die boa und ichBuch-Tipp: Erfahrungen einer nigerianischen Lehrerin in Deutschland – Mercy Okojies mitreißende Satiren

Ester Awonoor

Ein erstaunliches Buch, dieser Band der nigerianischen Autorin Mercy Okojie, die als Lehrerin an einem Gymnasium in Deutschland arbeitet! Auf satirische, zuweilen auch sarkastische Weise erzählt sie von ihren Erlebnissen an einer Schule, wo die Direktorin eine Willkürherrschaft etabliert hat, unter der Lehrer und Schüler gleichermaßen leiden. Die Autorin gerät in die Schusslinie der Schulleiterin, nachdem sie eine Realsatire über eine Abiturprüfung veröffentlicht hat. Dass sie die Geschichte anonymisierte, hilft ihr leider nicht, setzt sich die Schulleiterin doch über die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Kunst selbstherrlich hinweg und ordnet die Strafversetzung der nigerianischen Kollegin an. Die Boa, wie sie von Mercy Okojie genannt wird, kann sich bei ihren Machenschaften auf ein eingespieltes Netzwerk von devoten Spitzeln und Denunzianten verlassen.

Neben der Boa lernt der Leser aber noch andere Zeitgenossen kennen, die man als Beispiele missglückten Lebens bezeichnen könnte und denen man heutzutage immer öfter begegnet. Da wäre etwa der „Schwarze Riese“, der mit der Autorin befreundet gewesen war und ihre Texte lektoriert hatte. Als die Autorin ihren Lektor einmal zu einem afrikanischen Gottesdienst einlädt und er sich „mit Händen und Füßen sträubte – als käme eine schmerzhafte Beschneidungszeremonie auf ihn zu“, wird ihr klar, dass er eine tiefsitzende „Phobie vor Afrikanern“ hat. Und es ist für sie nicht verwunderlich, dass der „Schwarze Riese“ aus seiner Einsamkeit ausbricht und mit den Neuen Rechten sympathisiert, um mit ihren Kreisen schließlich Kontakt aufzunehmen.

Beinahe noch ärger mutet Dr. Z. an, ein ehemaliger Kollege von Mercy Okojie und enger Freund des „Schwarzen Riesen“. Der Lehrer für Deutsch und Latein – ein einsamer Wolf in der Wüste der Großstadt – verunglimpft in seinen Texten Juden und Ausländer, denen er unterstellt, „deutsche Frauen zu vergewaltigen und auf deutsche Straßen zu kacken“. Dabei stellt er seine eigene kulturelle Überlegenheit unter Beweis, in dem „er seine antisemitischen Gedichte einer rechten Rockband namens Thronstahl“ widmet. Kein Wunder, dass Dr. Z. die Kollegin aus Nigeria ein Dorn im Auge ist, „denn Afrikaner verabscheute er aus ganzer Seele“.

Bewegend an Mercy Okojies Erzählungen ist nicht nur ihr lebendiger, pointierter Stil, sondern vor allem der Blick einer Afrikanerin auf den von Entmündigung und soziokulturellen Vorurteilen geprägten Alltag in Deutschland, von dem sich die Autorin allerdings nicht unterkriegen lässt – davon zeugt ihr Buch auf beeindruckende Weise.

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Info:
Mercy Okojie, Die Boa und ich – Schulsatiren aus dem Neuen Deutschland
Verlag Traugott Bautz GmbH, 60 Seiten, 8 Euro
ISBN 978-3-95948-458-9

Ester Awonoor hatte in WELTEXPRESSO den Artikel  DER GEHILFE von Klaus Phillip Mertens über Bernd Hacke
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/21053-der-gehilfe
gelesen und mit einem Brief an ihn auf die Koinzidenz hingewiesen, daß in einem von ihr besprochenen  Buch nämliche Person als SCHWARZER RIESE vorkommt. Das war uns Anlaß, Ester Awonoor um den Abdruck ihrer Rezension zu bitten, der sie dankenswerter Weise nachkam. Diese ist original in Africa alive am 19. Mai 2020 erschienen. Ester Awonoor hatte in Weltexpresso schon zuvor Buchrezensionen veröffentlicht:
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/12820-ghana-und-die-faszination-des-alltaeglichen_544
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/14271-die-unheimlichen-bilder-des-john-bridge_544