keingottSerie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 40

Hartwig Sander

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Versprochen, es kommen wieder Bücher von Frauen, wir haben nämlich den Eindruck, daß inzwischen sehr viel mehr Frauen Romane schreiben als Männer. Was schon lange bekannt ist, das ist, daß Frauen auf jeden Fall sehr viel mehr Romane lesen, als dies Männer tun. Eigentlich seltsam, daß wir sehr wenig über die unterschiedlichen Beurteilungen von bestimmten Romanen durch Männer und Frauen wissen. Bei diesen beiden denkt man, sie müßten jedem gefallen.

KEIN GOTT IN SICHT von Altaf Tyrewala

Indien war zweimal Gastland der Frankfurter Buchmesse: 1986 und 2006. Das waren dann jeweils Zeiten, wo in vielen Verlagen Übersetzungen aus dem Indischen en vogue waren, mehr jedoch aus dem Englischen, aber das ebbte wieder ab und eigentlich ist weithin nur Salman Rushdie so richtig weltberühmt. Ich selbst kenne Arundhati Roy (* 1961), Aravind Adiga (* 1974), Booker-Prize-Träger, Amitav Ghosh (* 1956) und Deepak Chopra (* 1946), Letzterer allerdings ist mir nur mit seinen Ayurveda-Büchern bekannt.

Altaf Tyrewala, 1977 in Bombay geboren, der englische Begriff, was man heute seit 1996 offiziell Mumbai nennt, gehört perfekt in die Liste indischer Autoren, denen das Erzählen im Blut liegt. Eigentlich ist nicht zu verstehen, daß wir ständig Übersetzungen aus den USA und Großbritannien haben, Gesellschaften, die unserer ähnlich sind, aber so wenig wirklich Authentisches über Indien lesen. Hier sind wir richtig und voll dabei im mehr als lebhaften Leben, dem täglichen Irrsinn und der Buntheit der Stadt mit fast 20 Millionen Einwohnern, von denen Tyrewala wieder einer ist, nach der klassischen Zeit, zur Ausbildung in die USA zu gehen, aber zurück nach Hause kommt. Also schreibt er auch auf Englisch, wie die meisten. Er kam mit diesem Roman groß heraus, veröffentlichte inzwischen aber nur ein Langgedicht 2013 und soll derzeit an seinem zweiten Roman arbeiten.

Wenn er all dem Leben hinterher recherchiert, das er in diesem 180 Seiten versammelt, dann dauert das auch lange, denn es ist pralles Leben, das er hier wie in einem Kaleidoskop schillern läßt. Es sind also einzelne Personen, die sich teils kennen, teils nicht und die wir in einer Momentaufnahme ihres Lebens kennenlernen. Ausschnitthaft also, so daß man auch gar nicht die Handlung erzählen kann, sondern nur kurz die Personen streifen möchte: dramatisch wird es mit Minaz, die geschwängert wird, aber kein Kind bekommen will, was korrespondiert mit dem Abtreibungsarzt, der – wie der Autor Moslem - durch seine Tätigkeit Schande über die Familie bringt, weshalb seine Mutter...also das ist wirklich eine Familie, die sich international bewegt.

Und Altaf Tyrewala ein Schriftsteller, von dem man noch viel mehr lesen möchte, so gerne taucht man in indisches Leben ein, auch wenn es ziemlich hart zugeht.


ANDERNORTS von Doron Rabinovici

doronDurchaus mit Absicht sind hier Altaf Tyrewala und Doron Rabinovici zusammengezwängt, denn auch bei ihm lesen wir vom überbordenden Leben, sei es in Wien, wo der Autor seit 1964 lebt, sei es in Israel, wo er 1961 geboren ist. Übrigens war er beim Deutschen Buchpreis 2010 dabei, wo er zu den letzten Sechs gehörte. Das ist deshalb wichtig, weil das ein besonders starker Jahrgang war. Den Deutschen Buchpreis erhielt damals Melinda Nadj Abonji für TAUBEN FLIEGEN AUF. Das ist noch in starker Erinnerung, wie auch der Roman von Peter Wawerzinek, den wir unbedingt auch noch besprechen möchten. Am besten seine drei zusammenhängenden Biographien.

Aber zurück zu Rabinovici: Bedingt durch den Lebenslauf des Autors, sind auch seine Romanfiguren nach Israel unterwegs, allerdings gibt es dabei auch für den Leser heftige Überraschungen. Es geht in erster Linie um den Kulturwissenschaftler Ethan Rosen, der sich an der Universität in Wien für dieselbe Stelle bewirbt wie Rudi Klausinger, den er nicht leiden kann. Doch es gibt Wichtigeres, denn er muß zurück nach Tel Aviv, wo sein Vater nicht überleben wird, wenn...Und dort findet er am Krankenbett besagten Klausinger vor, der behauptet, sein Bruder zu sein. Der Vater war Auschwitzüberlebender und so haben wir alles zusammen: den Tod, das Überleben, die Schuld, Opfer sein und die Frage, wer man überhaupt ist. Ein Grundproblem aller Überlebender. Diese Identitätsfrage würde schon langen, um der mit viel typischen jüdischen Humor versetzten Geschichte zu folgen, die in vielem Woody-Allen reif ist.

Allerdings fühlt man sich manchmal als Leser überfordert, weil im 286 Seiten starken Roman so viel passiert, so viele Leben und eine komplexe Familiengeschichte vor uns auftauchen, daß man sich überfressen fühlt.

Fotos:
Cover

Info:
Altaf Tyrewala, Kein Gott in Sicht, Suhrkamp Verlag 2005
ISBN 978 3 518 41846 8

Doron Rabinovici, Andernorts, Suhrkamp Verlag 2010
ISBN 978 3 518 42175 8