murakamischriftstellerAuf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 51

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was den 1947 geborenen japanischen Schriftsteller Haruki Murakami angeht, bin ich eine Spätentwicklerin. Ganz am Anfang, als sein Name im DuMont-Buchverlag auftauchte, hatte ich etwas gelesen, was mich nicht sehr überzeugte, weshalb ich auch weder Titel noch Geschichte in Erinnerung habe. Und dann kam DIE ERMORDUNG DES COMMENDATORE (2017, auf Deutsch 2018)! Das fing ganz harmlos irgendwo in Japan an und ich dachte nur, na wieder mal so ein Mann, den die Frau in die Wüste schickt und der darob eine Midlifecrisis bekommt ... Doch dann kam Wien 1938.

Und Wien 1938 heißt immer der Einmarsch der Nazis in Österreich am 15. März 1938, den die Deutschen Anschluß nennen. Der wurde zwar gegen den Widerstand der österreichischen Politiker durchgeführt, aber durchaus vom Gejubel österreichischer Nazis begleitet. Stichwort: Heldenplatz (Thomas Bernhard). Nun findet Murakamis Held, ein Kunstmaler, in dem von einem Freund zur Verfügung gestellten Haus dessen Vaters, ebenfalls Maler, hoch in den Bergen auf dem Dachboden ein großformatiges Bild vom Ende der ersten Szene mit der Ermordung des Commendatore aus Mozarts Don Giovanni. Und er findet Unterlagen, daß der Maler 1938 in Wien nicht nur Kunst studiert hatte, sondern auch verwickelt war in ein Attentat auf Hitler, erst ins Gefängnis kam und dann sofort nach Japan - verbündet mit den Deutschen - geschickt wurde. Nein, wir können darauf jetzt nicht eingehen. Die Links zur Besprechung finden Sie unten.

Warum aber dieser Einstieg aussagekräftig ist, das können die schon zuvor - 2015 in Japan, 2016 auf Deutsch- publizierten Essays des Japaners, hier zusammengefaßt in einem Band, deutlich machen. Murakami ist sehr viel stärker, als wir es von Japanern kennen, in der westlichen Welt zu Hause. Warum und auf welche Weise, das entschlüsselt sich auf vielfache Weise und nur so ist zu erklären, daß selbst ein politisches Ereignis im fernen Wien von 1938 in seine Literatur einfließt. Stellen Sie sich einen deutschen Autor vor, der auf Besuch in einem Haus in Bayern auf dem Land auf dem Dachboden eine Leinwand findet, auf dem der Anschlag von Narita mit Molotowcocktail, Steine, Hämmer und Stahlrohre am 26. März 1978 gemalt wäre, der dem Flughafen galt und wobei es 59 Verletzte gab. Da würden wir uns wundern. Aber Leser von Murakami wundern sich nicht. Er ist ein internationaler Autor. Aber so wird man nicht geboren, dazu wird man gemacht oder macht sich selbst dazu.

Nun muß ich etwas dazusagen, denn ich habe VON BERUF SCHRIFTSTELLER zu allererst gehört. Gerade diese Texte eignen sich hervorragend zum Hören, weil man dem Icherzähler Murakami zuhört, als sei er es selbst. Er ist es ja auch selbst, vom Text her, aber Sprecher Walter Kreye läßt keine Irritationen aufkommen und so hört man psychologisch den Japaner selbst. Und erst als ich die CD mindestens zweimal gehört hatte, schließlich ist das keine normale Handlung, die man verfolgt und abhakt, sondern der Schriftsteller spricht über seine Entwicklung, die Werke, über Literatur und dann sogar über sich selbst, da wußte ich: Ich muß das noch mal lesen. Das ist das Wunderbare an Literatur, daß Substantielles einfach eine Dichte und Komplexität enthält, die man immer wieder neu durchdringen kann und manchmal muß.

So sind von den elf völlig unterschiedlich langen Essays und dem Nachwort bei insgesamt 234 Seiten die ersten Beiträge eher WIE ICH SCHRIFTSTELLER WURDE oder überhaupt der Literatur gewidmet, die in vielen Einzelbeiträgen über Literaturpreise, über die möglichen Schreibthemen, über potentielle Figuren in den Texten usw. die Meinung des Autors zum Ausdruck bringt. Doch, doch, das ist alles sehr interessant, aber die Ursache, warum ich auf Buch und Hörbuch an dieser Stelle unbedingt noch einmal hinweisen wollte, sind eindeutig in den persönlichen Aussagen des Autors, also in den Aussagen über ihn als Person. Als Mann. Als Japaner.

Das war aufregend. So zurückhaltend wie offen, also eher beiläufig, aber konkret schildert Murakami seine Entwicklung, die ungewollt gegen die Norm verlief, die er wie jeder Japaner erst einmal gut heißt und als gesunden Menschenverstand bezeichnet. Dagegen verstieß er mir der seltsamen Reihenfolge, daß er erst heiratete, dann gezwungenermaßen arbeitete und erst spät studierte und noch später das Studium abschloß. Aber was er hier leichthin mit ‚arbeiten‘ bezeichnet, war die Eröffnung eines Jazzlokals. „Ein Lokal, in dem ich Jazzplatten spielen und Kaffee, alkoholische Getränke sowie kleine Speisen servieren würde. Ich war damals verrückt nach Jazz....“

So schreibt er. Weshalb der Wikipediaeintrag aber lautet: „Murakami studierte ab 1968 an der Waseda-Universität Theaterwissenschaft. Dort lernte er seine Frau Yoko kennen, die er nach Abschluss des Studiums im Jahr 1971 heiratete und mit der er bis heute zusammen ist. Gleichzeitig jobbte er in einem Plattenladen, bevor er 1974 in Tokio seine eigene Jazzbar – Peter Cat – eröffnete, die er bis 1982 leitete.“, erschließt sich mir nicht. Erinnert er sich falsch? Wäre merkwürdig, zumal er im Buch später noch einmal darauf zurückkommt und betont, daß er nach Heirat und Kneipe sieben Jahre später sein Examen machte?

FORTSETZUNG FOLGT

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Cover

Info:
Haruki Murakami , Von Beruf Schriftsteller, DuMont Buchverlag, Köln. 2016
Übersetzung von Ursula Gräfe
ISBN 978 3 8321 9843 5

Haruki Murakmai, Von Beruf Schriftsteller , Spieldauer: 7 Std. und 9 Min.,
gelesen von Walter Kreye
Hörbuch Hamburg HHV GmbH, Hamburg 2017
ISBN 978-3-8449-1617-1

Haruki Murakami in WELTEXPRESSO (Auswahl) 

https://weltexpresso.de/index.php/buecher/12593-ist-haruki-murakamis-held-ein-nazi-attentaeter-1938-in-wien_544
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/12594-die-geheimnisvolle-tat-des-japanischen-malers-in-wien_544
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/2569-ein-sechster-finger