Auf die Schnelle: Gute Literatur, gebraucht, Teil 92
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die 1967 in Ostberlin geborene Jenny Erpenbeck gehört spätestens seit ihrem Roman GEHEN, GING, GEGANGEN, Knaus Verlag 2015, zu den prägenden Figuren der deutschen Literatur, während MIROLOI von Karen Köhler, bei Hanser 2019 erschienen, ein Debütroman ist.
GEHEN, GING, GEGANGEN von Jenny Erpenbeck
Zu Jenny Erpenbeck muß ich noch etwas nachholen, weil ich auf ihren Lebensweg an zwei Stationen neidisch bin. Einmal hat sie noch mit der Berghaus, gearbeitet mit Ruth Berghaus, der Ehefrau des hierzulande so vergessenen Paul Dessau,die zur führenden Regisseurin der DDR wurde und der die Frankfurter Oper ihre wunderbaren Inszenierungen unter Michael Gielens Dirigat verdankt, hinreißend und eine mutige, höchst ungewöhnliche Ring-Inszenierung, wo Siegfried in kurzen Hosen auftritt. Das andere ist, daß sie Heiner Müller bei der Inszenierung von Tristan und Isolde bei den Bayreuther Festspielen assistierte, einer Aufführung, die das Publikum spaltete und die ich nie vergessen werde. Mit einem Wort: sie ist mit vielen Wassern gewaschen.
Dieser Roman, 2015 stand er auf der Sechserliste zum Deutschen Buchpreis, hat sie mit Recht über Deutschland hinaus bekannt gemacht, einschließlich, daß ihr Roman auf der Liste des heute so genannten Booker International Prize stand, wo sie ja mit der ganzen nicht englischsprechenden Welt konkurrierte.
Der Altphilologe Richard, emeritierter Professor hört von der Flüchtlingswelle, die nach Deutschland geschwappt ist, sieht die afrikanischen Asylsuchenden auf dem Oranienplatz und denkt sich, er kann ja Deutsch, da kann er mal helfen, bis wir merken, daß der Prozeß andersherum läuft, die Deutschschüler helfen ihm. Sehr interessant, diesen Roman, der 2015 das Aktuellste überhaupt war, heute zu lesen, wo man über dieses Thema entspannter liest. Das konnte man aber auch schon damals,weil es kein didaktischer Roman über eine anzustrebende Willkommenskultur ist, sondern eine Reflexion über bundesdeutsche Wirklichkeit, wo einem die Auflistung dessen, was die Flüchtlinge allein an bürokratischem Aufwand erledigen müssen, sowohl Schrecken einflößt, wie auch Bewunderung, wie Flüchtlinge das bewältigen.
Außerdem ist der Roman kurzweilig, weil Jenny Erpenbeck wirklich komische Szenen aus dem bundesdeutschen Alltag schildert.
MIROLOI von Karen Köhler
Erst einmal ein Ausrufezeichen dem Design des Umschlags. Gleich zweifach. Der Rücken trägt in Schwarzweiß den Autorinnennamen und auf der Vorder- und Rückseite auf einem dunklen Blau weiße Bögen,wobei das vorletzte Blatt so verlängert ist, daß es über die Seiten gezogen, ganz vorne so eingeschoben ist, noch einmal dick den Autorinnennamen zeigt, so daß das Buch insgesamt wie ein kleines Päckchen aussieht. Einfach originell. Natürlich fragt man sich bei dem Blau-Weiß, ob es um etwas Maritimes geht.
Ja und nein. Denn die Handlung spielt auf einer ziemlich abgeschlossenen, besser abgeschotteten Insel. Deshalb ist neben dem Meer auch die Abgeschlossenheit, die das Buch ästhetisch so schön dokumentiert, zutreffend. Ein Mädchen, namenlos, es ist einfach da auf der Insel. ‚Eselshure‘ rufen die Frauen aus dem Dorf ihr hinterher und die Kinder werfen Steine. Schlimmer ist, daß ihre Katze ermordet wird und sie niemanden hat, der sie beschützt. Frauen geht es hier grundsätzlich schlecht, weil eine Priesterkaste herrscht, die Männer grundsätzlich tun läßt, was diese wollen, aber Frauen nicht mal lesen lernen dürfen.
Wir werden nun Zeuginnen, wie diese junge Frau gegen Männermacht ankämpft, sich nicht klein macht, sondern sich was traut und vor allem erst einmal das verbotene Lesen lernt. Der Titel bezieht sich auf das Totenlied, daß die junge Heldin sich zur Aufrüstung selber vorsingt, denn es gibt 128 Strophen, in denen es ums Leben geht. Dies sind im Buch 128 Kapitel, aber Strophen genannt, die Inhaltsangaben haben, wie die 55., die: Die Liebe untertitelt ist, die 73., die Die Marmelade heißt.
Der Widerstand des Mädchens, der jungen Frau verändert die Welt. Uns gefällt dies Buch, das bei anderen durchaus Widerstand hervorruft.
Fotos:
Cover
Info:
Jenny Erpenbeck, Gehen, Ging, Gegangen, Knaus Verlag 2015
ISBN 978 3 8135 0370 8
Karen Köhler, Miroloi, Carl Hanser Verlag 2019
ISBN 978 3 446 26171 6