Sozialistische Phantasien am Frankfurter HimmelEin Frankfurter Realistic-Thriller

Johannes „John“ Haan

Hamburg (Weltexpresso) - Der investigative Journalist Johannes „John“ Haan wird Augenzeuge eines Sprengstoffanschlags auf eine Luxuswohnanlage in Frankfurt am Main. Die hochprofessionell durchgeführte Attacke scheint auf eine schlagkräftige terroristische Organisation als Urheber hinzudeuten. Die Täter könnten aus dem linksextremen Milieu kommen, vermuten Polizeipräsident und Staatsschutz zunächst. Militante Mieterinitiativen hätten bereits seit der Planung der Anlage gegen das Projekt Stimmung gemacht.

Allerdings erfolgt die Zerstörung des Hochhauses mit modernem, teilweise militärischen Gerät, das nicht jedermann zugänglich ist. Zeugen erkannten zwei Transportdrohnen, mehrere Granatwerfer samt Raketen sowie ein kleineres Flugzeug, das bei der NATO u.a. für die Ausbildung von Fallschirmjägern verwendet wird. Das sieht nicht nach Kriegsspielen á la RAF aus. Das ist Krieg. Haans Zwei-Mann-Redaktion, die er unter dem Namen „IPF – Investigativer Pressedienst Frankfurt“ betreibt, recherchiert daraufhin bei Linken (einschließlich derer, die sich dafür halten), Spekulanten, politischen Biedermännern und ideologischen Brandstiftern. Schließlich entdeckt er Allianzen, die er nicht für möglich gehalten hätte. Und riskiert dabei sein Leben.

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Die auffällig große gelb-schwarze Drohne hatte ich bereits am Nachmittag bemerkt. In einer engen Aufwärtsspirale umkreiste sie den Neuen Hermes-Turm, ein Hochhaus mit Luxuswohnungen der höchsten Preiskategorie.

Es war an der Stelle des ehemaligen Getreidesilos der Hermes-Brauerei errichtet worden. Der Vorgängerbau, ein weißer quaderähnlicher Koloss, galt als das Wahrzeichen des Stadtteils Sachsenhausen. Die seitlich versetzte runde Spitze war einem Bierfass nachempfunden gewesen. Darin befanden sich eine Aussichtsplattform und zwei Drehrestaurants, von denen aus man einen herrlichen Ausblick bis hin zu Taunus, Spessart, Odenwald und Rheingau hatte. Die Architektur des neuen Wohnturms orientierte sich am Vorgängerbau. Die Spitze ist als sechsstöckiger Rundbau mit Wohnungen und einem Edel-Restaurant ausgelegt; ein massiger eckiger Hals verbindet sie mit dem eigentlichen Hochhaus.

Aus meiner Wohnung mit integriertem Büro in der Ossietzkystraße habe ich bei fast jedem Wetter einen unverstellten Blick auf die Anlage. Allerding verströmte der abgerissene alte Turm eine Aura, welche die Phantasie beflügelte. Vor allem dann, wenn Flugzeuge, vom Rhein-Main-Airport kommend oder ihn anfliegend, hoch über den 120 m hohen Bau hinwegzogen. Der neue hingegen, sogar 140 m hoch, verkörpert den sterilen Protz des Neo-Liberalismus. Ein von Glas ummanteltes Beton- und Stahlgerüst, das noch toter ist als die Bestatteten auf dem benachbarten Südfriedhof.

Dennoch sind diese Refugien begehrt, wenn auch für die meisten Frankfurter Bürger unerschwinglich. Der Immobilienhai, der sie errichten ließ, lockte Investoren aus aller Welt an den Main: Oligarchen aus der Russischen Föderation und der Ukraine, Milliardäre aus Singapur, arabische Scheichs und Spekulanten aus sämtlichen seichten Sektoren der globalisierten Wirtschaft. Während sich einst im alten Silo Hopfen und Getreide stapelten, häuft sich in dem neuen das gewaschene Geld in einer seiner begehrtesten Anlagen, nämlich als Prunk-Quartiere.

Das unbekannte Flugobjekt erweckte den Eindruck, als wollte es das Gebäude vermessen. Mehrmals hintereinander kreiste es auf dieser merkwürdigen Umlaufbahn, verharrte dann kurz über dem Flachdach und es schien so, als würden Pakete abgeworfen. Nachdem es wieder gestartet war, verlor ich es aus den Augen.

Am Abend dieses sonnigen 2. Juni, gegen 20:45 Uhr, sah ich die aktuellen Meldungen der Nachrichtenagenturen, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Online-Ausgaben der großen Zeitungen durch und überprüfte sie nach für mich Verwertbarem. Als Betreiber von „IPF – Investigativer Pressedienst Frankfurt“ war ich auf erste verheißungsvolle Spuren angewiesen, die ich dann weiterverfolgen würde. Schlagzeilenträchtiges war bislang jedoch nicht darunter. Doch dann blinkte eine Eilmeldung der „Frankfurter Neuesten Nachrichten“ auf:

