JOYLAND von Stephen King aus dem Heyne Verlag

 

Hubertus von Bramnitz

 

München (Weltexpresso) - Der neue Roman von Stephen King, den man erst für einen alten hält, weil er im April des Jahres 1974 abschließt, erschließt uns eine Welt, wie sie einmal da war, ein ländliches Amerika und eine Jugend und Studentendasein, die von Freiheit und Ausprobieren atmet und gleichzeitig bigotte kleinbürgerliche Enge zeigt.

 

Eigentlich aber stolpert unser Held, Devin Jones, - er ist wirklich einer, dazu noch mehr – mittenhinein in ein Verbrechen, das einen an sich harmlosen Bildungsroman über 300 Seiten unterschwellig so begleitet, das der Leser hellhörig wird und die vielen Seiten hindurch darauf wartet, was sich dann in den letzten vierzig Seiten auch ereignet: Angst und Schrecken, sowie Lebensgefahr auf dem Höhepunkt und die Errettung und Bestrafung des Mörders auf der anderen.

 

Warum wir JOYLAND lesen wollten, hat nach vielen Jahren der Stephen King Abstinenz mit dessen grandiosen Buch DER ANSCHLAG zu tun, das wir als Hörbuch lasen und noch aus dem Abstand uns der Hörgefühle erinnern, die sich einstellten, wenn die Sechziger Jahre eines – wieder ländlichen – Amerikas in uns eindrangen, eine Sturm- und Drang-Epoche einerseits und doch auch der Sieg der Bornierten über den politischen Auf- und Ausbruch durch John Kennedy, so wie er einem damals scheinen mußte. Im DER ANSCHLAG geht es um die Möglichkeiten, wie das Attentat fast verhindert worden wäre, ein mit Vor- und Rückblenden gespicktes Geschehen, das den Geist unwillkürlich zur höchsten Aufmerksamkeit zwingt und ein lebendiges Bild der Sechziger Jahre bringt – nicht nur für Amerika!

 

Dagegen liest sich JOYLAND fast gemächlich, auf jeden Fall gemütlich und lange hält man den Autor, der hier auch nur 352 Seiten für seinen Roman braucht, für leicht unterfordert, wenn er in aller Breite die Nöte des 21jährigen Devin Jones schildert, der wegen seiner unbefriedigenden und unbefriedigten Freundschaft mit der schönen Wendy den verwitweten Vater und Neu-England im Juni 1973 verläßt, um den Sommer über einen Job in Heavens's Bay in Nord- Carolina anzustreben, den er im JOYLAND auch bekommt, einem Vergnügungspark, der wenig mit Disneyland gemeinsam hat und mehr mit den abgetakelten und herumziehenden Jahrmärkten und Kirmes“fahrgeschäften“, die es auf dem Land immer noch gibt.

 

Wie feinsinnig Stephen King sein Romanpersonal zusammengestellt hat, merkt man erst im Nachhinein, denn man läßt sich erst einmal auf die harmlose Art des harmlosen Studenten ein, der weg muß, weil ihn die Liebessehnsucht und vor allem der Liebesschmerz treibt, der sich Geld verdienen will und vor dem Anfang des Studiums ein wenig von der Welt sehen will. Mit Devin Jones hat der Autor einen jungen Mann geschaffen, der jeder Schwiegermutter lieb wäre und dem Schwiegervater dazu, was schon einiges bedeutet, denn er ist ehrlich, arbeitsam, strebsam, ohne Streber zu sein, also sozial eingestellt, nicht wehleidig, zur Freundschaft fähig, ohne Arg den anderen gegenüber – und dann verfügt er noch über zwei besondere Fähigkeiten: er rettet Menschen.

 

Das eine mal mit dem gesunden Menschenverstand, das andere durch seinen Erste-Hilfe-Kurs, der ihn zwingt, den ihm persönlichen Widerling Eddie Parks zu reanimieren, was heißt, das er seine Lippen auf dessen nach Zigaretten und Peperoni stinkenden Mund pressen muß, wobei er sich fast übergeben muß. „Trotzdem achtete ich darauf, dass unsere Lippen festaufeinanderlagen, hielt ihm die Nase zu und blies ihm Luft in die Lunge“, so daß der Widerling im Krankenhaus seinen Herzinfarkt überlebt. So selbstlos verhält sich unser Held des Alltags allen gegenüber. Dem Vater des geretteten Mädchen, das er in seiner Fellverkleidung als Hund HOWIE begeisterte, gibt er den ausgestellten Scheck über 500 Dollar zurück, weil er meint, dieser könne das Geld selber gut brauchen...Kein Wunder, daß Devin Jones bei allen beliebt ist. Aber wer liebt ihn?

 

Auf jeden Fall der todkranke Mike, in dessen Mutter Annie sich Devin verliebt und endlich die unwichtige und langweilige Wendy vergißt. Auf jeden Fall wird dieser Sommer der schönste und der traurigste seines Lebens, mehr wollen wir nicht verraten über seine Erinnerungen an dieses eine Jahr, die er am 24. August 2012 abschließt, mit der Weisheit des Alters, aber auch mit der Sehnsucht nach ungelebtem Leben. Was man aber verraten muß, ist die Krimihandlung, die diesen Bildungs- und Erinnerungsroman durchzieht. Denn mit JOYLAND, das mit den rostigen, aber funktionsfähigen Fahrgestellen, dem Riesenrad, Schaubuden, Wahrsager und Geisterbahn, wahre Schreckenskammern einem wie die Wunderwelt vorkommt, die einen als Kind begeisterte und erschreckte – eine Mischung, die heutige Vergnügungsparks in ihrer Perfektion einfach nicht mehr haben - , hat Stephen King einen Ort geschaffen, der nun gleichermaßen ein spezielles Personal beherbergt.

 

Wie King in wenigen Sätzen den fast 90jährigen Bradley Easterbrook erschafft, der als Besitzer von JOYLAND damit „Spaß verkauft“, aber sehr unspaßig aussieht, so kommen uns all die Figuren, die ihre Rollen spielen, wie Kostümträger vor, die ihre rabenschwarzen Seelen als Nachtgesellen für Tagesspaß verkaufen. Immer lauert irgendwo der Schrecken. Und auch die so harmlosen Leute wie die Frau Wirtin oder die Freunde, immer ist einer dabei, der das zweite Gesicht hat auf jeden Fall etwas sieht, was Devin Jones – und wir mit ihm – nicht sehen. Aber Beharrlichkeit führt zum Ziel, denn hier gilt es den Mord an einer, ach was, wahrscheinlich vier jungen Frauen aufzuklären, von denen eine genau hier ermordet worden ist und...aber nein, das müssen Sie nun schon selbst lesen.