Serie Buchpreis: Die Autoren der kurzen Liste im Frankfurter Literaturhaus am 21. September, Teil 9

 

Felicitas Schubert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am 21. September begrüßte der Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth im schönen Saal des Frankfurter Literaturhauses das Plenum - nun schon als liebgewordene Gewohnheit. Einige Wochen vor der Preisvergabe des Deutschen Buchpreises findet hier an einem Samstag bis in die Nacht die Veranstaltung statt, auf der die letzten sechs für den Preis Nominierten aus ihrem Werk lesen und dazu befragt werden.

 

Es ging direkt los und daß es diesmal nicht Mitternacht wurde, lag einerseits am Beginn schon um 18 Uhr und auch daran, daß Therezia Mora nicht kommen konnte, die allerdings Tage zuvor am selben Ort ihre Lesung zum roman DAS UNGEHEUER gehalten hatte. Also ging es direkt mit Reinhard Jirgl los, den Alf Mentzer, hr2-kultur, vorstellte und der gleich viel Beifall der ausverkauften Veranstaltung erhielt. Er ist in Frankfurt kein Unbekannter, war 2007/8 Stadtschreiber in Bergen Enkheim und zudem Büchnerpreisträger, den die Akademie für Deutsche Sprache jeweils in Darmstadt verleiht. Geboren ist er und lebt in Ostberlin, seine bisherigen Romane spielen eher in der Vergangenheit, der neue NICHTS VON EUCH AUF ERDEN aber im 25. Jahrhundert, wo auch Leben auf dem Mond vorkommt in diesem ausgesprochenen Science Fiction, meinte Mentzer und fragte: „Warum solche Ausdehnung von der Kampfzone?“

 

Jirgl warnte erst einmal vor der Bezeichnung Science Fiction, „man muß halt bestimmte Techniken zugespitzt neu bringen, aber Ausgangspunkt ist etwas anderes, Wissenschaftsgeschichte.“ Die Gegenwart sei nur eine Spiegelung. Sehen wir 400 Jahre zurück, 30jährige Krieg als Einschnitt, wo alles, was heute der Fall ist, noch nicht da war. Wenn eine Fehlstelle im Netz ist, wenn eine Krise ist, wie bei den Banken in unserer Zeit, als eine solche Situation stellt sich ihm der Dreißigjährige Krieg dar. Das sind Dinge, die wiederkehren, wie die Hybris des Menschen eben bleibt und immer wieder dieselben, nämlich unmenschliche Ergebnisse bringt.

 

Der Westfälische Friede dagegen sei ein Meisterstück. Als die entscheidende Errungenschaft gelte die erste Trennung von Kirche und Staat. Die Fachausdrücke purzelten nur so: Programmelemente, Terraforming der NASA ist, dem Mars eine Erde zu verpassen, Planet soll sich so aufheizen, wie es die Erde tat, damit auch dort die Planetologen zu ihrer Erde kommen. Das Problem der Menschheit ist, daß sie immer wieder nur monokausal entscheidet mit dem dazugehörigen grandiose Scheitern. Jirgl legt Wert darauf, daß es in der Handlung im ganzen Buch für die handelnden Menschen immer wieder andere Entscheidungsmöglichkeiten gab. Was er darstellt, ist der längste Umweg der Zivilisation in den Tod , wogegen, befand Moderator Mentzer, Dantes Höllenfahrt ein Kindergeburtstag sei, was Autor Jirgl bejahte.

 

Wenn Sklavenhalterverhältnisse nicht mehr bestehen, wie heutzutage, dann kommen neue Abhängigkeiten hinzu. In diesem Sinne sieht Jirgl auch solche Phänomene wie den Handel um Organspenden als unglaubliche Geschichten, die da einfach passieren. Im Buch ist die Erde friedvoll, Friedhofsruhe, meint Mentzer, durch genetische ritualisierte Verfahren. Denn die Tatmenschen sind zum Mars hinüber. Die Heimkehrergeschichten vom Mars mit Knowhow und Moral mit Siegermentalität treffen auf die im orangefarbenen Licht dahin verlöschenden Menschen. Eine Figurenkonstellation, auf der der Roman basiert. Hauptfigur mit lauter Zeichen ist Ich-Erzähler Reinhard E., 25jährig, dem, als der Roman beginnt, offenbart wird, daß er zur Herrenrasse der Marsianer gehört und deshalb zum Mars darf. Der Autor freut sich über sein eigenes Buch, was ein sympathischer Zug ist und ist bemerkbar enthusiasmiert, was den Leser erwartet. Jetzt liest er eine Passage aus dem 25. Jahrhundert, als diese Kunstfigur vom Mars auf die Erde zurückkommt. Der Mann huldigt der inneren Bindung zur Ehefrau, weshalb man getrennt leben muß, damit sich die Bindung erhält. Auch mal etwas anderes!

 

Die Heimkehrvision entspricht der Völkervertreibung im und nach dem 2. Weltkrieg: Deportationen ...Naturgewalten.“was geschieht hier mit uns?“ Rückkehr zur Erde. Landet. Niemand erwartet oder begrüßt freudig. Niemand, nichts ist da. Nur das Weiß des Schnees. Der Mars hat nur ein Drittel Schwerkraft wie Erde, also drückt es ihn hier runter. Er liest und die Menschheit geht unter, aber nicht die Erde. „Die Korrekturen“ hätte er gerne als Titel gewählt, aber der ist durch Jonathan Franzens – übrigens wunderbaren - Familienroman besetzt. Möbisches Leben gab es schon mal. Höhepunkt und dann abschaffen, kein Darwinismus, ewiger Kreislauf des Selben, des Gleichen.

Das erinnert an die vier Jahreszeiten, die Geschichte des homo sapiens: „Ach, das geht vorbei“; (Original Jirgl) Planeten und transhumane Geschichtsschreibung spielen eine Rolle und die Frage, wer schriebt die morphologischen Bücher, aus denen jetzt die Menschheit alles weiß? Reinhard Jirgl: „Die Bücher, die mit allem Pathos großartigste Erfindung des Menschen, die sollen überleben.“ Fortsetzung folgt.