Juliane Schätze
Frankfurt am Main (Weltexpresso)- In einem fiktiven Gespräch mit Wilhelm Liebknecht und Paul Lafargue resümiert Friedrich Engels die Zusammenarbeit und Freundschaft mit Karl Marx und seine eigene Entwicklung zum Mitgründer des wissenschaftlichen Sozialismus.
Am 14.März 1883 war Karl Marx gestorben. Drei Tage später, am Samstagnachmittag des 17. März 1883, wurde er im Beisein von dreizehn Trauergästen auf dem Ostteil des Londoner Highgate Cemetery bestattet. Wilhelm Liebknecht hielt im Auftrag der deutschen Arbeiter eine bewegende Abschiedsrede; Paul Lafargue sprach für die französischen Arbeiter, Friedrich Engels für die Arbeiter der Welt. Es schien, als sei eine Epoche zu Ende gegangen. Und das, was nun folgen könnte, war denen, die einen Freund und politischen Kampfgefährten verloren hatten, absolut nicht klar. So war die Trauer mit Zukunftsangst über den Fortbestand der Idee durchsetzt.
Nach der Gedenkfeier fuhren sie per Pferdedroschke zurück in die Stadt; denn Highgate war zu jener Zeit ein Dorf nördlich der Londoner Stadtgrenze und verfügte noch über keine Eisenbahnanbindung. In Karl Marx‘ letzter Wohnung in der Maitland Park Road traf sich der größere Teil der Familie, während Engels zusammen mit Wilhelm Liebknecht und Paul Lafargue Engels‘ Domizil in der benachbarten Regent´s Park Road ansteuerte. Er hatte beiden bis zur Rückreise am folgenden Tag Quartier angeboten.
Nach knapp einer Stunde anstrengender Fahrt in der schlecht gefederten Kutsche, die dem Weg über Dörfer und durch Londoner Vororte folgte, erreichten sie ihr Ziel.
„Kommt herein, Freunde!“, bat Engels die beiden Männer in sein Arbeitszimmer, „Finden wir bei diesem riesigen Verlust, an diesem traurigen Tag, doch ein wenig Trost im Gedenken.“ Er entschuldigte sich für einen Moment, stieg in den Keller hinab und kam mit einigen Flaschen Champagner wieder herauf.
„Es ist zu schmerzlich! Unser Mohr ist seiner geliebten Frau und der Lieblingstochter Jennychen nach so wenigen Monaten gefolgt. Dieser Verlust nahm ihm jeden Lebensmut, die letzten Kräfte gegen die eigene Krankheit“, beendete Engels, während er die Gläser füllte, die bedrückende Stille zwischen den drei.
„Der größte lebende Denker hat aufgehört zu denken“ fuhr er fort, „aber unser Kampf wird fortgesetzt, muss fortgesetzt werden, um seine revolutionären Gedanken, sein kolossales Wissen allen Proletariern zugänglich zu machen. Bald genug wird sich die Lücke fühlbar machen, die der Tod dieses Gewaltigen gerissen hat.“
Paul Lafargue, der Ehemann von Marx´ Tochter Laura, nickte zustimmend und ergänzte bekräftigend: „Marx war sowohl Gelehrter als auch sozialistischer Kämpfer. ‚Für die Welt arbeiten’, das war sein Anspruch.“
Sie ergriffen die Gläser. Geeint in dem Willen, Marx´ Werk mit allen verfügbaren Mitteln weltweit zu verbreiten, tranken sie einander zu.
„Du sagst es, General, unser Mohr, der Mann der Wissenschaft, liefert das Rüstzeug zur revolutionären Selbsthilfe des Proletariat.“, nahm Wilhelm Liebknecht das Wort und fuhr fort. „Ich entsinne mich, ich sehe es vor mir, wie ich ihm das erste Mal begegnete. Ich war im Sommer 1850 aus dem Gefängnis im schweizerischen Murten nach England abgeschoben worden. Als Mitglied des Bundes der Kommunisten nahm ich am Sommerfest des Kommunistischen Arbeitervereins teil. Mit dir, General, war ich schon im Vorjahr in Genf zusammengetroffen. Danach wurde ich festgenommen, saß Monate in Haft. Dann traf ich euch beide in London. Ihr habt mich examiniert.“
Über Engels Gesicht huschte ein Lächeln.
„Library, den Spitznamen hattest du von den drei Töchtern Mohrs erhalten, wir hatten deinen Aufsatz zur Junischlacht, dem gescheiterten Aufstand des Revolutionsführers Friedrich Hecker, gelesen. Aber Mohr und ich mussten eruieren, ob dir zu trauen war. Für uns hast du unter Verdacht gestanden, der kleinbürgerlichen ‚Demokratie’ und des ‚süddeutschen Gefühlsdusels’ anzuhängen.“
„General, ich hatte mich 1846 zum Kommunismus bekannt, eure Artikel in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“, das „Kommunistische Manifest“, deine Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ und das „Elend der Philosophie“ waren meine politische Schule.“
Engels quittierte das Lob mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck, bevor er seinen eigenen Erinnerungen freien Lauf ließ.
Foto:
Collage aus Elementen eines Fotos der Engels-Statue in Wuppertal
© Juliane Schätze
Collage aus Elementen eines Fotos der Engels-Statue in Wuppertal
© Juliane Schätze