die mafia in deutschlandAuf die Schnelle: Gute Informationssliteratur, gebraucht, Teil 56

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Derzeit gibt es immer nur das Thema CORONA, dabei wäre es gerade in Pandemiezeiten wichtig, sich über das Treiben der Mafia, wie wir all die nationalen Banden, die als Machtverbünde mit Terror und Mord in ihre Taschen wirtschaften, nennen, sich also über das Treiben der Mafia genaue Kenntnis zu verschaffen.

Leider hat die angemessene Beachtung des wirklich sehr guten Films IL TRADITORE/DER VERRÄTER, im August in unsere Kinos gekommen, die Auflagen von Corona verdorben. Marco Bellocchio hat einen so traditionellen wie aufregenden Film über die riesigen Mafiaprozesse der 1980er Jahre gedreht. Aufgehängt an Tommaso Buscetta, dem wichtigsten Mafia-Kronzeuge der italienischen Justiz, hat er auch Giovanni Falcone ein Denkmal gesetzt, diesem mutigen und entschlossenen Richter, den die Mafia zusammen mit anderen Unschuldigen im Mai 1992 mit einer Autobombe ermordete, wie es auch kurz darauf mit Richter Paolo Borsellino geschah.

Warum wir so wenig über die Umtriebe in Deutschland erfahren, will das Buch eines Teams (Schraven, Meuser, Löer) ändern. Zuvor aber noch die Absonderlichkeiten, die in Frankfurt am Main Wellen schlugen. Da hat die Frankfurter Pizzeria „Falcone & Borsellino“

Bilder der ermordeten Mafiamorde-Aufklärer mit Einschußlöchen an die Wände neben dem Bild des Paten gehängt, sozusagen als verklärende Mafia-Folklore, damit die Pizzas und der vino rosso besser munden. In Italien hatte die Schwester des ermordeten Falcone, Maria Falcone, die Arbeit ihres Bruders weitergeführt. Sie hörte von der Frankfurter Pizzeria und klagte gegen die Besudelung des Ansehens, ja der Ehre der beiden sizilianischen Ermordeten. Es wurde erst Wochen später bekannt, daß sie damit am 25. November vor dem Landgericht Frankfurt – unterlag. Den Prozeß verlor. Echt.

Die Begründung des Gerichts lautete, daß 28 Jahre nach den Morden ein Schutz des Andenkens nicht mehr gelte, verwirkt sei. Und es kam noch doller: Die Namen Falcone und Borsellino seien heute nur „Strafverfolgern und Kriminologen“ bekannt, nicht aber Restaurantbesuchern. „ „werch ein illtum!, hätte Ernst Jandl dazu gesagt. Was sind das für Richter! Und es ging genauso falsch weiter. Früher sei die Mafia mal ein Thema gewesen. Heute nicht. Zudem sei es ein italienisches Thema. Gehöre nach Italien. Gibt es so etwas?

Das folgende Buch sollte zur Zwangsfortbildung des zuständigen Gerichts oktroyiert werden!


DIE MAFIA IN DEUTSCHLAND. Kronzeugin Maria G. packt aus, von David Schraven und Maik Meuser

David Schraven arbeitet für das Rechenzentrum CORRECTIV, was Basis einer Teamarbeit mit Maik Meuser (RTL Nachtjournal) sowie Sternreporter Wigbert Löer wurde. Am Schluß sieht man sie im Bild und erfährt, daß zu den Dreien noch zwei Frauen und ein weiterer Mann gehören.

Es beginnt in Winnenden bei Stuttgart. Für das deutsche Mafia-Bewußtsein sind allerdings die Mafiamorde von Duisburg 2007 eindrücklicher und bekannter, wo sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant erschossen wurden. Hintergrund ist – wie auch in Winnenden – die kalabrische Ndrangheta , wo es um die Auseinandersetzung von zwei Ndrangheta-Familien ging. In diesem Buch werden im Detail die Verhältnisse der ebenfalls Ndrangheta zugehörigen Familien in Winnenden und Umgebung behandelt, wo sich die Exfrau von Pascale Rezo, mit dem sie drei Kinder hat, inzwischen hat sie fünf,  traut, gegen ihren Ex-Mann als wichtigen Mafioso auszusagen. Einschließlich Zeugenschutzprogramm hatte sie in Italien und Deutschland ausgesagt, was ein empfindlicher Schlag gegen die mafiösen Kalabresen war. Und umgehend hörte sie aus Italien, daß der Ex-Ehemann weitertrug, wo sie wohnt und daß er einverstanden sei, wenn sie den Tod fände....

Es ist unmöglich, die gesamten Recherche in wenigen Sätzen wiederzugeben. Denn hier geht es wirklich ums Eingemachte. Es werden Vorgänge geschildert, Namen genannt, die jedem, der dort wohnt, genau sagt, was los ist – und auch, mit wem er keine Geschäfte machen sollte.

Zwei Dinge sind besonders wichtig. Einmal, daß man den Umfang der Tätigkeiten der Ndrangheta mitbekommt, die tatsächlich in jedem Geschäft, das möglich ist, potentiell ihre Finger drinnen haben. Das andere ist die Auflistung der ndrangethischen Familienclans, die von Seite 229 bis Seite 276 gehen! Und dann kommt ein eindrückliches Quellenverzeichnis. Und immer wieder kommt Maria zu Wort, deren Wirken und Aussagen gewissermaßen den roten Faden darstellen.

Dies ist kein Meinungsbuch über die Mafia. Das ist eine dezidierte Vorstellung ihrer Wirkungsweise, ihrer Gefährlichkeit und der Ahnungslosigkeit der deutschen Bevölkerung.

P.S. Bekannt wurde das Frankfurter Nicht-Mafia-Urteil erst so richtig, als sich die Pizzeria mit Entschuldigungen gegenüber den beiden ermordeten Richtern umbenannte. Das macht es nicht besser. Richtig wäre die Benennung mit einer richtigen, will sagen angemessenen Würdigung der Lebensleistung von Falcone und Borsollino zu verbinden, gerade, damit sie nicht vergessen werden! Und so nutzen auch wir dieses wichtige und nützliche Buch, um an sie zu erinnern.

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Cover

Info:
David Schraven, Maik Meuer, Die Mafia in Deutschland. Kronzeugin Maria G. packt aus,
Ullstein Verlag 2019
ISBN 978 3 548 37760 5