„Offenbar Anschlag auf den Neuen Hermes-Turm verübt. Im Aufzug zum Restaurant explodierten mehrere Sprengsätze. Die Stockwerke acht bis zehn sind dem Anschein nach dabei zerstört worden. Die darüber liegenden Etagen sowie der Rundturm sind aber nicht wesentlich beschädigt und nicht eingestürzt. Mit Verletzten und Toten ist zu rechnen. Die Feuerwehr versucht zu dem Hochhaus mit Spezialfahrzeugen der Höhenrettung vorzudringen, muss zunächst jedoch Straßensperren auf den Zufahrtsstraßen beseitigen. Alles deutet auf einen minutiös geplanten Angriff hin.“

Ich hastete quer durch die Wohnung, von meinem Büro ins Wohnzimmer mit dem Panoramablick nach Osten. Tatsächlich, die Glasfassaden der Wohnungen schienen unter der Hitze eines gewaltigen Feuers zu bersten. Dieses breitete sich augenscheinlich aus dem Kern der Stockwerke aus. Mit ungeheurer Wucht schossen Glas, Metall und Einrichtungsgegenstände ins Freie und landeten, aus dem Knall der Aufpralle schließend, anscheinend auf benachbarten Häusern. Ein solches Flammenmeer kannte ich nur von den längst erloschenen Hochöfen an Ruhr und Saar. Nach meiner Schätzung waren mindestens vier Etagen im oberen Drittel des Gebäudes betroffen. Die letzten zwei unterhalb des Flachdachs, das den rechteckigen Hauptturm abschloss, schienen noch unversehrt zu sein. Auch auf der Dachfläche, aus welcher der breite und kantige Schaft mit dem Rundturm hervorragte, war nichts zu erkennen. Die Sicht an diesem Frühsommertag war auch noch zu dieser späten Stunde hervorragend. Die Strahlen der nur ganz allmählich im Westen untergehenden Sonne leuchteten dieses Szenario voll aus.

Aus dem Büro klang „hr-info“ herüber. Der Sprecher berichtete von den Versuchen der Feuerwehr, die Barrikaden fortzuschaffen. Hierbei handele es sich um schwere Lastwagen, die mit Baumaterial beladen seien. Sie seien verschränkt geparkt worden, sodass Löschzüge die engen Straßen nicht passieren könnten. Der Hainer Weg und seine Nebenstraßen im Umkreis des Turms seien faktisch mit Fahrzeugen barrikadiert.

Parallel zu den Nachrichten erschien auf einem der Monitore eine Eilmeldung von afp. Die Flugsicherung des Frankfurter Flughafens hatte das Herannahen eines kleinen Flugzeugs gemeldet, zu dem kein Funkkontakt aufgenommen werden konnte. Es schien sich um eine Militärmaschine handeln, die bei Transporten und beim Training von Fallschirmjägern verwendet wird. Ich lief wieder zum großen Fenster, glücklicherweise hatte ich mein Fernglas gefunden.

Dann entdeckte ich das Flugzeug, das von Südwest mit hoher Geschwindigkeit angeflogen und erst spät in mein Blickfeld geraten war. Eine seitliche Tür war aufgeschoben. Wo üblicherweise Fallschirmjäger herausspringen, nahm ich Raketenwerfer wahr. Es blitzte, einmal, zweimal, danach knallte es fürchterlich. Die Geschosse trafen das Flachdach und entzündeten dort Brandsätze, die vermutlich vorher dort platziert worden waren. Anscheinend handelte es sich um die kurz zuvor aus der Drohne abgeworfenen Pakete. Flammen schlugen explosionsartig nach oben. Auch der Rundturm war getroffen worden. Die Verglasung zerbarst großflächig an mehreren Stellen. Aus dem Inneren drang eine Flut aus Feuer, Qualm und Gegenständen nach außen, die mit Donnergetöse auf Häuser und Straßen niederging. Indessen beschrieb das Flugzeug eine Kurve nach Osten, vollführte anschließend eine Kehrtwende und raste erneut auf den Turm zu. Durch das Fernglas gut erkennbar, hantierten zwei Leute, die sich in beiden seitlichen Türen mit Gurten gesichert hatten, an mobilen Abschussgeräten, die sie auf den Schultern trugen und die über Zielfernrohre verfügten. Dann schossen sie in rascher Folge mehrere Stinger-Raketen ab, die sich in die Stockwerke des Rundturms einfraßen und die Spitze des Gebäudes in einen Höllenofen verwandelten. Nur noch Feuer, tiefschwarzer Qualm und verglühende Stahlgerüste waren zu erkenn. Vom Turm ausgehend breitete sich über dem südöstlichen Sachsenhausen eine pechschwarze Wolke aus, die große Teile des Gebäudes verhüllte. Dadurch war zunächst nicht zu erkennen, dass dieser in sich zusammengestürzt war. Es waren Bilder, die denen vom 11. September 2001 in New York glichen.

Foto:
© Medien RedaktionsGemeinschaft

Info:
Johannes Haan ist das Pseudonym eines Wissenschaftsjournalisten, der seit fast drei Jahrzehnten zwischen Hamburg und seiner Wahlheimat Frankfurt am Main pendelt. Die beschriebenen Ereignisse sind fiktiv, orientieren sich jedoch an realen Vorgängen im Geldwäschermilieu. Eine Buchausgabe ist für das dritte Quartal 2021 geplant.