camillerikiloAuf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 49

Werner Thala

Berlin (Weltexpresso) – Eigentlich besprechen Liebesromane mehr Rezensentinnen als Rezensenten. Und bei den Krimis sind es eindeutig mehr männliche Journalisten, die den Grusel in Worte fassen. Mich würde einmal eine Statistik interessieren, die Auskunft  darüber gibt, wieviele Renzensionen von Büchern von Frauen von männlichen und von weiblichen Journalisten verfaßt werden und im Umkehrschluß, wie es bei den Rezensionen von Büchern von Männern aussieht. Darauf bin ich gekommen, weil mir gerade auffiel, daß ich, ein Mann, die Bücher von zwei Männern rezensiert habe.

Erst vor einer Woche hatte Kollegin Katharina Klein ein feines kleines Buch des erfolgreichen und beliebten sizilianischen Autors, der im Sommer 2019 vor seinem 94. Geburtstag starb. Das war sein vorletztes schmales Buch aus dem Jahr 2018 und KILOMETER 123 ist nun unwiderruflich sein letztes, mit 124 Seiten ebenfalls schmales Werk . Aber wie diese Seiten es in sich haben!

Hier ist Camilleri zu dem zurückgekehrt, was er am besten konnte: Kriminalromane. Aber nicht solche mit dem vielen Blut und den kriminellen Banden, sondern ein psychologisches Meisterstückchen. Das fängt mit 4 sms-Nachrichten an, denkt man wenigstens, wenn man viermal liest, wie Ester verzweifelt von jemandem eine Nachricht erwartet und bei der vierten weiß man, aha, „Zwing mich nicht, deine Frau anzurufen.“ Eine Geliebte also.

Und dann kommen Telefongespräche, durch sie man sich langsam herantastet, was hier los ist. Eine Frau wird gebeten zu kommen und Kleider und Wertsachen abzuholen. Aha, ihr Mann liegt im Krankenhaus. Und gleich im nächsten Gespräch macht diese Ester ernst und ruft genau diese Frau als angebliche Anwältin an und hört, daß ihr Geliebter, vom Verhältnis weiß die Ehefrau nichts, im Krankenhaus liegt.

Geschickt blendet Camilleri nun eine Zeitungsnachricht vom IL MESSAGGERO ein, die vom Unfall des bekannten Bauunternehmers Giulio Davoli berichtet, wobei irgendwie eine Unfallabsicht zum Ausdruck kommt und vor allem derjenige groß herausgestellt wird, der den schwer, aber nicht lebensgefährlich Verletzten ins Krankenhaus brachte. Köstlich, wenn dann die Journalisten alle mit dem Namen Anselmo Corradini anrufen, ob er der Helfer sei. Das ist echt witzig. Und schon geht es weiter, denn die investigativen Journalisten haben von ihm das Krankenhaus erfahren, in das er Davoli gebracht hatte.

Drama.Nun wird Ester nicht zum Schwerverletzten gelassen, den nur seine Frau besuchen darf. Unaufhörlich bekommt der Leser neue Informationen, die einmal die Ehefrau von Giulio, dann wieder den Ehemann von Ester betreffen. Doch das ist nicht alles. Wenn die rachsüchtige Ehefrau des Unternehmers ihn mitsamt der gesamten versteckten Papiere wegen Betrugs anzeigt, explodiert die Situation, die uns Leser aber auch Spuren legt, denn inzwischen ist längst die gute Freundin Maria irgendwie verdächtigt, deren Ehemann vor die U-Bahn geschubst wird, und Ester ist auf einmal auch tot und der Ehemann...

Die gute alte Polizei ermittelt sozusagen gegeneinander, die Protokolle, auf alten Schreibmaschinen sind schwer lesbar, das ist aber auch nicht wichtig, weil sie falsch liegt. Doch der Leser weiß mehr. Toll gemacht, Andrea Camilleri.

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Info:
Andrea Camilleri, Kilometer 123, Verlag Kindler 2020
ISBN 978 3 463v00010 7