzung des Regenwaldes wird es wohl kaum gehen, sonst dürfte weder der Fußboden aus Holz sein, noch die Möbel, noch dürfte eine derartige Papierverschwendung stattfinden. Das einzige, das an eine südländische Kultur erinnert, sind Hängematten. Hängematten, an denen Flat Screens mit Auszügen von Büchern hängen, die anscheinend von brasilianischen Autoren beworben werden. Flat Screens, Sonykopfhörer und Hollandräder spiegeln nun ja wirklich nicht die problematische Armut dieses Landes wieder. Und diese seltsame, riesige Wand um die Halle herum, nimmt das Licht und läßt alles nur noch trister und erdrückender wirken.

 

„Liebes Brasilien, natürlich wünsche ich mir für Dich, daß es dir mit Deinen Problemen in wirtschaftlicher, krimineller und politischer Sicht besser geht. Doch bitte ich Dich ganz aufrichtig, laß  uns doch an deinem Samba und an deinem Caipirinha, an deiner unglaublichen Arten und Menschenvielfalt, an deiner weltweit außergewöhnlichen Landschaft teilhaben. Natürlich sind wir auch nicht die besten Gastgeber, erst recht nicht, wenn einer der buntesten Kontinente der Welt sich auf der „Hallenfläche grau“ bewerben soll. Und dann findet man doch noch etwas Landschaft, versteckt, in einem Guckkasten, in den man hineinlaufen kann. Da ist Vogelgesang zu hören  und Urwaldgeräusche, so daß man sich in den Guckkasten flüchten möchte, versteckt vor der erdrückenden Bräune dieser toten Halle. Super, Fernsehen. Um das Positive zu finden, ganz nach dem Motto „das Beste kommt zum Schluß“, ist es erstaunlich, daß diese riesige, runde Wand tatsächlich an ein Bücherregal erinnert. Ein solches soll sie zudem auch tatsächlich darstellen!

 

Dennoch wirkt die Bücherregalwand im XXL-Format  wie eine entnommene Idee aus Alice im Wunderland. Nur leider ohne Wunder, sondern in sterilem Plastikweiß. Wenn man sich umschaut, welche Projekte zum Gastland ausgerufen wurden, ist das Erstaunen groß. Poster Wettbewerbe, Wettbewerbe zum Motto, Veranstaltungen, Autorenehrungen. Das Motto des brasilianischen Pavillons lautet: „Brasilien – Ein Land voller Stimmen.“ Es tut einem aufrichtig leid, jedoch kann man im kompletten Gebäude keine einzige Stimme, keinen einzigen Klang hören. Auch das zugereichte Extraheftchen zu Brasilien, ein weiterer Werbesammelband, ist eine gastgeberische Katastrophe.

 

Auf Seite 59 ist eine Tabelle abgedruckt, die deutsche und brasilianische Firmen im Vergleich darstellen soll. Welches allerdings die Kategorien sind, wurde wohl aufgrund der festgehaltenen deutschen „Professionalität, Zuverlässigkeit und Qualität“ gleich einmal ausgelassen. Im Vergleich dazu steht in der Spalte „Brasilien“ „Vertrauen durch Sympathie, gemeinsame Ideen“. Meine Güte, das wird doch ganz sicher jeden deutschen Konzernstrategen dazu bewegen, sofort eine Partnerschaft mit einem brasilianischen Unternehmen zu suchen. Schon damit ist der komplette Werbebranchenkatalog „Brasilien“ faktisch entwertet .

 

Also, liebes Brasilien, es tut uns leid, daß Ihr so schlecht als Gäste behandelt wurdet oder fälschlich glaubtet, durch viel Formales und viel Grau Euch uns anpassen zu müssen Doch bitte, laßt Euch Eure fröhliche und farbenfrohe Lebenswirklichkeit dadurch nicht verdrießen! Wir kommen gerne nach Brasilien.

 

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